Der Bus Nummer 31 fährt vom Zürcher Hegibachplatz via Kunsthaus und Hauptbahnhof nach Schlieren. Alle sozialen Schichten benutzen ihn: Bürger, Kleinbürger, hektische Reisende, Banker, Arbeiter, Drogensüchtige, Arbeitslose. Und viele, viele Ausländer. Vor allem auf sie hatte es Alexandra Prusa abgesehen.
Die Schweizer Künstlerin Alexandra Prusa, Tochter eines adligen russischen Bildhauers, ist Schauspielerin und Sängerin. Sie wartet immer wieder mit verblüffenden multimedialen Projekten auf. Diesmal provoziert sie die Fahrgäste von städtischen Trolley-Bussen.
Drei Tage lang sitzt sie im vergangenen Sommer von fünf Uhr früh bis elf Uhr abends im Bus. Zu ihrem Team gehören ein Kameramann, ein Tontechniker und drei Assistenten. Alexandra Prusa spricht die Fahrgäste an und bittet sie vor laufender Kamera einen einzigen Satz zu sagen. Und zwar in ihrer Muttersprache. Die meisten sind einverstanden. Nur wenige weigern sich. Es ist nicht irgendein Satz, den sie sagen sollen. Der Satz lautet: „Ich bin kein Rassist“.
Rund hundert gefilmte Erklärungen kommen so zustande. Menschen aus 64 Nationen bezeichnen sich als Nicht-Rassisten. Die Aufnahmen wurden jetzt aneinandergeschnitten und mit einem Song von Alexandra Prusa angereichert. Der halbstündige Film wird am Montag, 5. März, im Landesmuseum gezeigt.
Völkerverbindendes Happening
Doch diese Bekenntnisse sind nur der eine Teil dieses künstlerischen Happenings. Alle Interviewten mussten ihren Namen und ihre E-Mail-Adresse angeben. Und sie alle wurden zur Vernissage des Films eingeladen. Die meisten haben zugesagt.
Sie, die sich nicht kennen, deren einzig gemeinsames Schicksal die tägliche Bus-Fahrt zur Arbeit oder von der Arbeit ist: sie sitzen plötzlich nebeneinander im gleichen Saal. Zum ersten Mal vielleicht nehmen sie Notiz von den Fahrgästen die täglich vor, hinter oder neben ihnen sitzen. Und vielleicht wird der eine oder die andere den Nachbarn anblicken und sich fragen: „Was, du bist wirklich kein Rassist?“
Nach der Filmvorführung werden alle gemeinsam einen Apéro trinken. Dann wird das künstlerische Happening vielleicht zum völkerverbindenden Happening.
Nicht alle Fahrgäste waren begeistert von der Idee. Einige Ausländer weigerten sich mitzumachen - aus politischen Gründen. Andere lehnten ab, weil sie sich wohl schwarz in Zürich aufhalten. „Einige Afrikaner schauten mich derart aggressiv an“, sagt Prusa, „dass ich es gar nicht erst wagte, sie anzusprechen“.
Einige zeigten sich ehrlich: „Ich kann nicht mit gutem Gewissen sagen, dass ich kein Rassist bin“. Jemand meinte: „Ich wäre gerne nicht rassistisch, aber ich bin es“. Ein Secondo sagte: „Vor zwanzig Jahren, ich kein Rassist, aber jetzt mit Albaner, machen alles kaputt“.
Wie reagierten die Schweizer? „Die waren wunderbar“, sagt Prusa. „Viele zeigten sich begeistert von der Idee“. Nur ein einziger fragte süffisant: „Haben sie auch eine Bewilligung“.
Ja, eine Bewilligung hatte das Filmteam. Die Verkehrsbetriebe unterstützten das Projekt. Kleine Plakate im Bus wiesen auf die Aktion hin. Die Bus-Chauffeure wurden gar angewiesen, sorgfältig zu fahren, damit die Aufnahmen nicht verwackelten. Die Stadt zahlte einen Kostenbeitrag von fünftausend Franken.
Für manche ist der Bus ein Stück zuhause. Da sitzen Alkoholiker und fahren hin und her. Ein Süchtiger sagte mit schwerer Zunge, er könne erst später ein Interview geben, er müsse sich erst Methadon beschaffen. Später stieg er wieder ein und sagte aufgeräumt: „Hoi, was soll ich sagen?“
Für Alexandra Prusa ist dies ein Pilotprojekt. Sie will das gleiche in andern europäischen Städten wiederholen. In Paris hat sie sich schon den Bus ausgesucht: die Nummer 97.
„Ich bin kein Rassist“. Da alle diesen Satz in ihrer eigenen Sprache vortragen, wird der Film zum babylonischen Sprachengewirr. Da hört man alles, sogar kalmückisch.
Ist Alexandra Prusa sicher, dass alle den vorgegebenen Satz „Ich bin kein Rassist“ gesagt haben? „Nein, sicher bin ich nicht“, sagt sie, „ich konnte nicht alle Sprachen prüfen.“
Sie fügt bei: „Vielleicht hat jemand gesagt: ,Ich bin Rassist‘, na dann halt. Tant pis.“
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