Das Schaufeln geht zu langsam. „Wir müssen sehen, dass wir bald ein Dach über dem Kopf haben“, mahnt der Bergführer. Die Schneehöhlen sollen gegraben sein, bevor die Nacht mit ihrer Kälte kommt. Nach fünf Stunden Aufstieg mit schwerem Rucksack ist das Schaufeln anstrengend. Unser Logierplatz für diese Nacht liegt auf 3100 Meter Höhe. Es ist eine schräg abfallende Terrasse. Zweieinhalb bis drei Meter hoch liegt hier der Schnee, wie das Einstechen der Lawinensonde zeigt. Die Benzinkocher brennen, das Wasser zischt schon leise, eine warme Suppe und ein heisser Tee werden allen gut tun.
Eine Gruppe von elf Leuten, alle Mitglieder der Alpenschutz-Organisation Mountain Wilderness. Am Morgen sind wir in Zermatt aufgebrochen, um ins Gebiet des Monte Rosa aufzusteigen. Es geht einmal mehr um eine Demonstration gegen Heli-Skiing in schützenswerten Landschaften.
Ein einzigartiges Naturdenkmal
Im Jahr 2000 erhielt das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) den Auftrag, die 42 Gebirgslandeplätze in den Schweizer Alpen zu überprüfen. Es dauerte zehn Jahre, bis diese Überprüfung allein für die Region Wallis Südost abgeschlossen war. Der Landschaftsschutz wurde dabei weitgehend ignoriert. Die Bergsport-Organisationen wehrten sich erfolgreich gegen das einseitige Ergebnis und bekamen 2011 vom Bundesverwaltungsgericht Recht. Ein Gutachten der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutz-Organisation (ENHK) entschied letztes Jahr, dass Heli-Skifahren in Landschaften und Naturdenkmälern von nationaler Bedeutung nichts zu suchen habe. Doch geschehen ist nichts Es wird weiterhin Heliskiing betrieben im Gebiet Monte-Rosa-Matterhorn-Dent Blanche, einer der grossartigsten Gletscherregionen der Welt. Das Bundesamt hüllt sich in Schweigen, und die Gemeinde Zermatt fordert mittlerweile gar, das Monte-Rosa-Gebiet sei aus der Bundesarchiv-Liste der Naturdenkmäler zu entfernen. Heli-Skiing sei wichtiger.
Kontorsionisten in der Höhle
In der engen Schneehöhle wird selbst die kleinste Bewegung zur Mühsal: die Skischuhe abziehen unter Ächzen und Stöhnen, Kleider wechseln, Luftmatrazzen aufblasen - Kontorsionen von Schlangenmenschen. Es ist lange her, dass ich mein letztes Iglu gebaut habe, und ich merke, wie viele wichtige Details ich vergessen hatte. Zum Beispiel, trockene Socken mitzunehmen. Denn vom Aufstieg über den Gletscher in der Nachmittagshitze sind die Füsse nassgeschwitzt. Und jetzt bewirken die feuchten Socken im Schlafsack in kurzer Zeit, dass die Füsse nur noch als Eisklumpen gefühlt werden. Das wird die Nacht über so bleiben und ist ein probates Mittel gegen jeglichen Schlaf-Versuch. Auch die Innenschuhe der Skistiefel trocknen nicht recht, und dasselbe gilt für die Steigfelle. Aber man kann ja nicht die halbe Ausrüstung mit in den Schlafsack nehmen, um sie mit Körperwärme zu trocken.
Die Tagwacht ist ein Ruf in der Dunkelheit um vier Uhr. Die Skischuhe in der niedrigen Schneehöhle anzuziehen, erweist sich als unmöglich. Also in den Innenschuhen hinaus in den Schnee. Draussen beissende Kälte und Stirnlampen, die die Dunkelheit quer und kreuz durchschneiden. Balancieren auf einem Bein, um den Klettergurt anzulegen. Stolpern über Seile und Material. Das Eis von den Skiern kratzen, um die Felle anzudrücken. Ein Paar nasse Handschuhe blieben versehentlich draussen und sind zu steifen Brocken gefroren. Es dauert seine Zeit bis die Seilschaften gebildet sind und sich langsam in Bewegung setzen. Eine Kette von Lichtern in der Dunkelheit.
Gegen sechs Uhr können wir die Stirnlampen ausschalten. Das Matterhorn und die umliegenden Gipfel leuchten hinter uns in der blassroten Morgensonne, doch wir spüren auf dem schattigen Nordhang noch nichts von Wärme. Im Gegenteil, zwischen Séracs und Gletscherspalten herrschen eisige Temperaturen. Der Tee in meiner Flasche ist in Kürze zum Eisklumpen gefroren. Die Schritte und das Atmen werden ein wenig kürzer, je mehr wir uns der Viertausender-Grenze nähern.
Stop Heliskiing am Monte Rosa
Gegen halb neun gelangen wir auf die sonnige Gletschermulde, wo der offizielle Heli-Landeplatz liegt. Er ist mit Fähnchen markiert. Hier oben, unter der eisig gleissenden Wand des Vorgipfels der Dufourspitze und den gewaltigen Eisbalkonen, die vom Silbersattel herabhängen, geht ein leichter, aber kalter Wind. Wir wählen unsere Positionen und spannen die Transparente: „Stop Heliskiing am Monte Rosa“
Unten im Tal von Zermatt liegt eine dichte Nebeldecke, die sich nur langsam auflöst. Vielleicht ist das der Grund, warum es lange dauert, bis der erste Helikopter anfliegt. Er landet nicht auf dem vorgeschriebenen Platz, sondern weiter oben am Silbersattel gleich unter der Dufourspitze. Also eine illegale Landung, falls es sich nicht um einen Rettungsflug handelt. Das wissen wir nicht. Ausser der Schneewolke, die die Rotoren hochblasen, können wir nichts sehen. Es ist wie so oft: Kennzeichen oder Helikoptertyp festzustellen, ist schwierig und auf grössere Entfernung unmöglich. Man kann nicht einmal ausschliessen, dass es sich um eine Heliski-Firma handelt, die von Italien herüber flog. Es gibt wohl selten Anzeigen, und die Polizei hat keine Möglichkeit, illegale Heli-Ski-Aktivitäten in der Schweiz zu kontrollieren.
In Deutschland, Frankreich, Österreich und Italien ist das Heli-Skiing verboten oder in wenigen Ausnahme-Gebieten strikt reglementiert. Nur in der Schweiz wird es mit Eifer und von Jahr zu Jahr ausufernder betrieben. Bergsteigerinnen und Skitourengeher, welche die letzten Oasen der Stille suchen, ärgern sich über die Tourismus-Flüge. Das motorisierte Bergerlebnis macht die Alpen definitiv zum leichten und schnellen Konsumgut. Da kaufen sich wenige Gutverdienende einen Fast-Food-Alpinismus auf Kosten vieler anderer. Wenn wir zulassen, dass Helikopter das Bergsteigen ersetzen, so ist das letzlich eine zynische Absage an den Bergsport als Tradition und Teil der Alpenkultur.
Gebetsmühlen
Die Air Zermatt und viele Walliser Hoteliers behaupten, Heli-Skiing sei ein unverzichtbares Angebot, um im internationalen Tourismus-Business mithalten zu können. Es sei eine wichtige Einkommensquelle für Bergführer und Heli-Firmen und notwendiges Zusatz-Training für die Piloten. Argumente, die in Form einer Gebetsmühle seit Jahren vorgebracht werden und im Bundesamt für Zivilluftfahrt offenbar auf offene Ohren stossen.
Die Wahrheit ist, dass z.B. im Kanton Wallis die Wertschöpfung im Tourismus, die das Heliskiing produziert, nur im Promille-Bereich liegt. Unbestreitbar ist weiter, dass Heliskiing eine Kampfansage an Naturschutz, Nachhaltigkeit und sanften Tourismus darstellt. Und ebenso einleuchtend ist, dass die hervorragende Arbeit, die die Schweizer Helipiloten in der Bergrettung und im Materialtransport leisten, nicht steht oder fällt mit dem Heli-Skiing. Die Rega braucht kein Heli-Skiing, um ihre Piloten auszubilden.
Seilziehen
Vor der Abfahrt hat Bergführer Alex noch einmal die Karte studiert: „Wir müssen da vorn ein paar grössere Spalten überqueren. Man sieht sie zwar nicht, aber es ist besser, wenn wir da nochmal anseilen“.
A la bonne heure! Minuten später spüre ich einen Ruck am Seil. Eine Schneebrücke ist eingebrochen, und Kameramann Philipp ist hinter mir in einer Spalte verschwunden. Es ist nicht schwer, ihn mit vereinten Kräften zu halten. Er kann die Ski abziehen und hinaufgeben, und wir befördern ihn im direkten Seilzug nach oben.
Die Abfahrt im zerfahrenen, eisigen Gelände ist kein Vergnügen. Erst weiter unten hat die Sonne den Schnee aufgeweicht, und wir können es sausen lassen über den schier endlosen, flachen Gornergletscher. Am Ende wird das Abenteuer begossen: mit grossen Kübeln Panaché im alten Bergbeizli Aroleid. Santé sans héliski!