Vor der Wahl ist nicht gezwungenermassen nach der Wahl. Vor der Wahl sagen alle Kandidaten, sie betrachteten sich, wenn gewählt, in erster Linie als Mitglied des Regierung, die die Gesamtverantwortung trägt, die grossen Linien skizziert, das Wohl des ganzen Landes verfolgt – und nur in zweiter Linie als Departementsvorsteher bzw. -vorsteherin. Nach der Wahl weichen solche Bekenntnisse schnell den Partei- und Sonderinteressen. Auch diesmal hat der Kampf um die Ministerien – anscheinend wurde heftig debattiert – die festlich-weihevolle Stimmung der vergangenen Wahlwoche rasch und unerbittlich weggefegt.
Das Problem der Seilschaften
Dass es Eveline Widmer-Schlumpf ins Finanzdepartement zog, ist durchaus verständlich. Sie war jahrelang Finanzdirektorin in Graubünden, sie ersetzte den erkrankten Hans-Rudolf Merz in einem einzigartig schwierigen Moment der Geschichte des Schweizer Finanzplatzes – und sie zeigte in jenen spannungsreichen Wochen, was sie kann. Viel Einarbeitungszeit in der neuen Domäne wird sie also nicht brauchen. Nur, länger als ein Jahr wird sie dort kaum verbleiben. Denn es ist wenig wahrscheinlich, dass ihre BDP in den Gesamterneuerungswahlen vom Herbst 2011 einen Wähleranteil von deutlich über 10 Prozent erzielen kann – jene Quote, die im Sinne der Zauberformel zum Einzug in die Regierung berechtigt.
Positiv bei diesem Wechsel ist indes, dass nach 15 Jahren freisinniger Leitung (Kaspar Villiger, dann Hans-Rudolf Merz) das Departement in andere Hände kommt. Meilenweit liegen die politischen Positionen von BDP und FDP zwar nicht auseinander, doch jeder Bundesrat ist, auch wenn er behaupten sollte, über den Parteien zu stehen, ein Mensch – und Menschen suchen Nähe, in diesem Zusammenhang Parteifreunde, die sie an wichtigen Stellen einsetzen. So entstehen die Seilschaften, denen ein Hang zur Verfilzung eigen ist.
Schneller sprechen als denken
Insofern ist auch ein Wechsel im UVEK zu begrüssen. 15 Jahre sass SP-Bundesrat Moritz Leuenberger an der Spitze dieses Departements. Seine Leute prägten die Politik. Die Resultate können sich sehen lassen, in der Verkehrspolitik mehr als etwa im Sektor Energie. Neue Leute, neue Perspektiven und Ansätze sind erwünscht. Dass Doris Leuthard dieses Departement anstrebte, verwundert nicht. Es gehört zu den prestigereichsten. Doch ist sie dort am richtigen Ort? Von besonderen Sensibilitäten für den Umweltschutz ist wenig bekannt, auch nicht, wie sie den langfristigen Ausstieg aus der Kernenergie anzupacken gedenkt. Zweifel erheben sich auch an ihrem politischen Mutterschoss – der CVP. Diese „Partei der Mitte“ steht überall und nirgendwo. Man kann nur hoffen, dass ihr Parteipräsident, der dauernd schneller spricht als denkt, nicht zu grossen Einfluss nimmt auf sie.
Gewissermassen „klassisch“ ist die Besetzung des Volkswirtschaftsdepartements durch Johann Schneider-Ammann. Das EVD war seit jeher quasi ein Lehen der Freisinnigen – in den 60er Jahren dirigierte es der Aargauer Hans Schaffner, dann die Zürcher Ernst Brugger und Fritz Honegger, denen, mit Unterbrüchen, Jean-Pascal Delamuraz und Pascal Couchepin folgten. Die Linken bezeichneten diese Herren oft als „Platzhalter“, die dafür sorgen sollten, dass die Wirtschaft liberal bleibt und nicht in Regulierung abdriftet.
Nun kann Sommaruga Brücken bauen
Schneider-Ammann dürfte als Wirtschaftsliberaler diese Platzhalter-Tradition weiterführen. Aber er ist auch ein typischer Werkplatz-Vertreter, der die reale Wirtschaft kennt und sich bewusst ist, dass dort nicht nur das Kapital, sondern auch der (Arbeit nehmende) Mensch zählt. Als die Abzocker ihre Hochzeiten feierten, war Arbeitgeber Schneider-Ammann um starke Worte gegen die Ospels & Konsorten nicht verlegen. Jetzt muss er zeigen, dass er gegen diese Kreise nicht nur anredet, sondern auch etwas unternimmt.
Die grosse Überraschung im Würfelspiel um die Departemente ist die Inthronisierung Sommarugas im Justiz- und Polizeidepartement – Krönung einer Karriere, die ihresgleichen sucht: Konzertpianistin, Konsumentenschützerin, Justizministerin. Im Visier hatte sie dieses Departement gewiss nicht. Doch warum soll dessen Zuweisung für sie, wie SP-Präsident Levrat wetterte, eine „Strafaktion“ sein?
Über Sommaruga wurde vor der Wahl ein wahres Füllhorn an Lorbeeren ausgeschüttet – das schönste Lob: sie sei eine begnadete Brückenbauerin. Im Bereich des EJPD ist das Bauen von Brücken eminent wichtig. Denn gerade in diesem Departement werden Gesetze vorbereitet, die das Zusammenleben in der Gesellschaft und den Umgang mit Ausländern regeln. Juristin ist die neue Justizministerin nicht, das muss sie für diesen Job auch nicht zwingend sein. Wichtiger ist, dass sie einen klaren Blick auf die Verhältnisse hat und spürt, wo die Leute der Schuh drückt. Und dass sie, wenn Gesetze gemacht werden, Brücken baut. Es braucht auf diesen teils hochemotionalen Feldern exakt jene Qualitäten, für die sie vor der Wahl belobigt wurde.
So macht, von der Sache her, Sommarugas Einzug in dieses wenig geliebte Departement Sinn. Neue Lorbeeren zu holen, wird allerdings schwierig sein – darin liegt der Grund für die wilden Angriffe des SP-Präsidenten auf den Rest des Gremiums.