Eine einzige Strasse in der zweitgrössten Stadt des Südkivu ist noch asphaltiert, an der Rändern bricht der Asphalt schon ein, über weite Strecken ist er bedeckt von einer Sandschicht. Hunderte Moto-Taxis, das Hauptverkehrsmittel in dieser Stadt, rasen darüber hinweg. Die Journalisten kommen zu Fuss, manche sind über eine Stunde unterwegs zur Redaktionssitzung.
Zuerst Sendekritik, 8 Frauen und 2 Männer diskutieren intensiv über die Infosendungen vom Vorabend. „Warum war die Aussage der Marktfrau in der französischen Ausgabe nicht übersetzt?“ „Warum fiel der Auslandteil ganz aus?“
Das Ritual Sendekritik ist dasselbe wie in vielen Redaktionen auf der Welt. Viel Palaver und morgen machen wir’s nicht anders.
Journalistenausbildung
Vielleicht doch. Désiré, erfahrener Journalist und Ausbildner aus Burundi und ich sind für eine Woche in der Redaktion von „Messager du Peuple“, dem einzigen assoziativen Radio in Uvira. Versuchen den Kollegen, die keine Journalistenausbildung haben, Tipps für ihre Arbeit zu geben. Nach der Sendekritik diskutieren sie heftig über Themen, suchen Ideen für ihre Geschichten, diskutieren die wichtigen Fragen: Schüsse heute Nacht oberhalb Uviras - stehen sie im Zusammenhang mit der Absetzung des Quartierchefs? „Man müsste hinfahren können“. Die Kasse ist leer. „Zu Fuss da hoch?“ „Das dauert zwei Stunden“. „Haben wir noch Unités?“ „Vielleicht könnten wir telefonieren.“
„Warum ist der grosse Markt halbleer und die Marktfrauen bieten ihre Mangos, Avocados, den gedörrten Fisch entlang der Hauptstrasse feil? Patience, versuch’ das rauszufinden. Und mach Interviews“. „Wie denn, wir haben keine Aufnahmegeräte?“ Wir helfen aus. Legen Geld in eine Kasse, damit die Journalisten ein Moto-Taxi nehmen können.
Dann laufen wir los. Ich begleite die Gruppe. „Nehmen wir kein Taxi?“ – „Es ist nicht weit.“ „Ihr habt das Geld doch gekriegt“. „Mmh, ja“. Wir laufen weiter.
Platz 2 bei den "Failed states"
Auf dem Markt sind nur etwa drei Viertel der Stände besetzt. Trotzdem suchen Frauen Plätze, um ihre Ware feilzubieten. Die freien Plätze sind alle vergeben, erfahren. Die Platzmieter ziehen es vor, auf der Hauptstrasse zu handeln, den Platz vermieten sie weiter. „Frag nach, wie viele das sind!“ Die Hälfte der Frauen arbeiten an einem untervermieteten Platz, für den sie bis zu fünf mal mehr zahlen als der offizielle Preis. Wir diskutieren, das ist das Thema, das wir heute umsetzen! Also weiter, zum Marktchef.
„Wir werden das ändern“, sagt der. „Frag, wann das sein wird“, rate ich dem Journalisten. Der Marktchef weicht aus. Ich nehme das Mikro selber in die Hand, bin hartnäckig. „Am 15. machen wir eine Aktion und geben die Plätze denen, die sie jetzt besetzen“. „Befürchtet ihr Proteste?“ „Nein“, gibt sich der Marktchef überzeugt. Eine Viertelstunde später treffen wir seinen Vize. „Frag ihn das Gleiche!“ „Mmh, schwierig, das gibt sicher Demonstrationen, Aufruhr“. Also wird am 15. wohl nichts passieren oder wenn, dann ist am 16. schon wieder alles wie vorher. Wir sind im Kongo, dem Land, das in der neuen Liste der „failed states“ des Magazins „Foreign Policy“ auf Platz 2 liegt. Tendenz nach oben, noch schlechter funktioniert nur noch der Sudan.
Ein einziger Laptop
Am Mittag zurück in der Redaktion. „Schreibt so, dass die Marktfrau euch verstehen! Schreibt, wie ihr im Alltag redet.“ Wir üben, sie setzen sich ein, diskutieren, schreiben eine Meldung um, von Hand, auf halbe A4-Blätter. Laptops gibt es einen einzigen in der Redaktion. Zwei weitere stehen im Cyber-Kaffee nebenan, das etwas Geld einspielt für das Radio.
Um halb fünf Hektik, jetzt werden die Beiträge geschrieben. Auf dem einzigen Computer schneiden einige Journalisten werden Interviewtöne. Um Viertel vor sieben ordnet der Moderator die Beiträge, schreibt an seinen Moderationen.
Kurz nach sieben, mit wenig Verspätung, Sendung. Der Moderator liest die handgeschriebenen Beiträge der Kollegen, einige prima vista. Er hat sie zuvor nicht mehr ansehen können.
10 bis 20 Dollar Lohn pro Monat
Man stelle sich da bei uns vor: Der Moderator, der am Tag auf Reportage war, liest in der Sendung 15 von KollegInnen von Hand geschriebene Texte vor.
Er schafft das irgendwie, umschifft Klippen, nimmt bei schwierigen Namen ein paar Anläufe. Das wird ihm Kritik einbringen morgen. Während er liest, sind die andern noch dran, ihre Beiträge auf Kiswahili zu übersetzen für die Sendung um 1945.
Die ersten Journalisten gehen um 18.30 Uhr nach Hause, die letzten um 20 Uhr. Ein Arbeitstag von 12 Stunden. Und wofür? Weil sie etwas ändern möchten im Kongo, die Leute informieren. Und für die 10 vielleicht 20 Dollar am Ende des Monats, wenn das Cyber-Café genug eingespielt hat. Für 10 Dollar gibt’s auf dem Markt gerade mal 10 Kilo Mais, Zucker oder Reis.
Darum sind wir am Morgen gelaufen, haben die 1000 francs congolais für das Taxi gespart. Das ist so viel wie sie in 3 Tagen verdienen, sie arbeiten sechs Tage die Woche.
Der Chauffeur verschwindet mit 3 Millionen Dollar
Wir sind beeindruckt, beschämt, vom Einsatz dieser Leute. Wieder einmal begreife ich nicht, warum in einem Land, wo wir viele Menschen treffen, die sich so reinhängen wie unsre Journalistenkollegen, nichts geschieht.
Warum sich das Land sich immer noch rückwärts entwickelt. Politiker die Menschen hintergehen können und die Menschen das hinnehmen: „Das ist halt so ist im Kongo, aber vielleicht erleben unsere Kinder etwas Besseres“, sagt ein Kollege, kaum 30 Jahre alt.
Und dann wäre da noch die beste Geschichte, die ich diesmal gehört habe. Internationale Geldgeber hatten 14 afrikanischen Ländern Geld gegeben, damit sie ein Glasfaserkabelnetz aufbauen können. In 13 Ländern ist das Kabel verlegt, nicht so im Kongo.
Der Kommunikationsminister der wiedergewählten Regierung Kabila erklärte am 7. Juni vor dem Parlament, dass 3 Millionen USD verschwunden seien. Ein Chauffeur des Ministeriums sei zur Bank gegangen, hätte das Geld abgehoben und sei damit verschwunden.
Die Chancen des Kongo, nächstes Jahr auf Platz eins der Liste der „failed states“ zu landen, sind intakt.
Hansjörg Enz war im Juli/August für die Deutsche Welle Akademie als Journalisten-Trainer im Kongo.