„Wir kopieren Gesetze der EU, aber niemand befolgt sie. Die Medien veröffentlichen das, was die Machtelite in Politik und Wirtschaft wünscht und nicht das, was im öffentlichen Interesse wäre.“ Die Mediensoziologin Snezana Trpevska (Mazedonien) entwirft ein düsteres Bild der Medienszene in Ex-Jugoslawien. Nach dem Ende des sozialistischen Regimes seien die Medien privatisiert worden. Die neuen Besitzer hätten sich als Tycoons entpuppt, die nicht am Journalismus interessiert seien, sondern die Medien nur als Sprachrohr ihrer Interessen benützten. Trpevska: „Seit 2010 stellen wir eine Kolonialisierung fest. Es hat eine eigentliche „state capture“ (Privatisierung des Staates) stattgefunden.“
Intransparente Privatisierung
Swetlana Lukic ist nicht sicher, wer in der Balkan-Region in der miesesten Situation stecke. „Sicher ist: Wir in Serbien haben die meisten Medien, 1.400 heisst es, und eines ist schlechter als das andere. Und dieses Chaos wurde mit Absicht eingerichtet.“ Dazu gehöre auch, dass niemand wisse, wem Medien gehörten. Lukic, eine bekannte Journalistin und Medienkennerin, kritisiert die EU. Sie unterstütze Gesetze, die eine intransparente Privatisierung erlaubten. Journalisten in Serbien hätten es mit klassischer Zensur aus der Zeit des Sozialismus zu tun wie auch mit den Methoden der „neuen Diktatoren“.
Lukic und Trpevska sprachen an einer von Serbiens Helsinki-Komitee sowie der „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (OSZE) durchgeführten Konferenz in Belgrad zum Thema „Meinungsfreiheit, Medienvielfalt und (Selbst)-Zensur.“
Die EU nur ein „Instrument zu Bereicherung und Machterhaltung“
Aus der Perspektive der Konferenzteilnehmer in Belgrad fiel der Blick auf Brüssel ernüchternd aus: Die meisten Politiker würden die EU nicht als Ziel sondern als Werkzeug verstehen. Politik mache man nicht, um die Realität positiv zu beeinflussen, sondern um reich und mächtig zu werden. Medien, die nicht bereit seien, blind zu akzeptieren, was ihnen erzählt werde, würden als Feinde betrachtet. Journalisten erhielten Morddrohungen, würden physisch angegriffen und getötet. Und dies erfolge unter den Augen von Hunderten von EU-Beamten.
Ein Journalist aus Kosovo kritisiert die auf dem Balkan stationierten internationalen Organisationen: „Die demokratischen Prinzipien, für die die internationale Gemeinschaft und die EU öffentlich werben, wurden im Interesse der Stabilität geopfert.“
Im Stich gelassen
Viele der in Belgrad anwesenden Medienschaffenden aus den Balkanstaaten fühlen sich im Stich gelassen. Über ihre dramatische Lage werde in den internationalen Medien nur noch selten berichtet, weil es in Ex-Jugoslawien keine offenen Konflikte mehr gebe. Übersehen werde, dass die Ursachen der Kriege in den 90er Jahren noch lange nicht bewältigt seien.
Tatsächlich sind die Scheinwerfer heute nach Osteuropa gerichtet, wo der Russland-Ukraine-Konflikt ausgebrochen ist. An einer ebenfalls von der OSZE durchgeführten Konferenz in Wien (15. - 16. Juni) sass Russland auf der Anklagebank. Ausführlich wurde die Propagandamaschine des Kreml thematisiert. Die Information werde in einem „hybriden Krieg“ als Waffe eingesetzt. (Journalismus zwischen den Fronten. Journal21. 11. Juli 2015)
Der Kreml nützt die Schwächen des Westens aus
Zu wenig beachtet wird, wie Moskaus Propaganda die Schwächen des Westens ausnützt. Zum Beispiel: Die staatlich kontrollierten russischen TV-Sender werden wegen ihrer Hasspropaganda kritisiert. Die gleichen TV-Stationen werden aber von bekannten westlichen Firmen wie Mercedes, IKEA, Procter and Gamble mit Werbung finanziert. An diese Tatsache erinnert Vasily Gatov, der als Berater beim Aufbau der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti tätig war (Peter Pomerantsev. We are all Putin`s useful idiots). „Besser als gegen die russische Propaganda zu schimpfen, wäre es, wenn die westlichen Firmen auf ihre Werbung verzichten würden,“ meint Gatov. Aber Russland ist heute Teil des globalisierten Marktes, auf den viele westliche Firmen nicht verzichten wollen.
In Russland ist nicht einfach alles schwarz oder weiss. Darauf aufmerksam macht Daria Sukhikh. Die Juristin verteidigt in St. Petersburg Ludmilla Sawtschuk. Sawtschuk hat sich in Interviews mit westlichen Medien als Propaganda-Trolle des Kreml geoutet. Die Existenz der Trollfabrik in St. Petersburg, wo angeblich mehrere hundert Personen gegen Bezahlung kremlfreundliche Kommentare ins Internet stellen, ist dank Sawtschuks Aussagen an die Öffentlichkeit gelangt. „Dass der Fall Sawtschuk auch vor Gericht zur Sprache kommen kann, ist ein Zeichen, dass in Russland der Rechtsstaat immer noch funktioniert, - trotz allem“, meint Sukhikh. Ihr Juristenteam nennt sich „Team 29“. Artikel 29 der russischen Verfassung garantiert Gedanken- und Redefreiheit und verbietet Propaganda und Agitation, die zu sozialem, rassenbedingtem, nationalem oder religiösem Hass und Feindschaft aufstacheln.
Erdogan und Putin
In Belgrad verglich die türkische Journalistin Baris Ahintas, (Punto 24) Zustände unter Präsident Erdogan mit Putins Russland. Beide Länder würden von autoritären, prunksüchtigen Herrschern regiert. In der Türkei befänden sich Dutzende von Journalisten im Gefängnis. Die Selbstzensur sei weit verbreitet wegen der Angst vor Arbeitslosigkeit. Wie in Russland und in den Ländern des Balkans würden die meisten Journalisten auch in der Türkei nur das schreiben, was ihre Vorgesetzten von ihnen hören wollten. In einem entscheidenden Punkt unterscheidet sich aber die Türkei von Russland. Die Türkei ist Mitglied der Nato, die vor kurzem Russland wieder zum Feind erklärt hat.
Und westlich von Wien?
Was im OSZE-Raum „westlich von Wien“ in der Medien-Szene passiert, wurde in den Konferenzen von Wien und Belgrad zu wenig thematisiert. Keine Frage: In Deutschland oder der Schweiz müssen Journalisten nach kritischen Artikeln nicht mit physischen Attacken oder Morddrohungen rechnen.
Aber auch in den News Rooms der Schweiz und Deutschlands, das bestätigen Umfragen, herrscht heute Angst. Es ist die Angst vor der nächsten Sparrunde. Wen trifft es und wo kann ich noch unterkommen, fragen sich Journalisten. In der Schweiz haben in vielen Regionen Medienkonzerne eine monopolähnliche Stellung inne. Das heisst, Journalisten haben immer weniger Möglichkeit, den Arbeitgeber zu wechseln. So wird die „Schere im Kopf“ (Selbstzensur) auch hierzulande journalistischer Selbstschutz.
„The right to Information as a public good“ war in Belgrad ein brisantes Thema. Das „Recht auf Information als öffentliches Gut“ ist in den Verfassungen der Balkanländer und Osteuropas garantiert, wird aber selten praktiziert. Auch hier hätte sich ein Blick über den Balkan und Osteuropa hinaus gelohnt. Natürlich herrschen in der Schweiz oder Deutschland (noch) keine Medien-Tycoons mit intransparenten Eigentumsverhältnissen. Unbestritten ist aber, dass Kommerzjournalismus auch „westlich von Wien“ zu einer Abnahme an Medienvielfalt und Qualitätsjournalismus geführt hat. Auch in Westeuropa wird die Information von den Verlegern als Ware und nicht als „öffentliches Gut“ betrachtet. Die Medien werden weitgehend dem Markt überlassen.
Undifferenzierte Berichterstattung ...
Folgen der Kommerzialisierung der Medien sind in der Berichterstattung zu beobachten. Nach der gewaltsamen Eskalation des Konflikts in der Ukraine sowie zwischen der Ukraine und Russland beobachten Umfragen in Deutschland eine „Dämonisierung Putins“, bei der kaum noch zwischen der Person, dem Amt und dem von Putin regierten Land unterschieden wird. „Stoppt Putin jetzt“ stand auf einem viel zitierten Cover des „Spiegel“ (28. Juli 2014). Es liegt auf der Hand: Ein extrem personalisiertes und monolithisches Russlandbild lässt sich besser verkaufen als eine Analyse, welche die vielschichtigen Motive der russischen Ukraine-Politik erklärt. Die undifferenzierte Berichterstattung schlägt sich in einer polarisierten öffentlichen Meinung nieder. Die Öffentlichkeit verliert das Vertrauen in die Medien (Russland-Analysen Nr.300, 17. Juli 2015).
...neues Feindbild Russland
Das überwunden geglaubte Feindbild Russland ist auch ein Ergebnis einer einseitigen Berichterstattung. Auf das macht Erhard Eppler aufmerksam. Der ehemalige deutsche Entwicklungsminister stellt den Medien Fragen: „Über alles, was im isolierten, bestraften und gedemütigten Russland an Bedenklichem vor sich geht, werden wir eingehend informiert... Aber warum wird über das, was in Kiew an Hassparolen und Wunschträumen produziert wird, einfach geschwiegen? Warum erfährt die Öffentlichkeit so wenig über die ökonomische Misere in der Ukraine? Die Öffentlichkeit müsste erfahren, dass weder die EU gegen Russland noch Russland gegen die EU diesem heruntergewirtschafteten und hochkorrupten Land wirklich helfen kann. Dass nur die EU und Russland zusammen die Ukraine sanieren können.“ (Blätter für deutsche und internationale Politik 7/2015) .
Schwieriger Dialog
Am Ende der Konferenz in Belgrad kam aus Wien die Nachricht, dass sich dort die Journalistengewerkschaften der Ukraine und Russland zum siebten Mal getroffen hätten. Dieser schwierige Dialog zwischen den Journalistenverbänden der beiden Konfliktparteien findet dank der Initiative der Medienbeauftragten der OSZE, Dunja Mijatovic, statt.
Die 57 Mitgliedstaaten zählende OSZE wird oft als träges bürokratisches Monster kritisiert. Beschlüsse können nur im Konsens verabschiedet werden. Die OSZE, die am 1. August 2015 als Nachfolgeorganisation der KSZE ihr 40 jähriges Bestehen feierte, hat sich jedoch gerade in der Krisensituation des Ukraine-Russland-Konflikts als besonders notwendig erwiesen. Und dies dank Persönlichkeiten wie Mijatovic, denen es gelang, den Dialog zwischen den ukrainischen und russischen Journalistenverbänden anzustossen sowie Konferenzen zum Thema „Information und Propaganda“ zu organisieren.
„Hoffnung, gehört zu werden“
Sofort drängt sich die Frage auf, wie nachhaltig solche Konferenzen mit ihrem oft „akademischen Gefasel“ und „diplomatischen Getue“ sind. Fest steht, die Vertreter der Zivilgesellschaft lassen sich davon nicht abschrecken. Sie stellen sich oft als „Aktivisten“ vor, weil sie ja etwas bewegen wollen. Organisiert sind die Vertreter der Zivilgesellschaft in einem den ganzen OSZE-Raum umfassenden Netzwerk von rund 60 NGOs („Civic Solidarity Platform“). Ihr nächstes Ziel ist es, Vorschläge für neue „Commitments“ zum Schutz der Meinungsfreiheit und der Journalisten zu sammeln, die sie in einer Abschlusserklärung der Aussenminister der OSZE im Dezember in Belgrad einbringen wollen.
„Hat die Zivilgesellschaft in der OSZE überhaupt eine Chance und wie verbindlich sind die Commitments?“ fragte ich Andrey Rikhter. Der Direktor des OSZE-Büros für Medienfreiheit und Professor an der Journalismus-Schule der Moskauer Lomonosow Universität äussert sich diplomatisch: „Wir können nur hoffen, dass die Vertreter der Zivilgesellschaft von den Regierungen gehört werden.“