Der Zeitraum, der durch die Eckdaten 1947 und 1989 begrenzt wird, ist unter dem Namen „Kalter Krieg“ in die Weltgeschichte eingegangen. Über vierzig Jahre lang herrschte zwischen den zwei Supermächten, den USA und der Sowjetunion, ein prekäres „Gleichgewicht des Schreckens“. Kapitalismus und Kommunismus standen sich in unversöhnlicher Feindschaft gegenüber.
Nur in einem Punkt gab es Übereinstimmung
Nur in einem Punkt stimmte man überein: Ein dritter Weltkrieg, der angesichts der beidseitigen atomaren Bewaffnung zur Katastrophe werden konnte, sollte vermieden werden. In Europa verlief die Grenze zwischen östlichem und westlichem Einflussbereich durch das geteilte Deutschland. Mehrmals mussten bedrohliche Berlin-Krisen entschärft werden. Im Jahre 1961 sperrte die DDR ihre Grenze und errichtete die Berliner Mauer, um die Abwanderung ihrer Bürger in den Westen zu stoppen.
Als sich 1953, 1956 und 1968 in Ostberlin, Budapest und Prag die Bevölkerung gegen das sowjetische System erhob, verzichteten die USA, um den Weltfrieden nicht zu gefährden, auf eine militärische Intervention. Zur gefährlichsten Krise kam es 1962, als Russland unter amerikanischem Druck die Raketen abzog, die es in Kuba hatte stationieren wollen. Fast jedes Land der Erde, auch das „blockfreie“ Jugoslawien und die neutrale Schweiz, wurde in dieses bipolare Spannungsfeld hineingezogen.
Konsumgesellschaft als bolschewistische Verschwörung?
In Afrika und Asien kam es zu den sogenannten „Stellvertreterkriegen“, an denen Moskau und Washington in irgendeiner Weise, etwa durch Waffenlieferungen, beteiligt waren. In den Demokratien des Westens, die sich stolz als „freie Welt“ bezeichneten, stellte sich die Frage nach der Berechtigung kommunistischer Parteien und Gruppierungen. In den USA löste Senator Joseph McCarthy 1950 eine Jagd auf tatsächliche oder vermeintliche Kommunisten aus. Auch in Westeuropa hatten Verschwörungstheorien Konjunktur: Man fürchtete die Unterwanderung der Sozialdemokratie mit radikalen Elementen, Personen, die politisch verdächtig schienen, wurden nachrichtendienstlich registriert, und man sah überall, zuweilen zu Recht, Spione am Werk.
„Es gibt Leute“, bemerkte der Schweizer Historiker Jean Rudolf von Salis im Jahre 1961, „die in einer harmlosen Konsumgesellschaft ein bolschewistisches Verschwörernest wittern. Denn es gibt eine antikommunistische Angstpsychose, Menschen mit Verfolgungswahn, die einen Kommunisten an jeder Strassenecke und abends unter ihrem Bett oder im Kleiderschrank vermuten...“ Zwar gab es während der Zeit des Kalten Krieges hin und wieder Phasen der Entspannung, aber es gelang nur in geringem Umfang, das gegenseitige Wettrüsten in den Griff zu bekommen.
In fünf Wochen niedergeschrieben
Wo immer West und Ost sich begegneten, in der Diplomatie, an wissenschaftlichen Tagungen und bei kulturellen Veranstaltungen, herrschte Misstrauen. Wollte man das Klima des Kalten Kriegs mit einer Farbe bezeichnen, müsste man ein düsteres Grau wählen, jenes Grau, das sich in undurchdringlichen Nebelschwaden über die politische Landschaft senkte und jede Möglichkeit der Verständigung im Keim erstickte.
Es gibt kein Buch, in dem das Klima des Kalten Krieges besser und bedrückender erfasst wird, als in John Le Carrés "Der Spion, der aus der Kälte" (dt. Ausg. 1964) kam. Das Buch wurde in vielen Sprachen zum Bestseller und ist bis heute das bekannteste von den vielen bekannten Büchern des Autors geblieben. Le Carré war, als er den Roman in fünf Wochen niederschrieb, Agent des Auslandgeheimdienstes an der Britischen Botschaft in Königswinter bei Bonn.
Ein Erfolg der DDR-Spionageabwehr
Kurz bevor er mit der Niederschrift begann, hatte er die Berliner Mauer besichtigt. „Was ich vor mir sah“, schrieb er später. „war in der Tat nicht zum Lachen, und im tiefsten Inneren empfand ich nur Abscheu und Entsetzen, genau dasselbe also, was von mir erwartet wurde. Die Mauer war eine perfekte Inszenierung, zugleich aber auch ein perfektes Symbol der Ungeheuerlichkeit einer überspannten Ideologie.“
Die Handlung des Buches beginnt damit, dass ein Agent des Britischen Geheimdienstes beim Überqueren der Berliner Zonengrenze von der Volkspolizei erschossen wird. Damit ist es der Nummer Zwei der ostdeutschen Spionageabwehr, Hans-Dieter Mundt, gelungen, das Agentennetz zu zerschlagen, das Alec Leamas in der DDR aufgebaut hat. Leamas kehrt in die Londoner Geheimdienstzentrale zurück im Bewusstsein, versagt zu haben und rechnet damit, entlassen zu werden.
Agent verliebt sich eine Kommunistin
Doch er wird mit einer neuen, seiner letzten Mission betraut. Er soll der ostdeutschen Spionageabwehr Informationen zuspielen, die Mundt als Doppelagenten so belasten, dass er von den eigenen Genossen unschädlich gemacht wird. Mundt ist der Typus des skrupellosen Ideologen, der sich einst den Nationalsozialisten ebenso bedingungslos zur Verfügung gestellt hat wie nun den Kommunisten. Leamas schlüpft in eine neue Identität und spielt, um die Aufmerksamkeit der Londoner DDR-Verbindungsleute auf sich zu lenken, in die Rolle des tief gekränkten Entlassenen, der sich an seinem früheren Arbeitgeber rächen möchte.
Die List gelingt, der DDR-Geheimdienst heuert ihn an, Leamas wird zum Überläufer. Man bringt ihn über Holland in die DDR, und er wird an einem abgelegenen Ort von Spezialisten der Spionageabwehr verhört. Es gelingt ihm, in seine Aussagen Bemerkungen einfliessen zu lassen, welche Mundt als Doppelagenten verdächtig erscheinen lassen. Doch Leamas hat einen Fehler begangen, den kein Geheimagent je begehen dürfte: Er hat sich in London in eine Kommunistin, die Bibliotheksangestellte Elisabeth Gold, verliebt.
"Es ist die Welt, die verrückt geworden ist"
Diese Frau wird unter einem Vorwand in die DDR gelockt und in einer geheimen Gerichtsverhandlung mit Leamas konfrontiert. Dabei macht sie, die über ihres Geliebten Mission nicht informiert ist, Aussagen, die zur Entlarvung von Leamas führen. Der Agent fühlt sich auch vom eigenen Geheimdienst hintergangen und erkennt, dass er als blosses Werkzeug eingesetzt worden ist. Hans-Dieter Mundts Stellung bleibt unangefochten. Einer seiner Untergebenen, der ihn aus dem Amt zu drängen suchte, wird erschossen. Leamas wird zusammen mit seiner Freundin freigelassen und von einem Mitarbeiter Mundts an die Zonengrenze gefahren.
Er sieht seine Mission gescheitert. „Glaube mir um Gottes Willen“, sagt er zu seiner Freundin, „ich hasse das alles, ich bin es leid. Aber es ist die Welt, die verrückt geworden ist. Wir wären doch nur ein kleiner Preis. Aber es ist überall das gleiche, Menschen, betrogen und irregeführt, ganze Leben weggeworfen, Menschen erschossen und im Gefängnis, ganze Gruppen und Klassen abgeschrieben – für nichts.“
Anders als bei James Bond
An einer bestimmten Stelle sollen Leamas und Liz in einem bestimmten Augenblick über die Mauer klettern. Doch plötzlich werden sie von einem Suchscheinwerfer der Volkspolizei erfasst und erschossen. Der Roman endet an der Zonengrenze, dort, wo er begann. Die Opfer sind diesmal Leamas und seine Freundin. Fast will es scheinen, als habe Mundt auch diesen Doppelmord kaltblütig geplant.
Der Roman von John Le Carré unterscheidet sich deutlich vom traditionellen Typ des Spionage-Thrillers, wie er zur selben Zeit von Ian Fleming in den James Bond-Romanen geschaffen wurde. Le Carré appelliert nicht an das Nationalgefühl des Lesers, das Freund-Feind-Schema spielt bei ihm eine untergeordnete Rolle, und es gibt bei ihm weder Helden noch Sieger.
Kafkaeske Hintergründigkeit
Die Agenten in Le Carrés Buch sind unauffällige Funktionärsfiguren, die gelernt haben, ohne Gefühle und ohne moralische Bedenken zu leben. „Ich glaube“, sagt einer von ihnen, „dass man in dieser Umgebung hier sehr rasch gefühllos wird. Hass oder Liebe gehören zu einer Tonleiter, die wir sehr bald nicht mehr wahrnehmen können.“ Wichtig ist für die Agenten bloss die Qualität der beschafften Information. Doch Le Carré lässt offen, ob diese Information überhaupt von irgendjemandem gebraucht wird, was seinem Roman einen Anschein kafkaesker Hintergründigkeit verschafft. Verdacht, Verschwörung und Verrat sind Wörter, die im Roman häufig vorkommen, und in der Tat vertraut niemand dem andern und Täuschung herrscht auch in den eigenen Reihen.
Auch in Le Carrés Roman herrscht ein düsteres, kaltes Grau. Das Wetter ist fast immer unfreundlich und regnerisch, die Menschen bewegen sich als teilnahmslose Schemen, kaum jemand lacht, kaum jemand ist betrübt. Nur in der Beziehung zwischen Leamas und der Bibliothekarin leuchtet eine Ahnung von Menschlichkeit auf; und es ist nur folgerichtig, dass gerade diese menschliche Beziehung für beide zum Verhängnis wird.
In Bern deutsche Literatur studiert
John le Carré, mit seinem bürgerlichen Namen David John Moore Cornwell, wurde 1931 in der Hafenstadt Poole, Grafschaft Dorset, geboren. Seine Kindheit und Jugend waren wenig glücklich, und mit Widerwillen durchlief er, wie er rückblickend einmal sagt, „den Gulag englischer Internate“. Während die Deutschen England bombardierten, weckte einer seiner Lehrer in ihm ein intensive Neigung für die deutsche Sprache und Literatur und das Bewusstsein, „dass es auch ein anderes Deutschland gab, ein feinsinniges, weit entfernt von dem, das wir zu kennen glaubten“.
An der Universität Bern studierte Le Carré in den Jahren 1948-1949 deutsche Literatur, um, wie er einmal schreibt, „die deutsche Seele zu begreifen“. Nach einer kurzen Lehrtätigkeit am Eton College trat er in den britischen Nachrichtendienst ein und war in Bonn, Berlin und Hamburg stationiert. „Ich verbrachte“, schreibt er später, „wenige nutzlose, aber meine persönliche Entwicklung bestimmende Jahre beim Britischen Nachrichtendienst.“
Le Carré zum Fall Jeanmaire
Heute lebt John Le Carré zurückgezogen, gibt wenig Interviews und meidet den Kulturbetrieb. „Ich hasse das Telefon“, schreibt er. „Ich lebe auf einem Kliff in Cornwall und hasse Städte. Ich schreibe, wandere und trinke.“ Dem Trunk ergeben sind übrigens auch viele seiner Agenten. Unter den einundzwanzig Büchern, die Le Carré bis heute geschrieben hat, befindet sich auch eines, das den Spionagefall des Schweizer Oberstbrigadiers Jeanmaire zum Thema hat: "The Unbearable Peace". Man erinnert sich: Im Jahre 1962 wurde der Schweizer Jean-Louis Jeanmaire wegen Spionage zugunsten der Sowjetunion zu einer Gefängnisstrafe von 18 Jahren verurteilt, von denen er zwölf Jahre absass.
Jeanmaire gab ziemlich belanglose Informationen an den russischen Luftwaffenattaché weiter, und man ist heute allgemein der Meinung, dass er ein kleiner Fisch im unauslotbaren Teich der Geheimdienste war und dass das Strafmass zu hoch war. Aber es war eben damals Kalter Krieg, und Bundesrat Kurt Furgler war unter den Kalten Kriegern einer der unduldsamsten.