In einem Fussballstadion der chilenischen Hauptstadt Santiago war nach dem Militärputsch ein riesiges Gefangenen-Lager eingerichtet worden. Unter den 5000 Oppositionellen, die dort festgehalten wurden, war der Sänger Victor Jara, eine bekannte Figur des regierenden Links-Bündnisses Unidad Popular. Seine Lieder waren den Generälen verhasst.
Soldaten brachen dem Guitarristen Finger und Handgelenke, bevor sie ihn töteten. Das ist jetzt 37 Jahre her, doch diejenigen, die Victor Jara umbrachten, kamen ungeschoren davon. Seine Frau Joan Jara hat bis heute vergeblich versucht, die Täter vor Gericht zu bringen.
Wer die Avenida Huérfanos in Santiago vom Zentrum nach Westen geht, lässt nach einer Viertelstunde die Hektik der Innenstadt hinter sich und gelangt an einen stillen Platz mit grossen Bäumen, die Plaza Brasil. Kein elegantes Viertel, eher ein Barrio Popular. Das rosafarbene Haus Nummer 2136 fällt von weitem auf durch ein grosses Wandgemälde. Es zeigt den Sänger Victor Jara. Das Haus beherbergt die Victor-Jara-Stiftung.
Müde aber nicht verbittert
Joan Jara – oder Juanita, wie sie hier genannt wird – ist die Präsidentin. Sie ist über achtzig. Pinochet ist lange tot, in Chile herrscht Demokratie und der chilenische Staat zahlt den Opfern der Militärdiktatur eine bescheidene Wiedergutmachung. Das Geld hat Joan in die Gründung der Victor-Jara-Stiftung gesteckt.
Sie hatte um ein paar Tage Bedenkzeit gebeten, bevor sie das Interview zusagte. Sie ist sehr still, strahlt eine grosse Ruhe aus. Eine Art Müdigkeit, aber keine Verbitterung. Joan Jara, geborene Turner, britische Staatsbürgerin. Beruf: Ballet-Tänzerin. 1954 kommt sie aus Grossbritannien nach Chile und erlebt eine merkwürdige Atmosphäre des kulturellen Aufbruchs:
Nerudas Schlüsselerlebnis
„Das war eine Art Suche nach der eigenen kulturellen Identität, es sollte nicht länger alles von Frankreich, England oder USA importiert werden, keine amerikanische Popmusik. Violeta Parra und andere sammelten traditionelle Lieder, die auf dem Land gesungen wurden, bei den Hochzeiten, Beerdigungen, Festen. Der Dichter Pablo Neruda erzählt, er habe einmal auf dem Zentral-Markt in Santiago mit einem Mann gesprochen, der ihm sagte: Sie müssen die Gedichte auch für uns machen, Don Pablo, für uns Arbeiter. Das war für Neruda ein Schlüsselerlebnis.“
Zentrum und Treffpunkt der neuen Kulturbewegung war die Peña, ein einfaches Lokal, in dem es zu Empanadas, Vino und Mate-Tee musikalische Darbietungen gab. Die Peña von Violeta Parra und ihren Kindern Angel und Isabel war ein Anfang, nach und nach entstanden Peñas überall im Land. Jede Universität hatte ihre Peña. Nach einer gescheiterten Ehe lernt Joan den Schauspieler und späteren Theater-Regisseur Victor Jara kennen:
Lieder für die Armen
„Victor war zunächst war alles andere als ein professioneller Sänger. Aber wenn er ein paar Stunden im Theater frei hatte, ging er in die Peña und sang. Damals wurde überall Musik gemacht. Mit ein paar alten Deux Chevaux, die in Chile Citronetas heissen, fuhren wir irgendwohin, wo gesungen wurde. Die Gruppe Quilapayún war oft dabei.“
Victor Jara, sagt Joan, war kein Sänger, der nur seine Lieder liebte, er war ein Sänger, der das arme Volk liebte, für das er sich engagierte. Er kämpft für bessere Gesundheitsversorgung in einem Land, in dem Frauen aus armen Quartieren mit 40 keine Zähne mehr haben. Er schleppt Zementsäcke und organisiert Transporte von Baumaterial, wenn wieder einmal heftiger Regen die armseligen Casas de cartón hinweggespült hat.
In Chile hatte sich – mehr als in den meisten andern Ländern Lateinamerikas – die Gewerkschaftsbewegung traditionell intensiv um Kulturarbeit gekümmert, sagt Joan:
Triumph für die Nueva Canion
„Es passierte dann so etwas, wie wenn das Bewusstsein der Studenten und das Bewusstsein der Arbeiter näher zusammenkamen. 1969 wurde das erste Festival de la Nueva Canción Chilena organisiert. Das Festival war eine Art Wettkampf zwischen der traditionellen chilenischen Folklore, mit der sich auch Grossgrundbesitzer und das rechtsgerichtete Bürgertum identifizierten, und dem neuen politisch engagierten Lied. Und es wurde ein Triumph für die Nueva Canción.“
Radio- und Fernsehsender begannen zögend, ihre Studios für Violeta Parra, Victor Jara und Gruppen wie Quilapayún und Inti -illimani zu öffnen. Es war die Zeit des unaufhaltsamen Aufstiegs der Unidad Popular unter Salvador Allende. Eine politische Massen-Bewegung , wie sie für viele politikverdrossene Menschen unserer Tage kaum noch vorstellbar ist. Anfang der siebziger Jahre ist es nicht ungewöhnlich, dass bei Kundgebungen der Unidad Popular eine Million Leute durch die grossen Avenidas von Santiago ziehen.
Alphabetisierungs-Kampagnen
Victor Jara ist nicht der einzige Künstler, der sich engagiert. Es sind Hunderte. Sänger, Schauspieler, Schriftsteller packen mit an, wo Not herrscht. Die Universitäten verwandeln sich in politische Organisations-Zentren. Studenten tragen Literatur, Musik und Theater in Wohnquartiere, wo Musikinstrumente, Bücher und Theaterbühnen unbezahlbar sind.
Sie organisieren Alphabetisierungs-Kampagnen, ziehen in die entlegendsten Dörfer, von der Atacamawüste im Norden bis nach Feuerland im Süden, um Leuten, die kein Geld für ein Buch haben, Lesen und Schreiben beizubringen. Es war ein unglaublicher historischer Moment, sagt Joan Jara. Es war, wie wenn ein ganzes Volk gelernt habe zu singen.
„Victor entschloss sich, seine Stelle als Theater-Direktor aufzugeben, um die Unidad Popular zu unterstützen. Kein leichter Entschluss, denn er verzichtete auf ein sicheres Einkommen. Er zog mit seiner Guitarre durch ganz Chile und sang. Er fand, das Theater sei für eine Elite im Saal bestimmt. Er wollte raus auf die Strassen.“
Auftritt vor Hunderttausenden
Victor Jara war kein intellektueller Romantiker eines utopischen Sozialismus, sondern ein Mensch wie er bodenständiger nicht sein konnte. Ein armes Elternhaus im Süden des Landes. Die Mutter verlässt den trinkenden Vater, einen des Lesens unkundigen Campesino. Sie schlägt sich mit ihren Kindern in Santiago als Marktfrau durch. Victor ist 15, als seine Mutter stirbt. Er weiss, was Armut ist. In der Nähe des Mercado Central von Santiago leben Strassenkinder von den Marktabfällen. Sie hausen unter den Brücken, die über den Río Mapoche führen.
Victor Jara schreibt ein Lied: “Der Mond im Wasser, geht durch die Stadt. Unter der Brücke ein Kind, träumt vom Fliegen. Die Stadt sperrt es ein, Käfig aus Metall. Das Kind wird alt, weiss nicht, was Spielen ist.”
La luna en el agua/ va por la ciudad./ Bajo el puente un niño/ Sueña con volar/ La ciudad lo encierra/ jaula de metal./ El niño crece/ Sin saber jugar.
Jara wird Galionsfigur und Botschafter der Unidad Popular. Er singt mit den Quilapayún in den grossen Kundgebungen von Santiago vor Hunderttausenden von Menschen. Er hatte eine unglaubliche Ausstrahlung und Kraft der Kommunikation, sagt Joan:
Militärputsch
„Seine Lieder waren am Anfang autobiographisch, aber dann entwickelte er sich weiter, entwickelte sein politisches Bewusstein bis zu dem Moment, wo es eine Art epischer Gesang wurde. Denn es hatte etwas Episches, dieser Kampf der Linken, der Studenten und Arbeiter gegen so gewaltige Mächte. Victor sang, was das chilenische Volk in diesen Momenten erlebte.“
Am 29. Juni 1973 gab es einen ersten Putschversuch eines Panzerregimentes, er scheiterte an schlechter Vorbereitung. Dass ein zweiter Militärputsch bevorstand, war allen klar. Der amerikanische Aussenminister Kissinger sagte nach dem Pinochet-Putsch Jahre später in aller Offenheit, Washington habe „alle nötigen Voraussetzungen geschaffen“ zum Sturz Allendes.
Victor Jara war kein Pazifist. Er rief zum Widerstand auf, aber sein persönlicher Widerstand war das Wort, das gesungene Wort. Er hat bis zu seinem Tod keine Waffe angerührt und keinen Akt der Gewalt begangen. In einem seiner Lieder heisst es: „Soldat schiess nicht, ich weiss dass deine Hand zittert, wenn du schiesst. Wieviel Leben haben deine Medaillen gekostet? Sag mir, ob das recht ist. Wer gewinnt bei so viel Blutvergiessen?“
Soldado no me dispares soldado./
Ya sé que tu mano tiembla/
cuando disparas soldado/
Quién te puso las medallas?/
Cuántas vidas te han costado?/
Dime si es justo soldado,/
con tanta sangre quién gana?
Lieder, gefährlicher als jede Waffe
Solche Fragen taten weh. Sie trafen einen neuralgischen Punkt. Sie lösten Angst, Wut und Empörung aus, aber folglich auch die Solidarität Hunderttausender Menschen. Und sie trafen sogar diejenigen, die dabei waren, in geheimen Depots Waffen zu lagern für den Tag des Militärputschs. Victor Jara war der bürgerlichen Opposition und den Rechtsextremen verhasst. Das zeigt, dass seine Lieder ihren Zweck erfüllten. Sie waren gefährlicher als jede Waffe, sagt Joan:
„Sein Name stand auf den Listen, er hatte Todesdrohungen bekommen. Wir waren uns völlig im klaren über das Risiko. Und er war sich klar über das, was er wollte und was er sagte. Seine Lieder entstanden aus der Situation, die das chilenische Volk erlebte.“
Sie stockt oft, denkt nach, schaut aus dem Fenster, zurück in einen anderen Raum, eine andere Zeit.
„Das Lied hatte eine wahnsinnige Mobilisierungskraft. Die Leute kamen zusammen im Singen. Die Lieder machten ihnen Mut. Die Gruppen Quilapayún und Inti Illimani waren ausserhalb des Landes, als der Putsch kam. Wären sie hier gewesen, sie wären genauso verfolgt worden.“
Hunderte von Toten, eine Atmosphäre des Grauens
Victor Jara wurde bei Beginn des Putsches zusammen mit hunderten Studenten und Professoren in der Universität festgenommen.
Eine Woche später, am Morgen des 18. September, erhielt Joan Jara den heimlichen Hinweis, dass ihr toter Mann in der Leichenhalle sein könnte. Sie identifizierte ihn unter hunderten von Toten in einer Atmosphäre des Grauens, während die Militärlastwagen ununterbrochen neue Leichen in der Morgue abluden.
Die Zivilklage, die Joan Jara eingereicht hat, um die Mörder ihres Mannes vor Gericht zu bringen, wird vielleicht nie zu einem Urteil führen. Aber sie macht weiter. Sie will nicht vergessen. Es geht ihr nicht um Rache, das hat sie immer wieder betont. Es gehe darum zu zeigen, dass Gerechtigkeit möglich ist. Dies sei wichtig für die Zukunft der chilenischen Gesellschaft.
Stichwort 1: La Nueva Canción
Europa hat von den Ereignissen Anfang der siebziger Jahre in Chile vor allem eines gehört: die Lieder. Chile und Unidad Popular, das hiess: “Venceremos”, gesungen von den Quilapayún, “Te recuerdo Amanda”, gesungen von Victor Jara, “Gracias a la vida”, gesungen von Violeta Parra. Lieder, die um die Welt gingen. In Europa und den USA absorbierte die 68er Bewegung diese Musik mit Begeisterung. Die Studenten verlagerten ihre revolutionären Phantasien in die Länder der Dritten Welt.
La Nueva Canción Chilena, das neue Lied. Nie zuvor hatte eine politische Bewegung sich so unüberhörbar in ihren Liedern zu erkennen gegeben. No hay revoluciones sin canciones, sagte Präsident Allende. Er wusste dass die kulturelle Bewegung der Nueva Canción das Vehikel war, das seine Revolution transportierte. Und als Victor Jara in der Alameda vor einer Million Anhängern der Unidad Popular „El derecho de vivir en paz“ sang, da erschien der Präsident auf dem Balkon des Regierungspalstes und winkte ihm von weitem zu.
Wie kam es zu diesem musikalischen Dammbruch? Sicher wirkten verschiedene historische Faktoren zusammen. Erst in den sechziger Jahren hatte sich das kleine Transistor-Radio mit Kassetten-Rekorder in Lateinamerika verbreitet. Es war die materielle Basis für den Siegeszug der Nueva Cancion, die bald über Chile hinaus den ganzen Kontinent erfasste.
Ich habe in den siebziger und achtziger Jahren keine Gewerkschaftsversammlung gesehen, keine Universitäts-Cafeteria, kein Campesino-Zentrum ohne die kleinen Kassettenrekorder, sei es in Peru, in Bolivien, in El Salvador oder Nicaragua. Selbst in die entlegendsten Dörfern gelangte die Nueva Canción, nicht selten bevor Telefon und Wasserleitungen kamen. Und es gab kein Guerrilla-Lager in Zentralamerika ohne Musikinstrumente und das neue politische Lied. Yolanda, gesungen von dem Kubaner Pablo Milanés, war das Lied aller Studenten-Liebespaare in ganz Lateinamerika.
In Argentinien, Peru, Bolivien, Kuba und Mexiko entwickelte sich die Nueva Canción ebenso epidemieartig wie in Chile: ein Feuerwerk von Liedern. Nach dem Vorbild von Violeta Parra in Chile sammelten engagierte Intérpretes-compositores traditionelle Volkslieder, entdeckten ihren politischen Inhalt, wurden mit einem mal gewahr, dass das arme Volk von jeher seine Ängste und seine Freuden in Lieder gefasst hatte.
„Preguntitas a Dios“, kleine Fragen an Gott, heisst eine Komposition des Argentiniers Atahuallpa Yupanqui. Atahuallpa war das Urgestein der Nueva Canción: „Ich fragte meinen Vater einmal nach Gott. Er wurde ernst und antwortete nicht. Mein Vater starb im Bergwerk ohne Arzt und Schutz. Farbe von Bergarbeiter-Blut hat das Gold des Patron.“
Al tiempo yo pregunté:/ Padre qué sabes de Dios?/ Mi padre se puso serio/ y nada me contestó./ Mi padre murió en la mina,/ sin médico ni protección./ Color de sangre minera/ tiene el oro del patrón.
La Nueva Canción Latinaoamericana: das bedeutete ein bislang unbekanntes Gefühl der Zusammengehörigkeit. Mercedes Sosa sang: „Ich habe soviele Brüder, dass ich sie nicht zählen kann. Jeder mit seiner Arbeit und seinen Sorgen, mit seinen Hoffnungen und Erinnerungen.“
Yo tengo tantos hermanos/ que no los puedo contar,/ en el valle y la montaña/ en la pampa y en el mar./ Cada cual con su trabajo,/ con sus sueños cada cual,/ con la esperanza delante/ y los recuerdos detrás/ Tengo tantos hermanos/ Que no los puedo contar.
Einfache Texte von einer enormen poetischen Kraft. Lateinamerika fühlte sich plötzlich als „pueblo unido“: Das sind wir, diese Lieder, das ist Nuestra América.
Gespielt wurde auf traditionellen Instrumenten aus allen Ländern Lateinamerikas: Guitarre, Charango, Bombo, Bandoneón, Marimba, Quena und andere. Auch die Liedformen waren oft die hergebrachten, die argentinische Zamba (nicht zu verwechseln mit Samba Brasileira) die Chacarera, die Cueca in Chile, die Huaynos und Yaravíes im Andenhochland, der Corrido in Mexico und zahlreiche andere Formen. Aber nicht nur Klangfarbe, Melodie und Rhythmus wirkten, sondern vor allem die neuen Texte. Sie waren in all ihrer Einfachheit oft von einem poetischen Niveau und einer Dichte, wie man es von traditioneller Volksmusik nicht gewohnt war. „Adagio para mi país“ heisst ein Lied des Uruguayers Alfredo Zitarrosa: „In meinem Land wie traurig, die Armut und der Groll. Mein Vater sagte, dass ein Verräter mehr kann als tausend Tapfere…“
Tausende Frauen und Männer aus Lateinamerika haben die Militärdiktatur, die Verfolgung, die Demütigungen und die bitteren Jahre des Exils überleben können, weil sie diese Lieder stets bei sich trugen.
Sie waren Trost in der Not. Niemand hat sie ihnen jemals abnehmen können.
Stichwort 2: Unidad Popular
Für die Linke in Chile und in ganz Lateinamerika war die kubanische Revolution ein Leuchtturm in der Finsternis. Und zur Linken gehörten nicht nur Kommunisten oder Abspaltungen der Moskau-treuen Kommunistischen Parteien, sondern linke Christdemokraten, Kirchenleute und viele Söhne und Töchter aus begüterten Familien des Grossbürgertums. In der Frage der Strategie herrschte heftiger Disput. Die einen glaubten, es ginge nur mit bewaffnetem Aufstand, die andern setzten -wie Salvador Allende- auf den demokratischen Weg zur Macht. Aber in einem waren sich alle einig: sie glaubten an einen revolutionären Prozess als einziges Mittel, um die Dinge zum Besseren zu wenden. Es wäre undialektisch und dumm, ihnen aus unserer heutigen Erfahrung heraus historische Irrtümer vorzuwerfen.
Damals hatte Kuba noch nichts von seinem Glanz verloren. Fidel Castro hatte sich noch nicht als starrsinniger Alleinherrscher erwiesen. Die Sowjetunion war für viele noch das gelobte Land, und noch war den meisten nicht klar, dass es ein böses Ende nimmt, wenn eine einzige Partei versucht, die Herzen, Hirne und Haushalte einer ganzen Gesellschaft unter Kontrolle zu halten.
Chile war anders. Man kann der Unidad Popular im Rückblick viele Fehler vorwerfen, nur diesen nicht: dass Salvador Allende mit dem Gedanken einer kommunistischen Diktatur gespielt habe. Allende war durch demokratische Wahl an die Macht gekommen, und er glaubte an den demokratischen Weg. Er hielt nichts von diktatorischen Massnahmen, auch wenn die extreme Linke sie forderte und dem Präsidenten Naivität vorwarf. Er hielt an demokratischen Grundrechten wie Versammlungsfreiheit und Pressefreiheit fest, als die rechtsgerichteten Medien mit Verleumdungskampagnen und Verdrehungen von Tatsachen eine Atmosphäre von Hass und Gewalttätigkeit schürten, wie sie Chile noch nie erlebt hatte.
Allende weigerte sich auch dann noch, Polizei und staatliche Repression zu verstärken, als paramilitärische Schlägerbanden und faschistische Gruppen die Strassen von Santiago beherrschten und das Leben für viele Regierungsanhänger zur Hölle machten. Die extreme Linke verlangte, das Volk müsse bewaffnet werden, um die gewählte Regierung vor dem vorhersehbaren Militär-Putsch zu schützen. Allende argumentierte dagegen mit Fug und Recht, eine Volksbewaffnung würde in einem Blutbad enden, denn der Partido Nacional und anderer rechte Gruppierungen warteten nur darauf, dass endlich Blut flösse. Allende sagte: Die Welt schaut auf uns, weil sie wissen will, ob ein sozialistisches Programm auf demokratischem Weg in Chile durchzusetzen ist. Der Wahlsieg der Unidad Popular im September 1970 kam zu einem Zeitpunkt, da der Kalte Krieg auf seinem Höhepunkt war.
Die USA waren nicht gewillt, ein zweites Kuba in ihrem Hinterhof zu dulden, das hatten sie in den sechziger Jahren schon in Guatemala, Brasilien und der Dominikanischen Republik klar gemacht. Entsprechend massiv war das Engagement des CIA in Chile. Washington hat später nie einen Hehl daraus gemacht, dass der gewaltsamen Sturz Allendes schon lange vor seinem Regierungsantritt beschlossene Sache war.
Am 11. September 1973 putschte die Armee unter dem Kommando von General Pinochet. Der Regierungspalast wurde durch Luftangriffe in Brand geschossen und gestürmt. Salvador Allende erschoss sich in seinem Büro, nachdem er seine Leute aufgefordert hatte, sich zu ergeben.