Viele Amerikanerinnen und Amerikaner fürchten sich vor diesen Wahlen. Der Verkauf von Schusswaffen ist dramatisch gestiegen. Leute hamstern Lebensmittel und verbarrikadieren sich, als würden sie sich gegen einen Hurrikan der Stärke 5 wappnen. Ladenbesitzer fürchten Plünderungen und sichern ihre Schaufenster mit Brettern.
Wird Trump, wenn er verliert, das Wahlergebnis akzeptieren? Wer den Charakter des Präsidenten und seine Verhöhnung demokratischer Gepflogenheiten kennt, glaubt nicht daran. Schon immer sagte er: „Nur durch Betrug können wir diese Wahlen verlieren.“
Die Proud Boys und QAnon
Wird er dann seine Anhänger zu Aufständen aufrufen? Viele stehen bereit, auch die rechtsextremen Proud Boys und die rechtsradikalen Verschwörungstheoretiker von QAnon. Sie warten dann nur auf ein Zeichen des Präsidenten, um loszuschlagen.
In verschiedenen Städten haben sich bewaffnete Pro-Trump-Milizen gebildet. Stolz präsentieren sie sich in ihren Lederkostümen und mit ihren Gewehren den lokalen Fernsehstationen – so, als seien sie zum Bürgerkrieg bereit. Knapp ein Drittel der Amerikaner und Amerikanerinnen halten einen Bürgerkrieg in den nächsten Jahren für möglich.
Journal21.ch berichtet in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch laufend mit den neuesten Ergebnissen über die Wahlen in den USA. Klicken Sie uns an!
That’s sick, that’s Trump
Wird es schon am Wahltag oder kurz danach zu Gewalt und Anschlägen kommen? Werden politische Gegner tätlich angegriffen? Die Polizei rüstet auf, um Ausschreitungen zu verhindern, doch manche weisse Polizisten sind Trump nicht abgeneigt.
Alles Panikmache? Mitnichten. Trump selbst schürt diese Panik. Viele seriöse Beobachter sind sich einig: Trump wird nach einer eventuellen Niederlage kämpfen wie ein Besessener. Er ist nicht ein Mensch für Niederlagen. Er stellt „sehr schlimme Dinge“ in Aussicht. Immer wieder hatte er sich geweigert, zu sagen, ob er eine Niederlage akzeptieren würde. That’s sick, that’s Trump.
Ruft sich Trump zum Sieger aus?
Bis zum Wahltag haben 96 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner gewählt – gut 60 Millionen mit Brief. Vor allem sind das laut dem „U. S. Elections Project“ demokratische Wähler. Die meisten Republikaner gehen am Wahltag selbst ins Wahllokal und stimmen dort für ihren Kandidaten.
Doch die Stimmen, die in den Wahllokalen abgegeben werden, werden in den meisten Staaten zuerst ausgezählt. Anschliessend erst folgt die Auszählung der Briefwahlstimmen. Zwischenergebnisse kommen also zunächst ohne die vielen demokratischen Stimmen zustande.
Das führt dazu, dass erste Teilergebnisse, die dann hochgerechnet werden, Trump klar begünstigen. Der Präsident könnte dann versucht sein, sich schnell via Twitter zum Sieger auszurufen. Und dann?
Ein Trump krebst nicht zurück
Trump erklärte, er verlange, dass noch am Wahlabend das Schlussergebnis bekannt gegeben würde – wohlwissend, dass dann viele demokratische Briefstimmen noch nicht ausgezählt sind.
Was geschieht, wenn später die demokratischen Briefwahlstimmen gezählt sind und dann feststeht, dass nicht Trump, sondern Biden gewonnen hat? Wird der Präsident dann sagen: „Sorry, ich habe doch nicht gewonnen.“ Ein Trump krebst nicht zurück.
Keine frühen Ergebnisse
Die Briefwahlstimmen stellen ein mehrfaches Problem dar. Was geschieht, wenn sie nicht zur Zeit eintreffen? Einzelne Staaten, wie der wichtige Staat Pennsylvania, haben beschlossen, dass die Briefstimmen bis zu drei Tagen nach der Wahl am 3. November ausgezählt werden dürfen. Andere Staaten verbieten das; wieder andere haben die Frist auf fünf Tage gesetzt.
Das bedeutet, dass man das definitive Ergebnis erst einige Tage nach dem 3. November erfahren wird.
Entscheidende Briefwahlstimmen
Die Briefwahlstimmen können in wichtigen, umstrittenen Battleground-Staaten von grösster Bedeutung sein. Sie könnten entscheiden, wer Präsident wird.
Vor vier Jahren entschieden in Michigan, Pennsylvania und Wisconsin einige Zehntausend Stimmen die Wahlen in diesen drei gewichtigen Staaten mit insgesamt 46 Elektorenstimmen. Ohne diese wenigen zehntausend Stimmen wäre Trump nicht gewählt worden. Die Briefwahlstimmen können also wahlentscheidend sein.
Und wenn er nicht zurücktreten will?
Die Demokraten befürchten, dass demokratische Briefwahlstimmen vernichtet werden oder dass republikanisch gesinnte Postbeamte sie bewusst nicht oder zu spät zustellen. All das zeugt von der gewaltigen Nervosität, die in beiden Lagern herrscht.
Was geschieht, wenn Trump von Wahlbetrug spricht und sich weigert, zurückzutreten? Dutzende Staatsrechtler haben sich in den vergangenen Monaten über diese Frage gebeugt. Und das schreckliche Ergebnis ist: Sie wissen nicht, was dann geschehen soll.
Ein Heer von Anwälten
Natürlich wird Trump, wenn er verliert, ein Heer von Anwälten auf die Piste schicken und das Ergebnis juristisch anfechten. Das kann dann Monate dauern.
Und wenn dann am Schluss der Oberste Gerichtshof, der von Konservativen dominiert wird, einen Entscheid fällen muss, könnte Trump dann doch noch triumphieren.
Favorit Biden
Wenn das Schlussergebnis deutlich zugunsten von Biden ausfällt, wird es Trump schwer haben, sich dagegen zu wehren. Doch ein sehr deutliches Resultat ist nicht in Sicht. Zwar sagen die namhaften Meinungsforscher einen klaren Sieg von Biden voraus. Auch in den „Rust belt“-Staaten Pennsylvania, Michigan und Wisconsin verfügt Biden über einen respektablen Vorsprung.
Doch in vielen anderen umstrittenen Bundesstaaten ist eine seriöse Prognose kaum möglich. Einige wenige Prozentpunkte könnten dort den Ausschlag geben. Und überall, wo es sehr knapp wird, könnten Trump und seine Anhänger Wahlbetrug rufen und auf die Strasse gehen.
Eine Niederlage Trumps ist zwar wahrscheinlich, doch ein Sieg ist nicht ganz ausgeschlossen. Der gewichtige Demoskop und Statistiker Nate Silver sieht einen 89-prozentigen Sieg Bidens voraus. Doch zu 100 Prozent will er sich nicht festlegen. Grosse Umfragefehler habe es immer wieder gegeben. Diesmal jedoch glaube er nicht daran.
Der Trumpismus lebt
Der eigentliche Urnengang beginnt am Dienstag um 05.00 Uhr Ortszeit im Bundesstaat Vermont (11.00 Uhr Schweizer Zeit). Die letzten Wahllokale schliessen am Mittwoch früh in Alaska (06.00 Uhr MEZ). Die Wahlen dauern also 19 Stunden.
Bei früheren Wahlen stand normalerweise am Mittwoch früh (Schweizer Zeit) gegen 05.00 Uhr der Sieger fest. Es wäre eine grosse Überraschung, wenn dies diesmal der Fall sein wird.
Und wenn Trump – irgendwann – doch seine Niederlage eingestehen müsste? Dann wird er, wie er ankündigte, 2024 erneut kandidieren. Dass er nach vier Jahren Obstruktionspolitik gegen die Demokraten dann wieder gewählt wird, ist nicht ausgeschlossen: Denn, so oder so: Die amerikanische Gesellschaft bleibt gespalten. Der Trumpismus lebt weiter.
Siehe auch
Journal21.ch: Schlussspurt
Reinhard Meier: Targeted Messages
Heiner Hug: Halbe und ganze Präsidenten
Heiner Hug: Gewinnt Trump doch noch?
Ignaz Staub: Süsses und Saures