2016 war das heisseste Jahr seit 140 Jahren, seit es diese Wetteraufzeichnungen überhaupt gibt. In Zeiten der Attentate, Anschläge und Ahnungslosigkeit nicht der Rede wert? Wohl falsch argumentiert: Aus dem Klimawandel (Verschönerungsformel) kann sich die Klimakatastrophe (Realistische Formel) entwickeln. Wissen, basierend auf wissenschaftlichen Fakten, ist hilfreich, um die Zusammenhänge zu verstehen.
Warnrufe verhallen ungehört
In Afrika sind 20 Millionen Menschen akut vom Hungertod bedroht. Grund: Seit drei Jahren regnet es (zum Beispiel in Somalia, Nigeria, Südsudan) nicht mehr, die Dürre entwickelt sich zur grössten Katastrophe seit 60 Jahren.
Der Sturm Sandy, der 2012 über die Ostküste der USA fegte, richtete in New Jersey, aber auch in New York gewaltige Zerstörungen von historischem Ausmass an.
Thailands Hauptstadt Bangkok (Einwohnerzahl: fast neun Millionen) werde 2021 unter Wasser stehen, warnte schon vor mehr als zehn Jahren das thailändische Unwetterwarnzentrum. Eine Hochwasserkatastrophe durch den Chao-Phraya-Fluss als Folge der Erderwärmung wird antizipiert.
Das Arktis-Eis verschwindet, 2016 in einem Tempo, das erneut weit über dem langjährigen Durchschnitt liegt.
In der Schweiz führen der sichtbare Gletscherschwund, gefühlte Hitzewellen gefolgt von Unwettern, aber auch Skiferien ohne Schnee 2016 zum dringenden Warnruf und zur Publikation „Brennpunkt Klima Schweiz“ der Akademie der Naturwissenschaften. Jene Kreise, die sich beruflich, wissenschaftlich mit den Folgen des Klimawandels auseinandersetzen, sind nicht zu beneiden. Da hilft es wenig, wenn sie voraussagen, dass es auch unser Land hart treffen werde.
So what?
Das Problem ist: Weltweit verhallen alle Tabellen, Statistiken, Warn- und Weckrufe in den Bevölkerungen überwiegend wirkungslos. Überall gibt es sie zwar, die Minderheiten jener besorgter Menschen, die sich persönlich einem nachhaltigeren Lebensstil verschrieben haben. Doch die Mehrheiten wissen mit dem Begriff Klimaerwärmung gar nicht umzugehen („ist doch gut, wenn’s wärmer wird?) oder sie lachen darüber („wer‘s glaubt, ist selber schuld“). Da die Klimaforschung betreffend Zukunft nichts zu beweisen hat, haben es die Klimaleugner umso einfacher.
Steigt der Meeresspiegel oder schmelzen die Gletscher (oder grasen an Weihnachten in den Bergen Kühe auf grünen Wiesen), kommen Antworten wie „so what?“ oder „das gab’s in früheren Jahrhunderten auch schon“. Sagten unsere Grosseltern: „Wer nicht hören will, muss spüren“, so gilt auch das heute nicht mehr, weil in diesem Fall spätere Generationen zu spüren bekommen werden, was ihre Vorgänger nicht hören wollten.
Heisse Schweiz
75 Klimaforscher und 40 Gutachter haben 2016 den eingangs erwähnten Bericht zusammengetragen. Nicht überraschend ist dessen Fazit: In der Schweiz hat die Temperatur doppelt so stark zugenommen wie weltweit.
Bis zum Ende des Jahrhunderts wird sich das touristisch global vermarktete Bild der Schweizer Berge mit weissem Firn, gewaltigen Gletschern, schneebedeckten Hängen in eine etwas tristere Landschaft von Fels, Schutt und spärlicher Vegetation verwandeln. Der Permafrost, Fundament der spektakulären Seilbahnmasten „on the top“ taut auf oder verschiebt sich klammheimlich talwärts und mit ihm, was drauf gebaut ist. Steinschläge und Felsstürze werden zunehmen.
Im Gefolge davon geht es auch mit dem Wintertourismus abwärts. Die Millioneninvestitionen in Beschneiungsanlagen werden nichts daran ändern: Wenn es zu warm ist, kann nicht künstlich beschneit werden, wenn die Sommer zu trocken sind, wird das Wasser in den künstlich ausgehobenen Speicherseen fehlen. Schlechte Vorbedingungen für eine Schweizer Winterolympiade-Kandidatur im Wallis.
„Brennpunkt Klima Schweiz“
Wen‘s interessiert, kann diesen informativen Bericht aus dem Internet herunterladen (www.naturwissenschaften.ch). Einmal mehr erinnern die Autoren an Altbekanntes:
„Aktives Handeln ist gefragt, denn die Hauptursache des Klimawandels ist die Verbrennung von Erdöl, Gas und Kohle. Soll die Erderwärmung, wie von der Weltgemeinschaft offiziell vereinbart, auf unter zwei Grad Celsius begrenzt werden, müssen wir den Ausstoss von Treibhausgasen rasch vermindern. Mittelfristig müssen die Emissionen netto Null betragen. Wir haben viele Möglichkeiten, klimabedingte Risiken abzuschwächen, Chancen zu nutzen und für eine klimaverträgliche Gesellschaft und Wirtschaft zu sorgen.“
Klimawandel und Migration
Heinz Wanner, Professor für Klimatologie und Meteorologie (Universität Bern), untersucht seit Jahren Zusammenhänge zwischen Klima und Migration weltweit. Er sieht Parallelen zwischen den heutigen Migrationsströmen und den Völkerwanderungen in früheren Jahrhunderten. „Die Migranten kommen aus Gebieten mit extremer Trockenheit. Ich rede nie von der globalen Erwärmung, sondern vom globalen Klimawandel. Dieser wird zu einem Kampf ums Wasser führen. In Nordafrika, Lateinamerika und Asien breitet sich die Trockenheit aus. […] Diese Leute werden früher oder später auswandern. Wir stehen am Anfang einer gigantischen Umverteilung der Menschheit“ (Tages-Anzeiger).
Sein neues Buch „Klima und Mensch – eine 12‘000-jährige Geschichte“ ist in Zusammenarbeit mit Archäologen entstanden.
Klima-Skeptiker „glauben“
Momentan erleben wir einen weltweiten Trend „gegen Wissenschaften“, ja, man brüstet sich geradezu, es denen da oben im Glastempel zu zeigen. Neben der Verpolitisierung dieses Themas – es gibt politische Parteien, die betrachten ihre Position der Ablehnung des Zusammenhangs Klima/Energie als Profilierungsmarke – sind es fundamentale - zum Beispiel evangelikale Kreise vor allem in den USA - die alle Erkenntnisse über den Klimawandel als Humbug abtun.
Etwas Licht in diese Dunkelkammer brachte kürzlich die Klimaforscherin Katharine Hayhoe, Professorin für politische Wissenschaften und Direktorin des „Climate Science Centers“ an der Texas Tech University. Ihr unermüdlicher Einsatz zur Versöhnung der Vertreter wissenschaftlichen Fakts und christlicher, patriotischer Fundamentalisten ist bemerkenswert. „Es fängt schon in der Schöpfungsgeschichte an, die uns Menschen die Verantwortung für die Erde gibt“, ruft sie in Erinnerung (Tages-Anzeiger). Folgerichtig plädiert sie für die gemeinsamen Werte beider Denkkategorien und argumentiert überzeugend damit, dass es zwischen Glauben und Wissenschaft keinen Widerspruch gibt.
Fiese Tricks der Klimaskeptiker
Seit Trump regiert – er selbst ein bekennender Klima-Skeptiker – wird in den USA verstärkt gegen alle Versuche zur Eindämmung der Klimaerwärmung agitiert. Besonders das vordergründig seriös wirkende konservative Institut „Competitive Enterprise Institute“ (bezeichnet sich selbst als eine gemeinnützige Organisation der öffentlichen Ordnung) mobilisiert.
Nach dem in den USA bewährtem Prinzip, wonach „wissenschaftliche“ Institute der ignoranten Bevölkerung beweisen, warum zum Beispiel die Erdölindustrie in keinem Zusammenhang mit dem erhöhten CO2-Ausstoss, respektive Klimawandel steht oder warum Rauchen für die Menschen unschädlich ist – nach dieser längst durchschauten Methode der politischen Beeinflussung durch schwerreiche konservative Milliardäre via „neutrale“ Institute, wird jetzt der neuen Regierung die Munition geliefert, wie der Umwelt- und Klimaschutz am besten auszuhebeln ist. Am besten, Sie lesen selbst auf der Homepage www.cei.org, was diese Leute zu bieten haben.
Ego-Krücke SUV
Rüdiger Hossiep, Wirtschaftspsychologe an der Ruhr-Universität Bochum, äussert sich in der „Zeit“ zum Siegeszug der SUVs, der gegen alle Rationalität verläuft: „Das breitspurige, bullige Äussere vermittelt ein Gefühl von Stärke. Man wähnt sich überlegen. Es geht also viel um Statusgefühl, ums Ego.“ Soviel zum Thema umweltbewusster Leben, das wir alle zu wollen vorgeben. Auf die Frage des Journalisten: SUVs sind Spritsäufer, doch manche Besitzer reden sich etwa damit heraus, dass der Verbrauch in Relation zum Gewicht doch gar nicht so hoch sei, meint Hossiep: „Mag sein. Aber nach dieser Logik müsste jeder umweltbewusste SUV-Fahrer auf einen Lastwagen umsteigen.“
Was können wir tun?
Alle Daten zeigen, dass die globale CO2-Konzentration der kritischen Marke immer näher kommt, die im Pariser Klima-Abkommen fixiert wurde. Umso wichtiger scheint es, dass wir im Kleinen unseren täglichen Beitrag zur Trendwende leisten. Ausreden gelten nicht, sie sind leere, verharmlosende oder politische Schlagworte.
Beginnen wir beim Fliegen. In einem Beitrag des „Tages-Anzeigers“ vom Juli 2016 wird aufgezeigt, dass ein Flug Zürich–New York gleich viel CO2 erzeugt, wie zwei Jahre vegetarisch essen, nämlich 2,6 Tonnen CO2 pro Person und Flug. Ergo: weniger Fliegen?
Überhaupt: weniger Mobilität? Autofahren als Freizeitbeschäftigung, Pendeln: zwischen „Steuerhimmel“-Wohnort und „Steuerhölle“-Arbeitsplatz in der Stadt. Vielleicht genügt schon der Zwischenschritt: „mobility“ als Miet- statt Besitzlösung?
Generell weniger Erdölverbrauch? Fotovoltaik auf Häuserdach und -fassade, top-isolierte Fenster, Verbrauchsoptimierung oder gar -verzicht?
Weniger Fleisch essen? Die Treibhausgas-Emissionen, verursacht durch die Tierhaltung, sind gigantisch. Ein rein theoretisches Experiment: Würden wir uns alle vegetarisch ernähren, liessen sich zwei Drittel der Treibhausgas-Emissionen einsparen. Das Thema ist jetzt sogar für den „Economist“ prioritär, Methangasen wird der Kampf angesagt.
Wir können das alles negieren. Den Standpunkt vertreten, die Schweiz hätte eh keinen Einfluss auf das Weltklima. Wir können alle Anstrengungen diesbezüglich lächerlich machen. Oder wir akzeptieren die Idee: Die Zukunft gehört erneuerbaren Energien, die das Klima schonen. Und manchmal etwas Verzicht?