Und sie sind nicht nur aus lauter Festlaune aus dem Häuschen, sondern buchstäblich ausser Haus und unterwegs. Bahnhöfe. Flughäfen, Strassen sind überfüllt, zum Neujahr besucht jeder seine Angehörigen und reist quer durchs Land.
Nach dem alten Kalender
Das chinesische Neujahr bezieht sich auf den Lunisolarkalender, der sich an Mond und Sonne orientiert. Nach dieser Berechnung beginnt das Jahr dieses Mal am 16. Februar. Allerdings nur nach alter Tradition. Im Alltag ist in China seit 1911 ebenfalls der gregorianische Kalender in Gebrauch, wie bei uns.
Chinesisches Neujahr ist aber nicht nur in China gefeiert worden, sondern auch bei uns. In Zürich gleich doppelt. Mit einem Neujahrskonzert in der Zürcher Tonhalle und einer Ausstellung im Museum Rietberg mit dem vielversprechenden Titel «Reichtum, Glück und langes Leben», und das lassen wir uns doch auch als Nicht-Chinesen gern gefallen.
Chinesisch mit Schweizer Akzent
Für das Tonhalle-Orchester dürfte es ungewohnt gewesen sein, einen Abend lang Chinesisches zu spielen und dies in einer Bandbreite von alter klassischer Pekingoper bis zu Zeitgenössischem. Als Dirigent war Long Yu nach Zürich gekommen. Er ist der vielleicht profilierteste Dirigent Chinas, leitet unter anderem das Shanghai Symphony Orchestra und gastiert bei den renommiertesten Orchestern rund um die Welt.
Und nun hat er das erste Mal mit dem Tonhalle-Orchester gearbeitet. Spannend, zu hören, wie das Zürcher Orchester unter Yus Leitung immer chinesischer klang. Ein paar fremde Instrumente waren dabei, aber im Übrigen spielte das Orchester in normaler klassischer Besetzung.
«Spring Festival Ouverture» hiess das erste Stück von Li Huanzhi, «Er Huang» das Klavierstück von Qigang Chen, dann «The Drunken Beauty». Das ist ein Stück aus einer traditionellen Peking Oper, mit einer faszinierenden Sängerin im prächtigen klassischen Gewand mit überladenem Kopfschmuck und stark geschminktem Gesicht: wie eine Porzellanpuppe sieht sie aus und die extrem hohe, gekünstelte Stimmlage passt perfekt zum Erscheinungsbild. Jede Geste, jeder Ton, jeder Schritt ist genau vorgegeben. Schliesslich spielt Maxim Vengerov als russischer Violinist ebenfalls Chinesisches: «Butterfly Lovers». Und Vengerovs Stradivari beherrscht die chinesische Musiksprache perfekt.
Die fremden Klänge werden begleitet vom Tonhalle Orchester, das für europäische Ohren fliessend chinesisch spielt. Eventuell mit leichtem Schweizer Akzent? Vielleicht. Aber das macht den Charme des Konzertes aus. Long Yu ist jedenfalls zufrieden, wirft zur Feier des Neujahrsabends seinen leuchtendroten Wollschal um den Hals, begrüsst im Gang noch ein paar Landsleute und entschwindet in die stürmische und nasskalte Zürcher Nacht.
Bericht an die himmlische Chefetage
Am nächsten Morgen präsentiert das Museum Rietberg Drucke zum chinesischen Neujahr in einer kleinen Sonderausstellung. Holzschnitte sind es zumeist, koloriert und mit furchteinflössenden Wächtern einerseits und Glücks- und Schutzgottheiten andererseits. «Sonst sind unsere Ausstellungen eher von der Hochkultur geprägt, sagt Albert Lutz, der Leiter des Museums Rietberg, «diesmal ist es nichts Elitäres, sondern billige, einfache Gebrauchskunst für alle Leute, die man in jedem chinesischen Haushalt findet».
Nach einer gründlichen Reinigung des Hauses, bei der auch alles Ungemach des vergangenen Jahres weggefegt wird, hängt man vor dem Jahreswechsel Holzschnitte aussen an die Haustür. «Auf diesen Blättern sind Wächter und Gottheiten abgebildet, die einem im neuen Jahr doch bitte gewogen sein mögen und das Haus beschützen sollen», erklärt Alexandra von Przychowski, Kuratorin für chinesische Kunst. «Im Haus selbst wird ein Bild des ‘Herdgottes’ aufgehängt, der die Familie ein ganzes Jahr beobachtet, und nun zum Jahresende oben in der himmlischen Chefetage rapportiert, was unten am heimischen Herd so los war im Laufe des Jahres.»
Und nun kommt Korruption ins Spiel: um den Herdgott milde zu stimmen, wird er bestochen. Mit Honig zum Beispiel, den man ihm um den Mund schmiert, und gerne auch mit Wein und Schnaps. Ein beschwipster Herdgott wird sicher im Himmel nur Positives berichten, so zumindest die Hoffnung der Familie. Das Bild wird verbrannt und mit dem Rauch steigt der Gott hinauf in himmlische Gefilde, um Bericht zu erstatten. «Dann bleibt das Haus eine Woche lang ohne ‘Herdgott’, bis an Neujahr das neue Blatt gekauft und aufgehängt wird.»
Glaube, Hoffnung, Sehnsucht
Neben dem «Herdgott» gibt es aber noch ganze Heerscharen weiterer Götter für alle Lebenslagen. Die Holzschnitte bieten einen weiten Überblick über Geschichte, Kultur, Tradition, Glaube und Aberglaube, Hoffnung und Sehnsüchte der Menschen in China. Neben den bunten Blättern sind auch historische Fotografien zu sehen zum Gebrauch dieser Neujahrsblätter. Aber auch heutzutage gehören die Drucke noch zur Tradition. Dies dokumentieren Fotos von heute.
Es war ein Glücksfall, dass der Kunsthistoriker Otto Fischer, der auch zehn Jahre lang das Kunstmuseum Basel geleitet hat, als Spezialist für chinesische Kunst auf seinen Reisen solche Blätter gesammelt hat. Denn obwohl sie in grosser Zahl hergestellt werden, bleiben am Schluss nur wenige übrig, da es zum Ritual gehört, die Blätter zu verbrennen, um die Götter gen Himmel entschweben zu lassen. Nach Otto Fischers Tod vermachte seine Tochter die Sammlung schliesslich dem Museum Rietberg. Heute werden die Blätter in China selbstverständlich immer noch in grossen Mengen hergestellt. Aber kaum mehr als Holzdrucke von Hand, sondern mit modernster Drucktechnik. Sehenswert sind die bunten Geschichten aus dem Leben zwischen Himmel und Erde, die fast wie Comics auf den Blättern erzählt werden, auf jeden Fall.
«Reichtum, Glück und lange Leben». Drucke zum chinesischen Neujahr, Museum Rietberg, bis 6. Mai 2018