Schon klar, wir ächzen nicht selten unter der Nachrichtenflut, die uns zeitlich und mental überfordert und der wir uns doch nicht entziehen können. Der Erfolgsautor Rolf Dobelli, der mit bürgerlichem Namen Döbeli heisst, winkt da mit einem ebenso einfachen wie radikalen Rezept. Lass alle News-Medien links oder rechts liegen. Was sie bieten, ist überflüssig, nicht relevant, Zeitverschwendung. Er selber, lässt er uns wissen, konsumiert seit 2010 keine Tageszeitungen, kein Radio, kein Fernsehen und schon gar keine Internet-News. Und hat mit dieser Abstinenz die besten Erfahrungen gemacht, wie der Autor in seinem neuesten Buch «Die Kunst des digitalen Lebens» schreibt.
Da drängt sich eine naheliegende Frage auf: Wie informiert sich Dobelli selber über das Geschehen in der Welt, wie entscheidet er als Schweizer Bürger bei Volksabstimmungen über seine Stimmabgabe? Er diskutiert über die Aktualität mit Freunden und Bekannten und konsultiert bei Urnengängen das von den Behörden dazu gelieferte Abstimmungsbüchlein. Hier stossen wir auf nicht ganz nebensächliche Widersprüche. Wenn Dobelli sich von seinen Bekannten über das aktuelle Weltgeschehen aufklären lässt, verlässt er sich darauf, dass diese einigermassen umfassend informiert sind, also wohl regelmässige Zeitungsleser sind, vielleicht sogar News Junkies. Er ist damit ein bequemer Trittbrettfahrer jener Medien, die er grundsätzlich für überflüssig hält.
Auch in anderer Hinsicht ist Dobellis Verachtung für die Medien, deren Nachrichten er als irrelevant bezeichnet, nicht besonders ehrlich. Jahrelang hat er in prominenten Printmedien wie der NZZ, der FAZ oder dem Stern regelmässig Kolumnen publiziert und damit gutes Geld verdient – und zwar auch in jener Zeit, als er gemäss eigener Aussage keine Zeitungen mehr las.
Die dringende Empfehlung des cleveren Selbstvermarkters Dobelli, sich von allen Nachrichtenmedien fernzuhalten, spielt im Übrigen nicht zuletzt jenen links- und rechtsgewickelten Demagogen in die Hände, die die sogenannten Mainstream-Medien pauschal als «Lügenpresse» denunzieren. Ist sich der Autor bewusst, was für Geister er mit seinen Parolen zum faktischen Boykott einer vielgestaltigen Presselandschaft wachruft?
Wie soll eine lebendige Demokratie und das aktive Engagement ihrer Bürger für bestimmte Anliegen und Ideen ohne seriöse Nachrichten- und Meinungsvermittler überhaupt funktionieren, wenn das ganze Mediengewerbe unisono als bedeutungslos abgetan wird? Als ob es keine nennenswerten Unterschiede zwischen Qualitätsmedien und blossen Klatsch- und Tratsch-Postillen gäbe und jeder vernünftige Zeitungsleser ein News Junkie wäre.
Zugegeben, wer sich ernsthaft über aktuelle Vorgänge und Zusammenhänge informieren will, hat es nicht immer leicht, die Spreu vom Weizen des überquellenden Nachrichtenangebots zu trennen. Um dazu fähig zu werden, braucht es Konzentration und Erfahrung. Die letztere Qualität gewinnt man aber nicht dadurch, dass man die ganze Medienwelt als irrelevant beiseite schiebt.
Im Grunde geht es beim Medienkonsum um eine Frage des Masses und des praktischen Urteilsvermögens. Davon ist der News Junkie, der sich von den Medienfluten treiben lässt, dass er keine Zeit mehr findet, um Bücher zu lesen, weit entfernt. Aber das gilt auch für jenen Zeitgenossen, der sich von der Welt abkapselt und keine Ahnung hat vom Trump-Impeachment in Amerika oder wer Greta Thunberg ist (wie Dobelli von sich selber in einem «Zeit»-Interview behauptet).