Die Forderungen der Wissenschaft und des International Panel of Climate Change (IPCC) an die Energie- und Klimapolitik sind dramatisch. Bis 2020 müssten die globalen CO2-Emissionen den Höhepunkt erreicht haben. Dies bedeutet gemäss IPCC, dass die Industrieländer ihre Emissionen gegenüber 1990 bis 2020 um 25%, bis 2035 um 50% und bis 2050 um 80-85% senken müssten.
Gewaltige Zunahme des Energieverbrauchs ausserhalb der OECD
In krassem Gegensatz zu diesen Zielen zeigt auch das neueste, von der Internationalen Energie-Agentur (IEA) der OECD im Hinblick auf die Klimakonferenz in Kopenhagen veröffentlichte Referenzszenario, dass bei einer Fortsetzung der bestehenden Politik der globale Energieverbrauch weiterhin massiv zunimmt, zwischen 2007 und 2030 um 40% - am stärksten ausgerechnet bei der Kohle, die pro Energieeinheit am meisten CO2-Emissionen verursacht. Während der Verbrauch in den Industrieländern unter den heutigen Bedingungen mehr oder weniger stabil bliebe, würden 93% der erwarteten globalen Zunahme bis 2030 auf die nicht-OECD-Länder fallen, allen voran auf China und Indien.
Zum ersten Mal in ihrer Geschichte überhaupt hat die IEA mit ihrem „Szenario 450“ auch aufgezeigt, was getan werden müsste, um gemäss Wissenschaft und IPCC den Klimawandel einigermassen in Schranken zu halten, d.h. den durchschnittlichen globalen Temperaturanstieg auf 2°C bzw. die CO2-Konzentration in der Atmosphäre auf 450 parts per million zu beschränken.
Gemäss diesem Szenario müssten die rationellere Energieverwendung gefolgt von den erneuerbaren Energien die grössten Beiträge zur weltweiten CO2-Einsparung leisten. Die Schwellen- und Entwicklungsländer könnten insbesondere durch ihre nationale Energiepolitik fast doppelt so viel CO2 einsparen wie die Industrieländer - unter anderem mit CO2-Zielen für ihre Industrie und dem Handel mit IPCC-CO2-Zertifikaten.
Erhebliche Beiträge werden in allen Ländern von Vereinbarungen energieintensiver Branchen (z.B. Zement) erwartet. Die Investitionsbedürfnisse in den Schwellen- und Entwicklungsländern (200 Mia. $ im Jahre 2020) müssten von den Industrieländern insbesondere mittels Technologietransfer unterstützt werden. Verpflichtende nationale CO2-Ziele gäbe es bis 2020 nur für die Industrie-, danach aber sukzessive für alle Länder.
Zähe Mammutkonferenzen
Bisher haben die aufwendigen Bemühungen um ein globales Klimaabkommen nach „Kyoto“ zu keinem greifbaren Ergebnis geführt. Die letzte Konferenz in Kopenhagen im Dezember 2009 ist gescheitert. Von der nächsten in Cancun werden keine nennenswerten Fortschritte erwartet. Zu gross sind die Interessengegensätze. Die USA stossen pro-Kopf am meisten CO2 aus und trugen am stärksten bei zur bisherigen Steigerung der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre. Sie sind – mit der neuen republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus noch unerbittlicher als bisher - nur bereit, ein neues globales Klima-Abkommen zu unterzeichnen, wenn die Wirtschaft vermehrt einbezogen wird und wenn sich auch die wichtigsten Schwellen- und Entwicklungsländer (namentlich China, heute der grösste CO2-Emittent, sowie Indien, Brasilien, Russland) engagieren.
Diese Ländergruppe wiederum macht ihre Teilnahme an einem post-Kyoto-Abkommen von einem vorangehenden „Tatbeweis“ der Industrieländer abhängig: Diese sollen als erstes ihren eigenen Treibhausgasausstoss reduzieren und den Entwicklungs- und Schwellenländern mittels Technologietransfer zu einer klimafreundlichen wirtschaftlichen Entwicklung verhelfen.
Ein globales Abkommen wird nicht möglich sein ohne Berücksichtigung dieser Anliegen der USA und der Entwicklung- und Schwellenländer. Ein Teilabkommen unter den übrigen Ländern nach dem Muster des Kyoto-Vertrags ist kaum sinnvoll und könnte sogar kontraproduktiv sein. Kaum sinnvoll, weil damit schon rein rechnerisch das von der internationalen Gemeinschaft akzeptierte 2°C-Klimaziel nicht erreicht werden kann; kontraproduktiv, weil einseitige Massnahmen (Steuern und Vorschriften) der Industrieländer ihre energieintensive Wirtschaft vermehrt in die kostengünstigeren Gefilde der Schwellen- und Entwicklungsländer vertreiben würde, wo sie dank der weniger strengen Vorschriften mehr Treibhausgase emittieren könnte als vorher. Ein solches partielles Abkommen wäre somit mit dem Risiko verknüpft, dass die globalen Emissionen netto sogar zunähmen.
Die bisherigen Leistungen der Schweiz
Die Schweiz hat seit der Erdölkrise 1973/74 erhebliche Fortschritte in der Energie-und Klimapolitik erzielt. Vorher konnte von einer derartigen Politik nicht die Rede sein. Aufgrund der Szenarien der Eidgenössischen Kommission für die Gesamtenergiekonzeption (GEK1978) wurde erst in einem zweiten Anlauf 1990 mit dem Energieartikel die verfassungsmässige Grundlage für eine schweizerische Energiepolitik gelegt. Mit der gleichzeitigen Annahme der Kernenergie-Moratoriumsinitiative war der Weg zum ersten Mal frei für eine auf den Prioritäten von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien basierende gesamtschweizerische Energiepolitik.
Umgesetzt wurde diese Politik gemäss dem Moratoriumsszenario der Expertengruppe Energieszenarien (EGES 1988) mit dem partnerschaftlichen Programm Energie 2000 (abgelöst durch EnergieSchweiz). Weiter verstärkt wurde sie aufgrund der internationalen Klimadebatte (Kyoto 1999, CO2-Gesetz, CO2-Abgabe, kostendeckende Einspeisevergütung für Strom aus erneuerbaren Energien). Die Verbrauchsziele von Energie 2000 und EnergieSchweiz wurden trotz stark gekürzter Budgets erreicht in den Bereichen Gebäude und Wirtschaft sowie für die erneuerbaren Energien, nicht aber für Treibstoffe und Elektrizität. Ebenfalls erreicht wird das schweizerische Kyoto-Ziel, allerdings nur dank dem Kauf von CO2-Zertikfikaten im Ausland durch die Stiftung Klimarappen.
Bewährter Mix von Massnahmen
Bewährt haben sich in unserem Land bisher der ausgewogene Mix eines breiten Spektrums von Massnahmen, insbesondere die kantonalen Vorschriften im Gebäudebereich (Neubauten brauchen heute pro Quadratmeter Wohnfläche nur noch halb so viel Energie wie Anfang der siebziger Jahre), die Uebernahme der EU-Vorschriften für Geräte, Apparate und Motorfahrzeuge, der partnerschaftliche Ansatz (Zusammenarbeit von Bund, Kantonen, Gemeinden, Wirtschaft und Umweltorganisationen) sowie die freiwillig-verpflichtenden Massnahmen von Energie 2000 und EnergieSchweiz inkl. Klimarappen und die Zielvereinbarungen der Wirtschaft im Rahmen der Energie-Agentur der Wirtschaft (EnAW). Der Klimarappen wird die mit dem UVEK vereinbarten Ziele übertreffen und zu den Kyoto-Zielen der Schweiz rund zwei Drittel der gesamthaft erforderlichen CO2-Reduktion zwischen 1990 und 2008/12 beitragen.
Von den gesamten Einsparungen des Klimarappens entfallen 19% auf das Inland, wofür jedoch bei einem CO2-Preis von durchschnittlich 170 Fr./t rund zwei Drittel aller verfügbaren Mittel eingesetzt werden müssen. Demgegenüber kann im Ausland allein mit dem verbleibenden Budget-Drittel dank einem Preis von lediglicht 22 Fr./t CO2 mehr als viermal soviel CO2 eingespart werden wie im Inland. Mit den überwiegenden finanziellen Anstrengungen im Inland liefert die Schweiz den von den Schwellen- und Entwicklungsländern geforderten Tatbeweis: Mit der wesentlich wirksameren und effizienteren zusätzlichen Unterstützung von Projekten im Ausland erzielt sie nicht nur einen deutlich höhern Klimaeffekt; sie unterstützt damit auch den Technologietransfer und leistet einen namhaften Beitrag zur Entwicklungshilfe und zur Bekämpfung der Armut. Die freiwillig-verpflichtenden Massnahmen weisen zudem gegenüber analogen staatlichen Massnahmen geringere Vollzugskosten, kürzere Einführungszeiten und eine höhere Flexibilität für Anpassungen an die sich ändernden Bedürfnisse auf.
Nur globale Kooperation hilft dem Welt-Klima
Gemäss den neuesten Szenarien des Bundesamtes für Energie (BFE 2007) können die IPCC-Klimaziele der Industrieländer in der Schweiz nur mit einschneidenden Massnahmen erreicht werden. Erforderlich sind zumindest eine Verdoppelung der Energiepreise durch Lenkungsabgaben, Vorschriften in allen Verbrauchsbereichen, Subventionen sowie eine konsequente Ausrichtung der Verkehrs- und Raumplanungspolitik auf die klimapolitischen Ziele. Noch schwieriger wird es, wenn man gleichzeitig auf den Einsatz der Kernenergie verzichten würde. Wollte die Schweiz gar gemäss der ambitiösesten Variante des Nationalrats mit heroischen Anstrengungen, womöglich sogar im Alleingang, ihren CO2-Ausstoss bis 2020 um 40% ausschliesslich im Inland vermindern, könnte sie damit ihren Anteil an den globalen Emissionen von 0,15% auf 0,09% (die globalen Emissionen also um ganze 0,06%) senken.
Dem Welt-Klima kann nur geholfen werden, wenn die globalen Emissionen nachhaltig und massgeblich vermindert werden, das heisst wenn alle Länder (etwa gemäss dem „Szenario 450“ der IEA) die Ziele des IPCC realisieren. Die Schweiz könnte – in Ueberwindung ihrer bisher vorwiegend gepflegten Nabelschau – auf eine derartige Lösung hinwirken und in die internationale Diskussion ihre positiven Erfahrungen v.a. mit freiwillig-verpflichtenden Massnahmen, insbesondere mit dem Klimarappen und der Realisierung von Klimaprojekten in Entwicklungs- und Schwellenländern einbringen.
Ein internationaler Klimarappen von beispielsweise 1 US cent pro Liter Oel auf der Hälfte des globalen Verbrauchs an fossiler Energie (d.h. auf dem Verbrauch in den Industrieländern) ergäbe jährlich rund 50 Mia. $. Bei einem CO2-Preis von 20 $/t könnten damit die globalen CO2-Emissionen um 10% vermindert werden.
Weg von den ideologischen Grabenkämpfen
Natürlich müsste als erstes die internationale Energiewirtschaft für eine solche Idee gewonnen werden. Sie könnte damit ihr zum Teil angeschlagenes Image erheblich verbessern. Mit ihr hat die IEA, an welcher die Schweiz seit deren Gründung beteiligt ist, gute und institutionalisierte Kontakte. Nachdem die IEA mit ihrem „Szenario 450“ zum ersten Mal (wohl insbesondere auch dank Zustimmung der USA) aufzeigte, wie die globalen Klimaziele zu erreichen wären, ist nicht auszuschliessen, dass sie sich für eine Verpflichtung der Energiewirtschaft zu einem internationalen Klimarappen und damit zu einer Stärkung des Handels mit CO2-Zertifikaten gegenüber der IPCC einsetzen würde.
Damit könnten die vier wesentlichen Bedingungen der Entwicklungs- und Schwellenländer (vorgezogener Tatbeweis der Industrieländer und Technologietransfer) sowie der USA (Partizipation aller Länder und Einbezug der Wirtschaft) für ein globales post-Kyoto-Abkommen erfüllt werden. Gefordert sind heute also auf nationaler und internationaler Ebene weniger ideologische Grabenkämpfe, teure Alleingänge und blinde Staatsgläubigkeit, dafür mehr Partnerschaft