Das im November 2011 enttarnte Neonazi-Trio NSU wird unter anderem für eine bundesweite Mordserie an neun Migranten und einer deutschen Polizistin verantwortlich gemacht.
„Das Gericht hatte die Akkreditierungen nach eigener Darstellung nach Eingang der Anträge vergeben - demnach waren andere Medien schneller als die türkischen“, berichtete Spiegel online. Das haben wir von den Kollegen vom Bosporus doch auch nicht anders erwartet, oder? Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. So ist das in Deutschland. Die sind eben zu spät gekommen. Warum haben sich New York Times, BBC, Al Jazeera und all die Türken nicht früher angemeldet? Hätten sie nicht so geschlampt und wie üblich bis zum letzten Augenblick mit ihrem Antrag auf Akkreditierung gewartet, könnten sie ja wie die deutschen Medien, die sich – ebenfalls wie üblich – pünktlich und ordnungsgemäß angemeldet haben, aus der ersten Reihe über den Prozess berichten.
Und jetzt regen sie sich auf, allen voran unsere türkischen Kollegen. „Die Empörung unter türkischen Journalisten ist groß. Kein Medium aus der Türkei hat einen der 50 Sitzplätze für die Presse in dem Münchner Gerichtssaal bekommen, in dem der Auftakt des NSU-Prozesses stattfindet“, schrieb wieder der Spiegel. Dabei sind acht der zehn Mordopfer der rechtsextremen Terrorzelle NSU türkischer Abstammung. Aber: Keine Extrawurst für niemanden! Hier geht alles seinen geregelten, deutschen Gang.
Es werde keine Verlegung in einen anderen Sitzungssaal geben, stellte Margarete Nötzel klar, Richterin und Leiterin der Justizpressestelle am OLG München. Aus drei Gründen: Erstens, weil der Senat den Saal 101 für das Verfahren gewählt habe, zweitens, weil dieser "aufwendig umgebaut und modernisiert" worden sei und drittens, weil es der größte Gerichtssaal in Bayern sei, der den notwendigen Sicherheitsmaßnahmen entspreche. Stahlbewehrte Wände gegen Angriffe von außen, ausreichend Schutz für die Angeklagten, genügend Platz für Justiz- und Sicherheitsbeamte. Hinzu komme die Infrastruktur: Haftzellen für die Angeklagten, Aufenthaltsräume für die Prozessbeteiligten.
Der Senat hat den Saal 101 also offenbar mit Bedacht gewählt, weil er „aufwendig umgebaut und modernisiert“ ist, „stahlbewehrte Wände gegen Angriffe von außen ausreichend Schutz für die Angeklagten“ bieten, und vor allem weil „Aufenthaltsräume für die Prozessbeteiligten“ vorhanden sind. Das sind fürwahr triftige Gründe, denen sich auch unsere ausländischen Kollegen nicht verschließen können, wenngleich ich bisher immer glaubte, die Prozessbeteiligten hielten sich im Gerichtssaal auf.
Dennoch scheint die Angelegenheit einigen Politikern und Kommentatoren Bauchschmerzen zu bereiten. Sie sorgen sich um die Meinung im Ausland und mahnen, dass „mit dem Medieninteresse sensibel umgegangen wird“, so etwa die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU). Das kenne ich aus meiner Kindheit. Wenn ich schlampig angezogen war, verschmutzt vom Fußballspiel zurückkam oder mich sonst irgendwie nicht normgerecht und ordentlich verhalten hatte, rief meine Mutter immer äußerst bekümmert: „Was werden nur die Nachbarn denken?“
Weniger Bedenken hat da der Vorsitzende des Rechtsausschusses des deutschen Bundestages, Siegfried Kauder (CDU), der das Münchener Oberlandesgericht gegen die Kritik verteidigt, die politischen Implikationen seiner Entscheidung nicht ausreichend bedacht zu haben. Wenigstens er hat verstanden, dass Deutschlands Ruf von Frau Merkel und Herrn Schäuble längst ruiniert wurde. Und wir wissen ja seit Wilhelm Busch: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt‘s sich völlig ungeniert. "Eine Videoübertragung in einen anderen Saal hätte ein bisschen was von Schauprozess und Public Viewing und wäre ein Verstoß gegen die Menschenwürde der Angeklagten", befürchtete der CDU-Mann im "Kölner Stadt-Anzeiger". Endlich einer, der Sensibilität beweist – wenigstens der mutmaßlichen Nazibraut Beate Zschäpe gegenüber. Es ist schon auffallend, wie besorgt sich das Gericht und Herr Kauder um Sicherheit und Menschenwürde der Angeklagten zeigen.
Schauprozess! Das erinnerte zu sehr an Freislers Volksgerichtshof. Und das soll vermieden werden. Darum verschanzen sie sich nun wieder hinter ihren Regeln, wie das Deutsche in solchen Situationen immer zu tun pflegen: Sie berufen sich auf den berühmten Befehlsnotstand bzw. die Rechtslage. Darauf verstehen sie sich seit jeher aufs Beste.