Am Samstag, wenige Stunden nach dem Luftschlag Israels auf Ziele in Iran, hinterlässt die Lektüre quer durch die mittelöstlichen Medien Verwirrung. Auf Tasnim, einer iranischen Nachrichtenagentur, wird einerseits eine anonyme Quelle zitiert, die bestreitet, dass Israel 20 Ziele in Iran angegriffen habe. In einem anderen Beitrag des gleichen Portals wird dann allerdings ausgeführt, man habe unter anderem in Teheran Explosionen gehört.
Und Ebrahim Rezaei, ein General bei der Armee, liess sich mit einer Drohung gegen das «zionistische Regime» zitieren: Dieses müsse eine vernichtende Antwort aus Teheran gewärtigen. Katar, Saudiarabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Oman brachten ihre Entrüstung zum Ausdruck, und die Regierung Iraks verurteilte das «Schweigen der internationalen Gemeinschaft» angesichts des verbrecherischen Angriffs Israels auf den Nachbarn Iran. Die staatliche syrische Nachrichtenagentur berichtete dagegen erstaunlich sachlich, israelische Angriffe seien auch gegen militärische Anlagen im zentralen und südlichen Syrien geflogen worden.
Mit oder ohne Vorwarnung?
Aus iranischen Kommentaren liess sich herauslesen, dass Israel am Tag zuvor Teheran gewisse Informationen über die bevorstehenden Operationen hatte zukommen lassen. Wenn das stimmt, ist es ein Zeichen dafür, dass Israel die grosse Konfrontation mit dem Mullah-Regime vermeiden will. Ähnlich, seitenverkehrt, war es ja auch schon im April, als Iran Israel vorwarnte, dass ein Angriff mit Raketen und Cruise missiles unmittelbar bevorstand. So konnte Israel sein Abwehrsystem hochziehen, Menschen kamen nicht zu Schaden.
Bei der nächsten Eskalationsstufe allerdings, am 1. Oktober, als Iran die Ermordung des Hamas-Chefs Haniyeh in Teheran und des Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah rächte, blieb die Vorwarnung aus: Von den rund 200 Geschossen explodierten mehrere auf israelischen Militäranlagen (was Israel aus Gründen der Geheimhaltung allerdings nicht bestätigte). Der Krieg eskalierte also doch, den Bemühungen jener Generäle auf beiden Seiten zum Trotz, die immer wieder behaupten, sie könnten den Krieg wie ein Schachspiel kontrollieren und dementsprechend führen.
Angeblich unter Konrolle wie ein Schachspiel
Allerdings widersprechen die Fakten solchen Beteuerungen in beiden aktuellen Konfliktregionen. Das israelische Militär durchkämmte den Gaza-Streifen (Grösse vergleichbar dem schweizerischen Kanton Schaffhausen) seit dem Beginn des Kriegs (8. Oktober 2023, ein Tag nach dem von Hamas verübten Massenmord auf israelischem Territorium) systematisch von Nord nach Süd, also von der Millionenstadt Gaza bis nach Rafah. Der militärische Sinn bestand darin, alle Hamas-Aktivisten zu eliminieren.
Aber als die Soldaten den 42 Kilometer langen Küstenstreifen wie einen Teppich aufgerollt hatten, mussten sie zur Kenntnis nehmen, dass hinter ihnen, in Gaza-Stadt, schon wieder eine neue Schicht von todeswütigen Kämpfern entstanden war. Also begannen die militärischen Aktionen dort von Neuem – mit der Zerstörung noch der letzten funktionierenden Spitäler und Schulen, weil sich der Verdacht verdichtet hatte, dass die Hamas dort noch immer oder schon wieder Stützpunkte aufgebaut hatte.
Verhängnisvolle Eigendynamik
In Libanon scheint sich Ähnliches abzuspielen: auch der Hisbollah hat in der Nähe von Dörfern, Schulen und Spitälern Tunnels oder Kommando-Zentralen installiert, und nun breitet sich der Krieg immer mehr über die wirklichen oder angeblichen «Hotspots» aus. Als «Kollateralschäden» konnten die Opfer bei der Zivilbevölkerung in den ersten Kriegswochen noch beschönigt werden, aber inzwischen sind schon mehr als 2500 Menschen zu solchen Kollateralschäden geworden – mehr als eine Million sind landesintern auf der Flucht und etwa 40’000 flüchteten ins Problem-Nachbarland Syrien.
Mit all dem haben die Generäle nicht gerechnet. In beiden Fällen, Gaza und Libanon, hat sich eine verhängnisvolle Eigendynamik entwickelt. Es braucht nur noch den symbolischen Tropfen, um das Fass auch in der weiteren Region zum Überlaufen zu bringen. Syrien kann nicht auf Dauer passiv bleiben, und was Iran betrifft: Da hängt vieles von der internen Situation ab. Die Führung um Ayatollah Khamenei und Staatspräsident Pezeshkian will offenkundig eine weitere Eskalation vermeiden – aber wollen das auch die mächtigeren Revolutionsgarden?
Die Lage ist durch den limitierten israelischen Angriff in Iran auf jeden Fall nicht sicherer geworden.