Etwa 60'000 afrikanische Flüchtlinge leben in Israel, die meisten von ihnen kommen aus Eritrea und dem Sudan. In ihre Heimat zurücksenden darf Israel sie eigentlich nicht – weil die Vereinten Nationen erklärt haben, dass den Flüchtlingen bei der Rückkehr in ihre Heimat der Tod drohe.
Dennoch hat Israel begonnen, die etwa 700 Flüchtlinge aus dem Südsudan (nur etwa 0,1 Prozent aller afrikanischen Flüchtlinge in Israel) nach Juba, der Hauptstadt des seit einem Jahr bestehenden Südsudan, zu deportieren. Israel bot jedem 1250 Dollar für die freiwillige Rückkehr an – bei der Ablehnung dieser Offerte droht die Zwangsdeportation. Begründung dieser harschen Massnahme: Da sich der Südsudan vom muslimischen Norden getrennt habe, drohe den Südsudanesen - die meisten sind Christen – nun auch keine Verfolgung mehr.
Rassistische Äusserungen gegen afrikanische Flüchtlinge
Wie das Arab Studies Institute von der Georgetown Universität in Washington berichtet, ist es in letzter Zeit in Israel wiederholt zu rassistischen Äusserungen gegen afrikanische Flüchtlinge gekommen. So habe Mirir Regev, Parlamentsmitglied des Likud-Blockes, am 24.Mai 2012 erklärt, dass die Südsudanesen ein „Krebsgeschwür in unserem Körper“ seien. Zudem habe Innenminister Eli Yishai behauptet, Flüchtlinge aus dem Südsudan vergewaltigten israelische Frauen; diese beschwerten sich aber nicht, habe der Minister erklärt, weil sie fürchteten, von ihren Landsleuten „stigmatisiert“ zu werden, weil sie möglicherweise mit AIDS infiziert worden seien.
Manche Flüchtlinge, die von Israel zurück nach Juba geflohen seien, hätten, so das Institut weiter, über „eine harsche Behandlung“ durch Israel geklagt. So sei es manchen von ihnen verwehrt worden, vor ihrer Abreise auf der Bank ihr Erspartes abzuheben.
Der Südsudan, alliierter Israels?
Andererseits: Während der einzelne Bürger des Südsudan vielen Israelis und dem israelischen Staat als Mensch zweiter oder dritter Klasse gilt, gilt der Staat Südsudan Israel als strategischer Verbündeter gegen den als fundamentalistisch, islamistisch und israelfeindlich eingestellten Sudan und dessen Regime in Khartum. Israel hat den Süden des Sudan in seinem Unabhängigkeitskrieg gegen den Norden unterstützt, Israel gehörte zu den allerersten Staaten, die das neue Land Südsudan vor einem Jahr anerkannten. Für Israel ist der - weitgehend – christliche Südsudan ein Bollwerk gegen den feindlichen muslimischen Norden, ein Bollwerk gegen die arabisch-muslimische Welt.
„Die simple Dichotomie,“ schreibt das Arab Research Institute, "nährt die machtvolle Vorstellung, dass der Südsudan in einem feindlichen Teil der Welt ein Alliierter Israels ist, speziell angesichts des Regimes von Omar al-Bashiir in Khartum. Besonders Al-Bashirs Allianz mit dem Iran und mit der Hamas hat Israel gereizt, weil der Sudan für iranische Waffentransporte als Station auf dem Wege zur Halbinsel Sinai und schliesslich in den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen gilt.“
"Hand in Hand mit Isarael gehen"
Die israelische Liebe zum Südsudan wird dort durchaus erwidert. Immer noch bedroht vom muslimischen Norden, der neidisch auf das Öl im Süden ist und alles tut, den Transport dieses Öls zu verhindern, sucht der Südsudan Anlehnung an Israel. Staatspräsident Salva Kir machte schon im Dezember 2011 seine Aufwartung in Jerusalem und erklärte: „Wir haben Werte, die wir teilen, wir haben ähnliche Kämpfe gekämpft, und wir werden Hand in Hand mit Israel gehen, um unsere gegenseitigen Beziehungen zu stärken.“ Die Liebe geht inzwischen so weit, dass ein Stadtteil von Juba Hai Jerusalem heisst, was „Lang lebe Jerusalem“ bedeutet.
Gehen Menschenrechte und Staatsraison zusammen? Die Deportationen von südsudanesischen Flüchtlingen durch Israel sprechen dagegen. Allerdings gibt es Proteste – sogar in der sonst so regierungsfreundlichen Jerusalem Post. Die liess Charles Jacobs, den Präsidenten der amerikanischen Anti-Sklaverei Gruppe, zu Wort kommen. In einem Kommentar bezeichnete er die Südsudanesen als ein „spezielles Volk“, das eine spezielle Behandlung verdiene. Angesichts der Verfolgung durch den muslimischen Norden hätten, schrieb Charles Jacobs, viele Amerikaner die Menschen aus dem Süddsudan als „die Juden unserer Zeit“ angesehen.
Schlimmes Symbol
Obwohl manche Bürgerrechtler im Südsudan Israel aufgefordert haben, den – wenigen – Flüchtlingen aus ihrem Lande mehr Zeit zur Vorbereitung ihrer Rückkehr zu geben, blieb Israel bisher hart. Man will die Menschen, die meistens als Kellner oder Hilfskräfte in Hotels ein erbärmliches Leben führen, schnell loswerden. Von der Regierung des Südsudan bekommen ihre Landsleute kaum Hilfe. „Wenn Israel euch nicht will, kommt zurück“ – so etwa verlautete aus Juba. Auch im neuen demokratischen Staat Südsudan hat die „strategische Allianz“ mit dem israelischen Staat Vorrang vor der Wahrung der Menschenrechte (der eigenen Bürger).
Die Deportation der – wenigen – Südsudanesen habe, so sieht es das Arab Research Institute, Symbolcharakter für die fragile Lage, in der sich Israel wähne: angesichts des Machtantritts der Muslimbrüder in Ägypten, angesichts möglicher iranischer Drohungen, angesichts der Feindschaft vonseiten der Hamas und der Hizbollah wüchsen nationale Empfindlichkeiten und auch Xenophobie in Israel. „Diese Entwicklungen“, schreibt das Institut, „sind für Israel gefährlich, und die Regierung hat darauf reagiert, indem sie sich nach innen kehrt, indem sie gegen jene vorgeht, die leicht zu kontrollieren sind und indem sie an der Sinai-Grenze einen Sicherheitszaun baut, der afrikanische Flüchtlinge abschrecken soll, das Land (Israel) zu betreten.“
Menschenrechte? Es sind nur etwa 700 Flüchtlinge aus dem Südsudan, an denen sich hier die Animositäten, Vorurteile, Feindschaften, Spannungen, Glaubenskriege sowie nationale und wirtschaftliche Rivalitäten einer ganzen Region entladen. So werden unter den angeblich notwendigen „strategischen Allianzen“ Menschenschicksale begraben. Zwar sind die in Israel gestrandeten, in ihrer Heimat kaum geachteten Menschen aus dem Südsudan zahlenmässig eine Marginalie. Doch für den politischen Zustand der Region sind sie ein schlimmes Symbol.