Es ist schwierig geworden, es richtig zu definieren und zu schreiben. Wann ist das Wort islamisch richigtig, wann islamistisch? Die Schweizer Islamwissenschafterin Amira Hafner-Al-Jabaji sagt, sie werde manchmal als Islamistin statt als Muslimin angesprochen. Das ist nicht gleich als bösartig zu werten. Es herrscht schlicht ein Wirrwarr der Begriffe.
Die geopolitischen Ereignisse überstürzten sich
Islamisch bezieht sich auf die Religion Islam. Es gibt islamische Kunst und islamische Vereine. Islamismus bezeichnet etwas ganz anderes, war aber ursprünglich nicht unbedingt mit Gewaltanwendung verknüpft.
Jahrhundertelang gab es kaum sprachliche Kontroversen, doch dann überstürzten sich geopolitische Ereignisse, und es entstand ein heilloses begriffliches Durcheinander. Muslime empfanden es als beleidigend, wenn gewisse Auswüchse als islamisch bezeichnet wurden und wehrten sich.
Als Resultat wollten besonders die Medien keine justitiablen Fehler begehen und retteten sich in den Begriff des Islamismus, manchmal zu Recht, manchmal nicht. Slawistik blieb eine sprachlich harmloe universitäre Fachrichtung, aber Islamistik hiess nun eher Islamwissenschaft. Die Wissenschaft hatte unversehens ein teilweise anderes Vokabular als die Öffentlichkeit.
Politisierung und Ideologisierung
Was vor etwa 20 Jahren einsetzte und sich nach 9/11 akzentuierte, war eine ganz neue, manchmal undifferenziert angewendete Interpretation des Wortes Islamismus. Es bekam eine völlig andere Bedeutung. «Islamismus ist die Politisierung und Ideologisierung der ursprünglichen Religion», sagt Amira Hafner-Al-Jabaji. «Das neue Element ist die nicht zwingend, aber oft mit Gewaltanwendung angestrebte Durchsetzung dieser Ideologie.»
Die Öffentlichkeit mache keinen Unterschied mehr zwiscnen Islam und islamistisch, sagt die Wissenschafterin. Das hänge damit zusammen, dass dem «ismus» in anderen Religionen, zum Beispiel im Buddhismus, nicht das Element einer ideologischen Stossrichtung anhafte. Amira Hafner-Al-Jabaji rät zur reflektierten Verwendung des Begriffs Islamismus oder islamistisch: «Er ist immer negativ konnotiert gewesen.» Nichtexperten würden kaum mehr einen Unterschied machen, weder in den Medien noch im Mainstream.
Die Islamwissenschafterin lehnt es ab, den im Mittleren Osten wütenden Milizen des «Islamischen Staats» das Wort «islamisch» zuzugestehen und sie damit in die Nähe des Islam zu rücken. Sie nennt sie bei der Abkürzung IS oder bestenfalls beim arabischen Namen: «Sie sind eine Pervertierung des Islam. Ihre Brutalität hat nichts mit dem Islam zu tun. Sie sind nichts als eine willkürliche, verbrecherische Mörderbande.»
Terroristische oder radikale Komponente
Islamismus, sagt Reinhard Schulze, der Islamwissenschafter der Universität Bern, war ursprünglich der Name für «jedwede Artikulation im Öffentlichen Raum, wobei der politische Geltungsanspruch aus dem Islam abgeleitet wird». Die Wissenschaft behandle den Begriff neutal. Die Medien, so Schulze, «benützen jedoch dieses Wort, besonders nach 9/11, mit negativem Anstrich, um alles, was die terrostische oder radikale Komponente ausmacht, darzustellen.»
Die Muslimbrüder in Ägypten, erklärt Schulze, können als Islamisten beschrieben werden, «wobei ihr Islamismus stark wertkonservative und populistische Züge hat und in einigen Fraktionen alten Fundamentalismus fortschreibt». Der Islamische Fundamentalismus sei der Name für die puritanische Neudeutung des Islam seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts, wobei die Texte der islamischen Frühzeit (Koran, Prophetenüberlieferungen) als ethische Normen der Gemeinschaft gelten.
Ultrareligiös
Mit dem «Kalifat» im Mittleren Osten sei eine neue Dimension dazu gekommen, die den bisherigen Erfahrungshorizont der Muslime sprenge, erklärt der Islamwissenschafter. Schulze spricht deshalb in diesem Zusammenhang von ultraislamisch oder ultrareligiös, und die Gräueltaten der IS bezeichnet er mit den Worten, die dazu gehören, wie Terror, Mord, Unmenschlichkeit, aber nicht mit dem Begriff islamistisch.
Die Bezeichnung «ultrareligiös» oder «ultraislamisch» sei in der Tat nicht unproblematisch, sagt Schulze: «Allerdings benutze ich sie bewusst. Mit dem Präfix ultra- wird zum einem etwas „jenseits“ dessen, was das folgende Wort bedeutet, zum anderen (seit dem frühen 19. Jahrhundert) eine radikale, extreme Qualität eben dieses Wortes bezeichnet. Der Doppelsinn „exzessiv religiös seiend und zugleich jenseits der Religion stehend“ soll aus guten Gründen aber nur auf die islamischen Ultras der zeitgenössischen salafīya bezogen werden. Am sichtbarsten sind ultrareligiöse Gemeinschaften wie die ISIS (dawla, dā῾iš) in Syrien und Irak, teilweise unter den Taliban in Afghanistan, unter den anṣār aš-šarī῾a in Tunesien und in Libyen sowie im Südjemen.»
Trotz den Erläuterungen und Definitionen der Expertrn wird es für die Öffentlichkeit und die Medien keineswegs einfacher, sich im schnell wachsenden Dschungel der Begrifflichkeit zurechtzufinden und sich nicht zu verirren.