Seit der Eroberung der jemenitischen Hauptstadt Sanaa durch zaiditische Krieger vor zwei Wochen feiern die iranischen Medien den „Sieg der Revolutionäre“. Die arabische Presse dagegen wirft dem Iran vor, nach Irak und Syrien nun auch im Jemen bestimmen zu wollen.
Die jemenitischen Machtkämpfe werden damit in das Schema des ewigen Streits zwischen Sunniten und Schiiten gepresst. Zu diesem Bild tragen auch die Radikalen im Iran bei. „Die Islamische Revolution kontrolliert bereits drei Hauptstädte. Sehr bald kommt auch Jemens Hauptstadt dazu, danach ist Saudi-Arabien an der Reihe.“ Klingt so die Siegesmeldung eines Feldoffiziers, der stolz das bevorstehende Ende einer erfolgreichen Operation verkündet, oder ist das die Glücksbotschaft eines Spielers, der bald alle Puzzlestücke seines Bildes beisammen hat?
Der iranische Parlamentarier Alireza Zakani hatte am 18. September in der nordostiranischen Stadt Mashad Studenten der paramilitärischen Organisation Basidj um sich versammelt, um ihnen die iranische Offensive in der Region zu erklären.
Wichtigtuer oder Wahrheitsverkünder
Und tatsächlich dauerte es nach seiner Rede nur etwa 20 Stunden, bis die schiitischen Huthi-Rebellen die jemenitische Hauptstadt Sanaa weitgehend unter ihre Kontrolle gebracht hatten, den Ministerpräsidenten zum Rücktritt zwangen und am späten Abend den Staatschef zur Unterzeichnung eines Friedensvertrages nötigten. Tags darauf muss Zakani zwar in vielen Zeitungen massive Kritik dafür hinnehmen, dass er Staatsgeheimnisse preisgegeben und die nationale Sicherheit gefährdet habe. Doch der 50-jährige Volksvertreter aus Teheran genießt offenbar eine Art Narrenfreiheit. Seine Biographie ist sein politisches Kapital.
Schon als Fünfzehnjähriger nahm Zakani am Krieg gegen den Irak teil. Während seines Medizinstudiums war der Kriegsversehrte in der vordersten Reihe der Basidjis gegen rivalisierende Studentengruppen aktiv. Der redegewandte Abgeordnete sitzt in wichtigen Kommissionen in- und außerhalb des iranischen Parlaments, ist oft bei Audienzen des Revolutionsführers Ali Khamenei anwesend und genießt als ehemaliger Kommandeur der Revolutionsgarden das Vertrauen des mächtigsten Mannes des Landes. Vielleicht erlaubt er sich deshalb spektakuläre Auftritte und glaubt auch aus dem Nähkästchen plaudern zu können.
Alarmsignal in der arabischen Welt
Doch sein Auftritt in Mashad, also seine frühzeitige Siegesmeldung über den Jemen, hatte für den Iran verheerende außenpolitische Folgen. Nach dem Sieg der schiitischen Huthis dort schwappte eine Welle anti-iranischer Kommentare durch die arabischen Medien. „Jemen unter Kontrolle Irans“ lautete die Schlagzeile der meisten Zeitungen, und alle zitierten Zakanis Rede, in der er den Sieg der Rebellen vorhergesagt und Saudi-Arabien ins Visier genommen hatte.
Nach Bagdad, Damaskus und Beirut sei nun Sanaa die vierte Hauptstadt der arabischen Welt, die demnächst nach iranischer Pfeife tanze, schrieb etwa ein Kommentator der Webseite Aldjazira und zog eine Parallele zwischen den schiitischen Huthi-Rebellen in Jemen und der Hisbollah in Libanon: Beide seien bekanntlich verlängerte Arme des Iran.
Andere Zeitungen wie die libanesische Al Hayat beschäftigen sich mit der Person Zakani und jenem Teil seiner Rede, in der er Ähnliches für Saudi-Arabien prophezeit. All diese Kommentaren und Analysen begreifen Zakani keineswegs als Einzelgänger oder radikalen Wichtigtuer. Zakani sei jemand, der unverblümt ausspreche, was die Mächtigen im iranischen Machtapparat denken und tun, schreibt ein Kommentator auf der Webseite von Al Arabieh.
Radikale Schützenhilfe aus Teheran
Als ob sie den arabischen Kommentatoren recht geben wollten, bejubeln seitdem radikale Zeitungen und Webseiten wie Kayhan und Fars den „iranischen Sieg“ im Jemen und zitieren dabei die wichtigsten Militärs des Landes. Drei Tage nach dem Machtwechsel in Sanaa veröffentlichte Fars News - die Agentur mit den besten Geheimdienstkontakten – ein Interview mit Ali Hadji Zadeh, dem Kommandeur der Luftboden-Einheit der Revolutionsgarden. Wie Zakani den bevorstehenden Sieg der Verbündeten im Jemen ausplauderte, gab auch Hadji Zadeh dabei interessante Einzelheiten darüber bekannt, wie die Revolutionsgarden in der Region agieren.
Mit nur 70 Mann habe General Qassem Soleymani den Fall der irakischen Stadt Erbil in die Hände der IS-Terroristen verhindert, so Hadji Zadeh etwa. Er lobte die geniale Kriegsführung des Kommandeurs der Quds-Brigaden, der in manchen Medien längst wie ein Held mit übernatürlichen Fähigkeiten gefeiert wird. Nicht die USA und ihre Koalitionäre, sondern Soleymani und seine Verbündeten im Irak würden es sein, die die IS-Terroristen im Irak stoppen würden, prophezeite Hadji Zadeh.
Historischer Fingerzeig
Dies mag übertriebene Heldenverehrung sein, doch dass Soleymanis Einsatz im Irak effektiv ist, dass er auch im Nachbarland verehrt wird und sich dort auf zuverlässige Verbündete stützen kann, das zeigen auch objektive Reporter, wie eine Reportage der BBC vor kurzem dokumentierte: „Dort, im zweiten Auto, da sitzen die beiden zusammen“, sagt ein Augenzeuge der BBC-Reporterin und deutet auf eine Autokolonne, die gerade in die Stadt einfährt. Sein Fingerzeig hat unschätzbare Symbolkraft. Er ist ein Hinweis auf die verworrene Gegenwart ebenso wie auf die jüngste Geschichte und wahrscheinlich die Zukunft des Irak. Ort dieser Geste ist die Kleinstadt Soleyman Beig, 90 Kilometer nördlich der irakischen Stadt Tikrit.
Es ist der Nachmittag des 9. September, kurz nach der Befreiung der mehrheitlich von Schiiten bewohnten Stadt Amerli nach einer 80-tägigen Blockade der IS-Terroristen. Die beiden Männer im Auto sind Generäle, die gerade von der gewonnen Schlacht zurückkehren. Doch für die Menschen, die sich um die Reporterin geschart haben, sind diese Männer - Qassem Soleymani und Hadi al Ameri - lebende Legenden, sagenumwobene Helden, die alle Kriege und Bürgerkriege der letzten 30 Jahre in dieser Region entscheidend mit geprägt haben.
Und wenn jemand den IS-Mördern das Handwerk legen kann, dann können es nach Meinung der Anwesenden nur diese unermüdlichen Krieger sein, der Iraner Soleymani und der Iraker Ameri. Die beiden 60-Jährigen kennen sich seit mehr als dreißig Jahren, seit den Anfängen des iranisch-irakischen Krieges, als der Iraker Ameri, damals ein junger schiitischer Aktivist, den Schergen Saddams entkam und über Umwege im Iran landete. Das war der Beginn einer unverbrüchlichen Freundschaft zwischen zwei Männern, deren Beruf und Berufung Revolution und Krieg geworden sind. Ameri ist heute irakischer Verkehrsminister.
Iran in Bagdads Machtzentrum
Ursprünglich sollte Ameri Verteidigungs- oder Innenminister werden, also einen Posten mit Sicherheitsaufgaben übernehmen. Doch die Sunniten in Bagdads Parlament leisteten vehementen Widerstand gegen diesen Plan. Denn Ameri ist Chef einer etwa 30.000 Mann starken Miliz, den Badr-Brigaden. Zudem säße mit ihm praktisch ein Iraner an der Spitze der irakischen Sicherheitskräfte, so die Befürchtung der irakischen Sunniten. Ameri wurde zwar in der irakischen Provinz Diyala geboren, doch er verbrachte 30 Jahre bei den Revolutionsgarden im Iran und baute dort mit anderen irakischen Oppositionellen die Badr-Brigaden auf, die nach dem Sturz Saddams in den Irak zurückkehrten.
Ameris Frau, eine Iranerin, lebt mit ihren drei Kindern immer noch in jenem Teheraner Stadtteil, wo hauptsächlich Kommandeure der Revolutionsgarden wohnen. Doch es sind nicht allein ihre Lebensgeschichten, die den Iraker Ameri und den Iraner Soleymani verbinden. Auch in ihrer politisch-religiösen Überzeugung stimmen beide Männer vollkommen überein. In einem TV-Interview sagte Ameri vor einem Jahr: „Ich glaube an das Prinzip von 'velayat-e faqih', der absoluten Herrschaft des Gelehrten, wie sie derzeit im Iran existiert."
Selbstlose Hilfe gibt es nicht
Solche Biographien, die sich im heutigen irakischen Machtapparat zuhauf finden, haben zur Entfremdung vieler irakischen Sunniten von der Zentralregierung beigetragen. Dass die Bildung eines starken Nationalstaates nach dem Sturz Saddams scheiterte, hat vielfältige Gründe. Doch der wichtigste dürfte die Kontrolle des irakischen Sicherheitsapparats durch die Badr-Brigaden und Dutzende andere schiitische Milizen sein. Und wenn die Machthaber im Iran von ihren irakischen Verbündeten reden, sind genau diese Milizen inner- und außerhalb des Staatsapparates gemeint. Viele Iraker sehen deshalb das iranische Engagement gegen den IS mit gemischten Gefühlen, oder - wie ein Kommentator der Al Arabieh schreibt - wie ein doppelseitiges Sägeblatt.
Das erlebte auch die BBC-Reporterin unter den Schiiten nach der Befreiung Amerlis. Die Kriegshelden Soleymani und Ameri waren längst abgereist, die Reporterin recherchierte weiter, nahm die Begeisterung für die iranische Hilfe auf, registrierte Anzahl und Arten der iranischen Waffen und fuhr schließlich in die Stadt Kirkuk.
Dort traf sie auf eine Gruppe verängstigter Kurden und Schiiten, die sich vor den iranischen Helfern und deren irakischen Verbündeten versteckt hatten. Unter ihnen ein schiitischer Dorfvorsteher, der der Reporterin etwas sehr Sonderbares und Beängstigendes erzählt - etwas, das sich für die Zukunft des Iraks sehr bedrohlich anhört. Der alte, erfahrene Mann aus der Nähe der Stadt Amerli - selbst als Schiit einst ein glühender Anhänger der islamischen Revolution im Iran – erklärt der Reporterin, es gebe zunehmend junge schiitische Milizionäre, die oft gefährlicher und brutaler seien als ältere. Gefährlicher als die für ihre Brutalität bekannten Badr-Brigaden? Das muss etwas heißen in Zeiten der Abwesenheit jeglicher staatlichen Autorität.
Machtlose Moderate
Die Reformer und Moderaten im Iran ahnen wohl, welche Zukunft im Irak zu befürchten sei, sollte die Entfremdung der Mehrheit der Iraker zu ihrem Staat und die Herrschaft der Milizen andauern. Ohne eine nationale Versöhnung und die Einbindung aller Kräfte sei das Scheitern vorprogrammiert, warnte der iranische Präsident Hassan Rouhani den neuen irakischen Premierminister Haider al-Abadi vergangene Woche am Rande der UN-Vollversammlung. Doch der Weg der Versöhnung ist offenbar steiniger als viele dachten. Dem neuen irakischen Ministerpräsidenten droht schon jetzt die erste Regierungskrise. Auch seine neuen Kandidaten für die Ämter des Innen- und Verteidigungsministers erhielten bei der letzten Parlamentssitzung keine Mehrheit. Al-Abadi, der Schiit, bleibt damit vorläufig selbst Oberkommandierender in seinen Kriegen an verschiedenen Fronten.
- Dieser Artikel erschien zuerst dem Webportal "Transparency for Iran"