Mit Franziska Brantner, Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Alexander Graf Lambsdorff, dem künftigen Deutschen Botschafter in Moskau, diskutiert Tim Guldimann darüber, wie sich Europa globalpolitisch behaupten kann
Können wir uns auf die USA verlassen? Dazu Franziska Brantner: Wir «haben im letzten Jahr erlebt, wie wichtig die transatlantische Partnerschaft ist.» Gegenüber Putins Angriffskrieg «sind und waren unsere besten Verbündeten die Amerikaner (…) als klare Verankerung in dieser internationalen Welt.» Das bedeute aber, «dass wir als Europäer auch gezwungen sind, übrigens auch durch die Amerikaner, mehr eigene Handlungsfähigkeit zu erlangen.» Das gelte auch gegenüber China, aber nicht als «eine Entweder-oder-Frage (…) Wir werden uns nicht von China abwenden.»
Dem stimmt Alexander Lambsdorff zu: «Wenn es wirklich zu einer Krise kommt, dann sieht man, wer sind die Verbündeten, auf die man zählen kann.» Das enge Zusammenstehen mit den USA «hatten wenige erwartet». Wenn aber 2024 Trump gewählt werden sollte, «haben wir natürlich wieder enorm schweres Fahrwasser». Dann wird sich auch zeigen, «wie die amerikanische Chinapolitik gestaltet» wird, da seien «die Republikaner noch tougher als die Demokraten.»
Gegenüber China gelte es, so Brantner «eine gute Balance zu finden, zwischen dem Anspruch, bei den internationalen Themen kooperieren zu können – Stichwort Klimaschutz – aber eben auch andererseits, sich weniger verwundbar aufzustellen.» Dabei seien wir «vielleicht etwas zu weit gegangen, zum Beispiel beim Thema Rohstoffe, bei den weiterverarbeiteten Rohstoffen für unsere Handys, für unsere Batterien, wo wir fast zu 100% abhängig sind von China. (…) Für unsere eigene Sicherheit müssen wir hier ein De-Risking machen.»
Man müsse aber, so Lambsdorff «unterscheiden: China als Absatzmarkt und China als Markt für Vorprodukte als Rohstofflieferant». Wenn Firmen existentiell vom chinesischen Absatzmarkt abhängig sind, «dann ist es verdammt nochmal ihre Aufgabe zu diversifizieren. Daraus folgt aber für die Politik auch eine Aufgabe, nämlich neue Absatzmärkte zu erschliessen durch neue Freihandelsabkommen (… zum Beispiel in) Südostasien.» Aber, so Brantner, diese «Diversifizierung ist teuer, aber wir haben auch gesehen, wie teuer die Abhängigkeiten waren (…). Wir müssen uns nicht nur fragen, was kostet uns Sicherheit, sondern was kostet uns Unsicherheit?»
Dem pflichtet Lambsdorff bei: «Das ist wirklich ein Prozess, der unheimlich aufwendig ist», doch grundsätzlich gelte: «Das Geschäftsmodell der Bundesrepublik Deutschland nach der Wiedervereinigung war billiges Gas aus Russland, ein toller Absatzmarkt in China, die Amis garantieren unsere Sicherheit und wir bezahlen 1,2% für die Bundeswehr. Dieses Geschäftsmodell ist tot. (…) Der Ausstieg aus der Abhängigkeit von Russland, hat der BND-Chef Bruno Kahl gesagt, das war wie ein Sturm. Aber wenn wir uns von der chinesischen Abhängigkeit befreien wollen, dann ist das wie der Klimawandel. Das ist viel grösser, viel umfassender und unter Umständen auch teurer.» Aber wenn das sehr rasch erfolgen muss, «dann hätten wir wirklich eine dramatische Lage. (…) Das Signal der Politik an die Wirtschaft muss sein: (…) Stellt euch bitte darauf ein, und wenn es schief geht, (…) dann kommt bitte nicht mit dem Hut in der Hand nach Berlin und bettelt um das Geld der Steuerzahler».
Kann sich Europa globalpolitisch in Zukunft behaupten? Das verlangt eine selbständigere Politik und eine Vertiefung der Integration, vor allem angesichts der Gefahr, dass das transatlantische Verhältnis durch einen Sieg Trumps 2024 erodiert. Dazu Lambsdorff: «Sind wir in Europa bereit dazu, können wir das? Ich bin da nicht sehr optimistisch. (…) Das, was man an europäischem Spirit in Brüssel mit Händen greifen kann, (…) ist in den europäischen Hauptstädten, wenn überhaupt, nur in homöopathischen Dosen vorhanden. Die nationalen Hauptstädte kreisen um sich selbst, verfolgen ihre eigenen Projekte, denken Europa mal peripher mal mit, oft mal nicht. (…) Klar ist, wir brauchen einen Selbstbehauptungswillen in Europa und der muss europäisch organisiert sein.» Die grosse Gefahr liege aber darin, «dass wir auf dem Kontinent eine Wende hin zu rechtskonservativen, teilweise populistischen Parteien und Regierungsbeteiligungen haben (…) in Italien, Spanien, Finnland.»
Brantner ist optimistischer: «Mein Eindruck ist, dass gerade im europäischen Verteidigungsbereich im Moment so viel passiert wie jahrzehntelang nicht. (…) Wir sind auch daran, eine europäische digitale Souveränität aufzubauen. (…) Ich bin immer wieder überrascht, wie gut wir es im letzten Jahr geschafft haben, mit Blick auf die Ukraine dann doch zu Einigkeit zu finden (…) Wir haben einiges zustande gebracht, zum Beispiel das Antizwangsmassnahmen-Reglement, wenn wir Zwangsmassnahmen wirtschaftlicher Art bekommen, dass wir dann als EU reagieren können», auch bezüglich Cyberattacken «haben wir uns rechtliche Rahmen gegeben, da kommen wir de facto als EU überall voran. (…) Das sind für mich fundamentale Grundlagen, um in einer neuen Krisensituation den rechtlichen Rahmen schon zu haben, um besser agieren zu können.»
«Das Gute ist, dass wir jetzt in all diesen Prozessen gesehen haben, dass dort, wo früher eventuell Blockaden aus Polen oder den ehemaligen Visegradstaaten kamen, wir jetzt eine Kooperation haben (…) Ungarn ist meistens trotzdem noch dagegen, aber der Rest kooperiert und sieht die Notwendigkeit, dass die EU auf Krisen besser vorbereitet sein muss. Und das ist ein fundamentaler Shift seit Beginn des Ukrainekrieges, dass wir ganz andere Verhandlungsdynamiken in Brüssel haben. (…) Und dass interessanterweise die osteuropäischen Staaten, die baltischen Staaten eher die Treiber sind. Und diese neue Dynamik, die wird in der deutschen Öffentlichkeit noch gar nicht genug wertgeschätzt.» – Die gestärkte Einigkeit der EU zeige sich, so Lambsdorff, darin, «dass wir inzwischen beim 11. Sanktionspaket sind (…) und es muss bei jedem Paket Einstimmigkeit hergestellt werden. Und das ist gelungen (…) das ist auch geopolitisch ein Signal, in dem Fall an den Kreml, dass Europa, wenns drauf ankommt, auch zusammenstehen kann.»
Im Fazit sind beide Gesprächspartner optimistisch. Lambsdorff glaubt, «dass wir langsam und allmählich – und ich hoffe auch im erfolgreichen Kampf gegen die Nationalisten in den Mitgliedstaaten – es schaffen, Europa nach vorne zu bringen. (…) Aber ich würde mir nicht wünschen, dass wir Europa gegen die USA und gegen China gestellt sehen, … (sondern) dass wir gemeinsam mit den grossen Demokratien der Welt zusammenstehen (…) Für mich ist ein stärkeres Europa immer noch ein transatlantisches Europa. Wenn es hart auf hart kommt, dann funktioniert der europäische Zusammenhalt – siehe Sanktionen – und es funktioniert der transatlantische Zusammenhalt – siehe die amerikanische und kanadische Beteiligung an dem, was wir hier tun.» – Brantner begründet ihren Optimismus «in der Handlungsfähigkeit, die wir in der schwersten Krise Europas im letzten Jahr gesehen haben. (…) Wenn wir in solchen Momenten die Handlungsfähigkeit beweisen, haben wir gute Zuversicht, auch zukünftige Krisen gut zu meistern.»
Journal 21 publiziert diesen Beitrag in Zusammenarbeit mit dem Podcast-Projekt «Debatte zu dritt» von Tim Guldimann.