Die sozialdemokratische Bundesrats-Kandidatin Elisabeth Baume-Schneider hat in einem Interview mit der NZZ die Frage, ob sie gerne in der EU wäre, wie folgt beantwortet: «Ein Beitritt ist derzeit nicht möglich, aber später ja, warum nicht? Vielleicht in zehn Jahren werden wir wieder ernsthaft darüber sprechen. Aber dann wäre ich ganz sicher nicht mehr Bundesrätin.»
Das ist eine erfreulich frische, kluge und pragmatische Aussage. Doch diese Position ist gegenwärtig in der öffentlichen Debatte der Schweiz durchaus keine Selbstverständlichkeit. Vor allem im rechtsnationalen Lager wird derartige politische Offenheit gegenüber der Zukunft vehement abgelehnt.
Blochers dogmatische Neutralitätsinitiative
Apodiktische Festlegungen auf vermeintlich unverrückbare Prinzipien sind in der Politik nie eine vernünftige Handlungsanleitung. Genau auf solche Zementierungen, die wenig oder gar keinen Spielraum für flexible Anpassungen an neue, unvorhersehbare Entwicklungen (oder «Zeitenwenden») frei lassen, zielt die Neutralitätsinitiative Blochers und seiner ideologischen Trabanten.
Eine «immerwährende und bewaffnete Neutralität» soll für die Schweiz in der Verfassung festgeschrieben werden. Ausdrücklich wird damit laut Initiativtext die Beteiligung an einem Verteidigungsbündnis sowie die Übernahme von Sanktionsmassnahmen gegenüber Drittstaaten untersagt. Der Bundesrat hätte sich also den EU-Sanktionen gegenüber Russland nach Putins Überfall auf die Ukraine nicht anschliessen können, wenn die Neutralitäts-Vorschrift, wie sie die Blocher-Initiative vorsieht, bereits vom Volk angenommen und damit Gesetz geworden wäre.
Dass sich die Schweiz damit zumindest gegenüber den USA und der EU, unseren wichtigsten Handelspartnern, nicht nur politisch, sondern wohl auch wirtschaftlich stark isoliert hätte, lässt sich leicht ausmalen. Die damit verbundenen Nachteile wären vielleicht einigermassen tragbar, wenn sie sich wenigstens moralisch eindeutig rechtfertigen liessen. Aber wo liegt die moralische Rechtfertigung für eine lupenreine Äquidistanz gegenüber der Ukraine und Russland, wenn völlig unbestreitbar ist, dass das Putin-Regime das westliche Nachbarland gegen jede völkerrechtliche Norm mit einem mörderischen Angriffskrieg überzieht?
Zwar wird im Text der von Blocher angestossenen Neutralitätsinitiative nur die Beteiligung an einem militärischen Bündnis sowie die Verhängung von Sanktionsmassnahmen gegenüber Drittstaaten untersagt. Eine Mitgliedschaft bei einer nichtmilitärischen Gemeinschaft wie der EU wird nicht ausdrücklich untersagt. Doch es gibt kaum Zweifel, dass die dogmatischen Neutralitäts-Fetischisten im Sinne haben, mit diesem Instrument einem solchen Beitritt für alle Zukunft einen Riegel vorzuschieben. Denn wäre die EU überhaupt je bereit, ein Land als Mitglied aufzunehmen, in dessen Verfassung jede Beteiligung an gemeinsamen Massnahmen gegen Drittstaaten verboten ist?
Putins Annexionen «für immer»
Dass die Neutralitäts-Initiative aus dem SVP-Dunstkreis, für die jetzt die notwendigen hunderttausend Unterschriften gesammelt werden, zustande kommt, ist so gut wie sicher. Sollte sie von einer Mehrheit des Volkes angenommen werden, würden so vernünftige Stellungnahmen, wie sie die SP-Bundesratskandidatin Baume-Schneider im oben zitierten Interview zur Möglichkeit eines späteren EU-Beitritts formulierte, zur abstrakten Theorie.
Wie in der Politik grosse Sprüche von «immerwährenden» Wahrheiten oder Realitäten unvermittelt hohl und weltfremd klingen können, hat im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg übrigens auch der Aggressor Putin erfahren müssen. Vor einigen Wochen hatte er in einer pompösen Kreml-Veranstaltung die offizielle Einverleibung von vier besetzten ostukrainischen Provinzen in das russische Staatsterritorium zelebriert. Diese Gebiete sollten von nun an «für immer» zu Russland gehören, hatte er verkündet.
Die Behauptung war schon zu jenem Zeitpunkt nicht völlig zutreffend, denn ein Teil der Provinz Cherson war weiterhin von der Ukraine kontrolliert. Inzwischen haben die russischen Truppen die Hauptstadt Cherson räumen müssen. Die Hoffnungen sind durchaus intakt, dass der vom Kreml deklarierte Anschluss «für immer» von der Geschichte widerlegt wird.
Absolute Formeln wie «für immer und ewig» mögen im Film- und Schlagergeschäft gut ankommen – für praktische Politik taugen sie nicht.