Sie war noch einmal unterwegs an diesem sonnigen Sonntag in Paris, die sogenannte „Demo für alle“ (in Anlehnung und als Widerspruch zur „Ehe für alle“ - sprich Homo-Ehe). Es war wieder ein gut organisierter, in rosa gehüllter Marsch gegen das Gesetz zur Einführung der Homo-Ehe. Im letzten November demonstrierte man zum ersten Mal. Seither gingen die Gegner der „Ehe für alle“ mehrmals auf die Strasse.
50‘000 waren diesmal gekommen und wollten es noch ein letztes Mal wissen - zwei Tage bevor dieses umstrittene Gesetz in der französischen Nationalversammlung am Dienstag, den 23. April 2013, endgültig verabschiedet werden wird.
„Der friedliche Widerstand wird weitergehen, was immer auch geschieht“, verkündete Christine Boutin, die streng katholische Ex-Ministerin von Nicolas Sarkozy zu Beginn der Demonstration. „Frankreich ist dabei, sich zu erheben.“ Man darf sich fragen, ob die Dame ihr Land, von dem sie da redet, überhaupt noch kennt. Zwei Drittel der Franzosen haben nichts mehr gegen die Homo-Ehe, und daran hat sich während dieser monatelangen, endlosen Diskussion über dieses Thema so gut wie nichts geändert.
Hollands Popularität auf einem historischen Tiefstand
Was sich geändert hat und auch an diesem Sonntag wieder deutlich zu spüren war: Die Demonstrationen gegen die Homo-Ehe haben zusehends einen politischen Charakter bekommen. Die Parolen richten sich mehr und mehr direkt gegen Präsident Hollande – dessen Popularitätswerte gerade an diesem Sonntag auf den historischen Tiefststand von gerade noch 25 % gesunken waren.
Damit hatte nun wirklich kaum jemand gerechnet, als das Holland'sche Wahlversprechen Nr. 31 – Einführung der Homo-Ehe und Recht auf Adoption für gleichgeschlechtliche Paare - vor knapp sechs Monaten auf die politische Agenda der sozialistischen Regierung gesetzt wurde.
Kaum jemand hätte gedacht, dass der ultrakonservative Bodensatz des tiefen Frankreichs so vehement auftreten könnte, dass eine vor sich hin schwächelnde katholische Kirche in der Lage ist, wochenlang ihre letzten Kräfte zu mobiliseren, und zwar so, als ginge es ums schiere Überleben. Niemand hatte damit gerechnet, dass das wertkonservative Frankreich es in der heutigen Zeit noch schaffen könnte, die Homo-Ehe als etwas hinzustellen, das den Untergang des Abendlandes besiegelt und damit Hunderttausende auf die Strasse und die Regierung in Bedrängnis bringt.
“Blut wird fliessen“
Von Tag zu Tag wird das Klima im Land kaputter und angespannter. Die Organisatorin der rosarot-hellblauen Protestbewegung mit dem Künstlernamen Frigide Barjot warnte Präsident Hollande zwischenzeitlich sogar, wenn er nicht nachgebe, werde „Blut fliessen“. (Man hat richtig gelesen.) Immer mehr ultrarechte Schlägertrupps, von deren Existenz man kaum mehr etwas wusste, traten wieder in Erscheinung und spielen ihre Spielchen. Eine neue Bewegung ist aufgetaucht, die sich „Französischer Frühling“ nennt, ein Potpourri aus Rechtsextremen und katholischen Traditionalisten. Das Schlimme dabei: Die sogenannte „republikanische Rechte“ wahrt kaum mehr Distanz zu diesen Gruppierungen, geschweige denn, dass sie diese Kommandos in aller Deutlichkeit verurteilen würde.
Im Gegenteil: Bei den Demonstrationen der letzten Tage stieg sogar der hemdsärmelige Fraktionsvorsitzende der UMP-Partei, Christian Jacob, unweit des Parlaments, in das er gewählt worden war und wo er eigentlich hätte sitzen müssen, ganz nach oben auf das Metallgerüst für die Lautsprecheranlagen und heizte aus luftiger Höhe vor der Kulisse des Invalidendoms und vor einigen tausend Demonstranten die Stimmung noch weiter an. Dass bei diesen allabendlichen Demonstrationen der letzten Woche in Reichweite des Parlaments regelmässig der Ruf: „Hollande - démission“ zu hören war, missfällt den Abgeordneten der Opposition natürlich nicht.
Schlägerei im Parlament
Wenn diese Herren in den letzten Tagen nicht bei den Demonstrationen, sondern zur zweiten Lesung des Gesetzes über die Homo-Ehe wirklich auch mal im Parlament waren, dann benahmen sie sich sehr häufig gründlich daneben.
Einer von ihnen, der bislang in der gesamten Diskussion nie aufgefallen war, der aber offensichtlich meinte, endlich etwas für seinen Bekanntheitsgrad tun zu müssen, erschien in der letzten Nacht der Debatte mit einem Ballerina-Schuh in der Hand in der Nationalversammlung. In der Wandelhalle des Parlaments präsentierte er zunächst den verbliebenen Fernsehkameras das gute Stück wie eine Kriegsbeute von der Demonstrationsfront. Dazu erzählte er eine Geschichte vom unangemessenen Verhalten der Ordnungspolizei des bösen sozialistischen Innenministers Manuel Valls, die ein braves junges Mädchen so brutal behandelt habe, dass es dabei sein modisches Schuhwerk verloren habe.
Mit eben diesem Schuhwerk in der Hand zog er daraufhin in den Plenarsaal, wo er den wenigen Dutzend verbliebenen Abgeordneten in der kurzen Sitzungspause die Geschichte von Schneewittchen auf der Demo noch einmal erzählte. Es war halb zwei am Morgen und ein hoher Beamter der Nationalversammlung, der auf den Ministerbänken hinter der Justizministerin Platz genommen hatte, muss ob der pathetischen Tirade des Herrn Abgeordneten wohl müde oder verzweifelt gelächelt oder sich sonst wie lustig gemacht haben. Für den echauffierten Volksvertreter, frisch von der Demo zurück, war das zu viel des Guten. Mit zwei Kollegen stürmte er schreiend auf die Ministerbänke zu.
Schwarz gekleidete Saalordner in Frackschössen und mit ihren Silberketten aus vergangenen Jahrhunderten über den gespannten Bäuchen mussten eingreifen, um eine Rauferei zu verhindern. Der eine oder andere von ihnen soll sogar einen Faustschlag abbekommen haben. Da das in einer Sitzungspause stattfand und die Kameras abgeschaltet waren, gibt es von dem Zwischenfall nur das ein oder andere halbscharfe Foto. Auf einem davon schaut sich Justizministerin Taubira mit stoischer Ruhe den Trubel aus allernächster Nähe an, auf einem anderen packt sie dann doch ihre Sachen, um den polternden Volksvertretern zu entkommen.
Einer der altgedienten Parlamentarier meinte hinterher, Derartiges habe er in den 30 Jahren seines Abgeordnetendaseins noch nie erlebt. Womit man ganz nebenbei wieder einmal gelernt hat, wie lange ein französischer Parlamentarier eben Parlamentarier bleiben kann.
Als ob die Jagd auf Homosexuelle wieder freigegeben würde
Nach dem Vorfall mobilisierte der Parlamentspräsident in dieser denkwürdigen Nacht nochmals seine letzten Kräfte und tobte. Er erinnerte daran, dass das hohe Haus kein Schulhof sei. Er kündigte Strafen und Sanktionen an und sorgte dafür, dass dieser Spuk der 2. Lesung der Gesetzesvorlage zur Einführung der Homo-Ehe am Freitag früh um 7.35 Uhr dann endlich ein Ende hätte.
Ein Kasperltheater, könnte man sagen, wenn es letztlich nicht doch ziemlich ernst wäre und auch Konsequenzen hätte.
Denn das wochenlange hysterische Geschrei der Opposition, die Aktionen der rechtsextremen Stosstrupps am Rande der Demonstrationen, die von ihnen gesprengten Diskussionsveranstaltungen an mehreren Orten des Landes - all dies hat im Lauf der letzten Wochen dazu geführt, dass geschah, was geschehen musst: Die Homophobie im Land feiert neuerdings wieder fröhliche Urstände. Es herrscht ein Klima, als sei die Jagd auf Homosexuelle in Frankreich gerade wieder frei gegeben worden.
Vorletzte Woche wurde ein homosexuelles Paar in Paris so verprügelt, dass ihre Gesichter nur schwer wiederzuerkennen waren. Letzte Woche wurde eine Schwulen-Disco in Lille zerlegt. Am Tag darauf wurde eine andere in Bordeaux von ein paar Schlägern in schwarzen Kapuzen heimgesucht.
Heuchlerische Opposition
Politisch gesehen hat die Episode rund um die Homo-Ehe Frankreichs regierenden Sozialisten eigentlich nur Ärger eingebracht. In allen möglichen Instanzen und Kommissionen, in der Öffentlichkeit, sowie in der Nationalversammlung und im Senat ist das Thema ausführlichst und monatelang diskutiert worden. Wenn die Opposition heute immer noch behauptet, man habe dieses Gesetz übers Knie gebrochen, ist das schlicht eine Frechheit und verlogene Heuchelei.
Während Frankreich monatelang diskutierte, hat das britische Parlament unter dem konservativen Premier ein Gesetz über die Homo-Ehe an einem Nachmittag verabschiedet. Auch Neuseeland hat die Homo-Ehe wie nebenbei und selbstverständlich zugelassen; dort wurde der Beschluss sogar öffentlich gefeiert.
In Frankreich aber hat die reichlich sterile, Monate dauernde Debatte über die Homo-Ehe dazu geführt, dass sich Präsident Hollande an allen Ecken und Enden im Land sagen lassen muss, dass es angesichts von Wirtschafts- und Schuldenkrise, Massenarbeitslosigkeit und sozialer Not schwer nachvollziehbar ist, wenn das Thema Homo-Ehe nach wie vor die öffentliche Diskussion beherrscht und dass es an der Zeit wäre, andere Prioritäten zu setzen.
Die katastrophalen Umfragewerte der letzten Tage für den Mann, der ein „normaler Präsident“ sein wollte, sind sicherlich zum Teil auch ein Ausdruck dessen.