Dass Ägyptens Armee, den zehntgrössten Streitkräften der Erde, bei der Entwicklung im Lande eine Schlüsselrolle zukommt, darüber sind sich die meisten Experten einig. Die Armee dürfte die einzige Institution sein, welche die Ägypter noch respektieren – ganz im Gegensatz zum Präsidenten, zum Parlament, zur Verwaltung, zu Polizei und Geheimdienst. Und als Empfängerin von 1,3 Milliarden Dollar amerikanischer Militärhilfe pro Jahr hat sie einiges zu verlieren, falls sie sich nicht nach den Vorstellungen der USA verhält.
Suleimans Herrschaftswissen
Hosni Mubarak, schreibt Robert Baer in „Time“, habe Omar Suleiman nicht zum Vizepräsidenten ernannt, weil er im Volke beliebt sei, sondern weil er die Armee besser kenne als jeder andere. Suleiman habe Karriere gemacht, indem er Ägyptens Offiziere unter Kontrolle gehalten habe: „Er hat die Biografie jedes Offiziers auswendig gelernt und kann auf geradezu unheimliche Weise voraussagen, wer loyal ist und wer nicht. Dieses Herrschaftswissen ist der Schlüssel für jeden, der jene abgeschottete Militärdiktatur kontrollieren will, die Ägypten seit 1952 geworden ist, als ein Staatsstreich die Monarchie hinwegfegte.“
Ägyptens Generäle, argumentiert der frühere Geheimdienstler, hätten stets einen geschlossenen Kreis gebildet, in den niemand von aussen eindringen konnte. Gleichzeitig seien sie aber immer auch vorsichtig vorgegangen, denn die Generäle hätten gewusst, dass das Regime jeden still und ohne Verzug beseitigen würde, der auch nur im Geringsten unabhängig oder gar rebellisch agierte: „Kein Geheimdienst der Welt hat je den Schleier lüften können, der Ägyptens Militärdiktatur verhüllt – und keiner kann es heute.“
1989 zum Beispiel entliess Hosni Mubarak Verteidigungsminister Abdel-Halim Abu Ghazala. Dem Feldmarschall wurde Verwicklung in Schmuggelgeschäfte vorgeworfen. Mutmasslich aber war der charismatische General und Kriegsheld für den Geschmack des Präsideten schlicht zu populär geworden.
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Zwar gebe es in Ägypten, so Baer, seit den 50er Jahren die Gefahr des militanten Islamismus. Suleiman und seine Vorgänger aber hätten genau gewusst, dass diese Bedrohung im Vergleich zur Gefahr eines Militärputsches zu vernachlässigen war: „In einem Land wie Ägypten hätte es genügt, wenn eine Panzerkompanie den Präsidentenpalast umstellt und das Regime gestürzt hätte.“ Er schätze, sagt der früher in Beirut stationierte CIA-Agent, dass Omar Suleiman 80 Prozent seiner Zeit damit verbracht habe, Ägypten Generäle und Obristen zu überwachen. Jene höheren Offiziere also, die Panzern hätten befehlen können, zum Sitz des Präsidenten zu rollen: „Suleiman hatte zweifellos alle ihre Telefone angezapft, wusste, wer Schulden hatte und wer nicht, wusste, wer ausser Landes und wer nicht. Und er wusste genau, wer sich und für wie viel Geld bestechen liess – Wissen als Waffe, die Kommandanten gefügig zu halten.“
Ausgebildet in der Sowjetunion und in den USA
Ägyptens höhere Offiziere, schliesst der Amerikaner, seien sich stets bewusst gewesen, wie verletzlich sie in einem System wie dem ihren waren: „Falls sie nie eines von Suleimans Gefängnissen von innen gesehen haben, so haben sie doch genug über sie gehört, um sich unendlich davor zu fürchten. Entsprechend legen sie Wert darauf, nie mit anderen Offizieren offen zu reden, denn diese könnten sie ja an Suleiman verraten. Und schon gar nicht reden sie mit ausländischen Diplomaten.“
Robert Baer beschreibt Omar Suleiman kritischer, als offizielle oder offiziöse Biografen das tun. Ägyptens neuer Vizepräsident wurde 1936 in der Stadt Qena im Süden des Landes geboren, durchlief eine angesehene Militärakademie, diente während 30 Jahren in der Armee, bildete sich in der Sowjetunion (und später auch in den USA) militärisch weiter und kämpfte in drei Kriegen, im Jemen sowie 1967 und 1973 gegen Israel.
Er leitete den Nachrichtendienst der Armee und wurde 1993 von Hosni Mubarak zum Chef des gefürchteten nationalen Geheimdienstes ernannt. Zwei Jahre später rettete Suleiman dem Präsidenten das Leben, als er ihm dringlich riet, anlässlich eines Besuches in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba in einer gepanzerten Limousine zu fahren. Hosni Mubarak überlebte, als ein Attentäter das Feuer auf den Wagen eröffnete.
Vermittlerrolle im Palästina-Konflikt
Omar Suleiman, der sich gern elegant kleidet und Zigarren raucht, spielte in den 90er Jahren auch eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung militanter Gruppen wie des Islamischen Jihad. Dieser verübte unter anderem am 17. November 1997 jenes Attentat, bei dem in Luxor militante Islamisten 58 Menschen, unter ihnen 36 Schweizer, töteten. Der Geheimdienstchef vermittelte zudem Gespräche zwischen Israeli und Arabern sowie zwischen den beiden verfeindeten Palästinenserfraktionen Fatah und Hamas. Auch bei Konflikten im Jemen und im Sudan war Suleiman als Vermittler aktiv.
„Er ist intelligent. Er versteht etwas von Aussenpolitik. Vor allem die Politik arabischer Staaten versteht er sehr gut“, zitiert die „Washington Post“ Mahmoud Zahar, einen Führer der Hamas in Gaza: „Er hat gute Beziehungen zu den Israeli und zu den Palästinensern, besonders zu jenen in Ramallah (dem Sitz der Palästinenseradministration, d.h. der Fatah).
In der Tat erfreut sich Omar Suleiman in Israel grosser Beliebtheit. Er hat das Land regelmässig besucht und sich noch im November mit Benjamin Netanyahu getroffen. Mit dem israelischen Premier soll er sich gut verstehen und ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Iran teilen. „Suleiman ist eine eindrückliche Figur“, sagt ein früherer britischer Botschafter in Kairo: „Er ist ziemlich schlau, sehr manierlich und äusserst intelligent. Die Leute fürchten ihn, aus nachvollziehbaren Gründen.“
Derweil der ägyptische Vizepräsident durchaus seine Bewunderer hat, so mangelt es auch nicht an Kritikern. Diese kommen in erster Linie aus Kreisen von Oppositionellen und von Menschenrechtlern, die nicht vergessen haben, welche Rolle Kairos Geheimdienstchef nach 9/11 in Amerikas „Krieg gegen den Terror“ gespielt hat. Suleiman hatte stets exzellente Beziehungen zur CIA, deren Chefs er zu Bootsfahrten auf dem Nil einzuladen und mit Informationen über al-Qaida zu versorgen pflegte. „Er war ein guter Partner“, sagt ein Ex- Geheimdienstler in Washington: „die Hälfte der Führung al-Qaidas war ja auch ägyptisch.“
In Folter-Verhöre involviert
Omar Suleiman spielte auch eine wichtige Rolle bei so genannten „extraordinary renditions“, d.h. geheimen Überführungen von Terrorverdächtigen durch die USA in Länder, wo sie „intensiver verhört“ (d.h. gefoltert) werden konnten. Insgesamt soll die CIA nach 1993 bis zu zwei Dutzend Terrorverdächtige nach Ägypten überstellt haben. Dabei musste jeweils jede „rendition“ an höchster Stelle beider Geheimdienste abgesegnet werden. Die Autorin Jane Mayer zitiert im „New Yorker“ einen früheren US-Botschafter in Kairo, der Suleiman als „sehr intelligent, sehr pragmatisch“ einstuft und sagt, er sei sich als Diplomat bewusst gewesen, dass „einige der negativen Sachen, in welche die Ägypter involviert waren, wie Folter und so“, sich allenfalls auch nachteilig auswirken konnten: „Er (Suleiman) war übrigens nie überempfindlich.“
Zwar war die CIA amerikanischem Gesetz zufolge verpflichtet, sich seitens der Ägypter zu versichern, dass Terrorverdächtige nicht gefoltert wurden. Doch ein einstiger CIA-Agent, der bei geheimen Überstellungen aktiv beteiligt war, hat in einer Anhörung vor dem Kongress in Washington ausgesagt, dass solche Zusicherungen, selbst falls sie mit unauslöschlicher Tinte geschrieben würden, „nicht einen Kübel warmer Spucke wert waren“.
Das Thema Folter ist indes alles andere als belanglos - umso weniger, als das Weisse Haus mutmasslich unter Folter erzwungene Aussagen eines Terrorverdächtigen, den die Amerikaner von Pakistan nach Ägypten überstellt hatten, später dazu missbrauchte, um den Einmarsch im Irak zu rechtfertigen. Auf jeden Fall zitierte sie Aussenminister Colin Powell im Februar 2003 in seiner mit Unwahrheiten gespickten Rede vor der Uno-Vollversammlung in New York.
Ibn al-Sheik al-Libi, der Osama bin Laden persönlich kannte, hatte nämlich nach einem „verstärkten Verhör“ durch den ägyptischen Geheimdienst bestätigt, dass es Verbindungen zwischen Saddam Hussein und al-Qaida gab und dass die Iraker Agenten von Bin Ladens Netzwerk im Einsatz biologischer und chemischer Waffen ausbildeten – eine Aussage, die der Libyer später, da mit Gewalt erzwungen, zurücknahm. „Sie wollten mich töten“, sagte al-Libi dem Buch „Hubris“ von Michael Isikoff und David Corn zufolge: „Ich musste ihnen etwas sagen.“
"Er reisst an den Seilen"
„Suleiman zieht in Ägypten nicht die Fäden“, hat eine gut informierte israelische Quelle jüngst der Tageszeitung „Haaretz“ verraten: „Er reisst an den Seilen.“ Noch ist ungewiss, wie in Ägypten das Seilziehen um die Macht zwischen dem Regime und Teilen des Volkes ausgeht. Wobei es Mitte Woche ein schlechtes Omen war, dass die Armee tatenlos zusah, als zornige Anhänger Mubaraks auf dem Tahrir-Platz in Kairo in einer Aktion, die wohl zumindest teilweise konzertiert war, Regimegegner mit Steinen, Stöcken, Messern und Molotow-Cocktails angriffen. Auch Schüsse fielen.
Präsident Mubarak, schreibt ein Kolumnist des „Guardian“, habe mit der Duldung solcher Gewalt sein wahres Gesicht gezeigt:„seine dunkle Seite“. Wo aber Hosni Mubarak ist, ist immer auch Omar Suleiman nicht weit, loyal und treu dem Pharao ergeben. Wie lange noch?