In den Sammlungen europäischer Museen gibt es kaum Malereien Edward Hoppers, obwohl er wohl der bekannteste amerikanische Künstler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist. Dieses Schicksal teilt er allerdings mit den meisten US-Künstlern dieser Zeit.
Letztmals waren Hoppers Werke in der Schweiz vor beinahe 30 Jahren zu sehen, 1991 in Genf in einer vorzüglichen Ausstellung. Und doch ist Hopper einer breiten Öffentlichkeit vertraut. Seine bekanntesten Bilder sind als Reproduktionen beinahe allgegenwärtig und finden sich beispielsweise als Blickfang auf vielen Buchumschlägen. Nun bietet die Fondation Beyeler in Riehen endlich wieder die Gelegenheit, Originalen Edward Hoppers zu begegnen.
Ein anderer Hopper
Die von Ulf Küster kuratierte Schau geht allerdings eigene Wege und verzichtet (oder musste verzichten?) auf manche Ikonen Hopper’scher Kunst, die – allzu vordergründig allerdings – für Einsamkeit und Entfremdung stehen: Man trifft weder auf „People in the Sun“, „Western Motel“, „Automat“, „A Woman in the Sun“ oder „Sea Watchers“. Küster entschied sich für andere Werke. Er bezeichnete es gar als Chance, dass Hoppers vielleicht berühmtestes Bild, „Nighthawks“ (Küster: Hoppers „Mona Lisa“), nicht in Riehen ist.
Tatsächlich: Treffen die Besucherinnen und Besucher auf allzu Bekanntes, sehen sie vielleicht gar nicht mehr wirklich hin und suchen bloss die Bestätigung dessen, was sie zu kennen meinen. Weniger Vertrautes zwingt aber zu genauerer Wahrnehmung und zur Rechenschaftsablage. Die Folge: Natürlich sind manche Bilder einsamer Frauen, die aus leeren Innenräume hinaus in eine unbekannte Ferne blicken, Meisterwerke, doch Hoppers Werk ist viel breiter aufgefächert – und wohl doch auch geheimnisvoller und tiefgründiger, als man gemeinhin annimmt.
Nur ein Wald und eine Strasse
Die Basler Ausstellung stellt statt der erwähnten Szenen Hoppers Landschaften in den Mittelpunkt, fügt aber doch einige der „typischen Hopper“ in die Reihe der 65 gezeigten Werke ein – mit dem Effekt, dass uns manche reine Landschaft auch die bekannten Hopper-Malereien neue sehen lässt.
Zum Beispiel: 1962 entstand „Road and Trees“. Unten zieht sich ein Streifen Wiese über das ganze Querformat, darüber eine schmale Strasse und dann ein dichter Wald. Über diesem dunklen, bedrohlich und düster wirkenden Hauptmotiv sehen wir einen schmalen hellblauen und beinahe heiter wirkenden Streifen Himmel mit lichten Wölkchen. Die fast stur wirkende Strenge des Bildthemas und die drastische Reduktion der Mittel überraschen. Da ist nichts von Anbiederung oder Gefälligkeit. „Road and Trees“ ist ein Werk, das gerade wegen seiner Widerborstigkeit genau hinschauen lässt. Ein Rundgang durch die Ausstellung zeigt, dass der späte Hopper hier ein Thema absolut gesetzt hat, das sich durch sein ganzes Werk zieht – der Wald als Bedrohungsszenerie.
Was tut der Mann an der Zapfsäule?
Dieser Wald bildet auch den Hintergrund seines berühmten Gemäldes „Gas“ (1940). Da sehen wir eine Benzintank-Station in der schon weit fortgeschrittenen Dämmerung, rechts ein mit einem Türmchen versehenes Häuschen, aus dessen hellem Inneren Licht nach aussen dringt und dem ganzen Bild eine Struktur gibt. In der Mitte stehen drei Zapfsäulen, an denen sich ein Mann zu schaffen macht, dahinter bildet der dichte düstere Wald ein Gegenmotiv zur schon fast heimeligen Atmosphäre der rechten Bildhälfte.
Irritierend an „Gas“ ist aber nicht nur diese Spannung, sondern auch der Mann an der vordersten Zapfsäule: Auch ein genaues Hinsehen schafft uns nicht Klarheit, was er denn treibt. Er ist allein. Weit und breit ist kein Auto zu sehen, dessen Tank er füllen könnte. Vielleicht zeigt sich da, wie oft auf Hoppers Bildern, der Anfang oder das Ende einer Geschichte. Das Wesentliche geschah eben erst, oder es wird nächstens geschehen. Was es denn ist, werden wir nie erfahren.
Ähnlich „Cape Code Morning“ von 1950. Wir sehen links den Teil eines Hauses mit einem Erker. Drinnen stützt sich eine blonde Frau über einen Tisch und blickt hinaus in die Ferne – wohl auf das, was den Kern der Bilderzählung ausmacht und uns verborgen bleibt.
Die Sonne steht tief und gibt mit ihrem Licht der Hausfassade, der Frau und der Wiese eine glasklare Präsenz. Oder „Second Story Sunlight“ (1960): Wir sehen zwei Häuser; eins mit einem Balkon im ersten Stock, auf dem sich zwei Frauen befinden. Was genau sie tun, wohin sie blicken, in welcher Beziehung sie zueinander stehen, erfahren wir nicht. Auch hier steht die Sonne tief. Ihr Licht modelliert die Szene. In beiden Bildern bildet der dunkle, ungezähmt wirkende Wald einen Gegenpol zur Häuslichkeit der linken Bildhälfte.
Licht und Schatten
Viele der Bilder Hoppers lassen uns als Betrachterinnen und Betrachter selber nach den Geschichten der Menschen fragen, die da in die Landschaften hineingesetzt sind: Wir suchen zu vollenden, was der Künstler uns vorlegt. Doch viele der in der Ausstellung gezeigten Werke sind scheinbar menschenleere reine Landschaften. Hopper formt sie mit dem meisterhaften Einsatz des Lichtes und der Schatten. Manche Sujets wirken belanglos wie der erwähnte Wald und lassen nichts als Fragen zurück. Oft sehen wir endlos sich hinziehende und wellende Hügel mit wie Ornamente oder Arabesken wirkenden Horizontlinien.
Besondere Sorgfalt wendet Hopper den Wolken zu, deren filigrane Ausformungen den schmalen Himmelsstreifen beleben. Doch sind die Landschaften wirklich menschenleer? Es liesse sich doch auch sagen: Der Künstler führt unseren Blick hinein in den in den von ihm gestalteten und erlebten Landschaftsraum und damit auch ins Zentrum seiner eigenen Empfindungen. „Es geht um mich“, sagte er einmal auf die Frage, worum es ihm denn eigentlich gehe in diesen Malereien. Darüber hinaus gibt es für Hopper nicht viel zu sagen: „Wäre es in Worte zu fassen, gäbe es keinen Grund zu malen“, sagte er in einem Interview.
Geisterhäuser
Häufig ist die Natur, der sich Hopper zuwendet, von Menschenwerk durchsetzt – von Eisenbahnlinien, von Strassen und Wegen. Oder wir sehen meist um die Wende zum 20. Jahrhundert entstandene Häuser mit steilen Giebeln und dunklen Fensteröffnungen. Sie stehen wie erratische Blöcke, wie isolierte und abweisende Fremdkörper in den Landschaften. Ulf Küster nennt sie „Geisterhäuser“, wobei man im Unklaren darüber bleibe, ob gute oder böse Geister darin wohnen. Man mag diesen Bauten den Rang eigenständiger Persönlichkeiten zugestehen, die ihre Geschichte wiederum für sich behalten.
Besonders eindrücklich ist „Railroad Sunset“ von 1929. Die Schienen verlaufen parallel zur untern Bildkante. Der Horizont ist tief, eine markante gewellt grüne Linie, darüber das aggressiv rote, orange und gelbe Abendrot und ein vom Gelb ins Blau mutierender hoher Himmel. Ins Bild ragen, als markante vertikale Elemente, ein Stellwerkturm und ein Mast.
Edward Hopper begann seine künstlerische Tätigkeit als Illustrator, besuchte Kunstschulen in New York, reiste mehrfach nach Europa, sah sich genau in der Pariser Kunstszene um, schätzte Courbet, Manet und andere europäische Künstler, schätzte und las auch deutsche Literatur.
Nach Hause zurückgekehrt, wurde er zu einem der amerikanischsten Maler überhaupt – und schliesslich, als in den Nachkriegsjahren Abstraktion und abstrakter Expressionismus vorherrschten, er aber seinem eigenständigen Weg der Wirklichkeits-Annäherung treu blieb, zum Denkmal einer ausser Mode gekommenen Vergangenheit. Das tat seiner Popularität keinen Abbruch – im Gegenteil. Die Ausstellung in Riehen dokumentiert diesen Weg mit Beispielen aus allen Epochen von Hoppers Schaffen, nicht nur mit Ölmalereien, sondern auch mit wunderbar farbintensiven Aquarellen, mit spontanen Zeichnungen und einer Radierung. Sie ermöglicht mit ihrem Landschaftsschwerpunkt eine vielleicht ungewohnte, aber höchst anregende Begegnung mit einem grossen Künstler.
Wim Wenders und Edward Hopper
Die Fondation Beyeler bat anlässlich dieser Ausstellung den Filmregisseur Wim Wenders um einen Filmbeitrag zu Hopper, der ja seinerseits das Filmschaffen in hohem Mass beeinflusste. (Ein Beispiel: In Hitchcocks „Rear Window“ (1954) finden sich eigentliche Zitate von Hoppers Bildfindungen.) Wenders lässt in seinem 14-minütigen Film „Two or Three Things I Know about Edward Hopper“ Schauspieler Posen von Figuren in Hoppers Bildern einnehmen und das, was auf den Bildern beginnt, weiterspielen. Der Film ist im 3D-Verfahren gedreht, was die räumliche Wirkung von Hoppers Kompositionen im andern Medium neu erfahrbar machen soll.
Fondation Beyeler Riehen. Bis 17. Mai. Täglich 10.00–18.00 Uhr, Mittwoch bis 20.00 Uhr Katalog Fr. 62.50