Der gemässigte Sozialdemokrat Bernardo Arévalo hat die Präsidentschaftswahlen in Guatemala klar gewonnen. Die guatemaltekische Zeitung «Prensa Libre» bezeichnet am Montag früh den Sieg Arévalos als «entscheidend für die Demokratie im Land».
Nach Auszählung von 99% der Stimmen erhielt Arévalo 58,02%. Die Stichwahl am Sonntag war nötig, weil im ersten Wahlgang am 25. Juni niemand das absolute Mehr erreicht hatte.
Der 64-jährige Arévalo, ein früherer Diplomat, Aussenminister und Soziologe, der lange in Genf lebte, hatte dem in Guatemala herrschenden «Pakt der Korrupten», dem Drogenkartell und dem internationalen Verbrechen den Kampf angesagt.
Er ist der Sohn des ersten demokratisch gewählten Präsidenten Guatemalas, Juan José Arévalo (1945–1951). Arévalo Junior verspricht, in die Fussstapfen seines Vaters zu treten, der versucht hatte, das Los der ärmsten Bevölkerungsschichten zu lindern.
Mächtige Oligarchen
Guatemala ist eines der ärmsten und korruptesten Länder der Welt. Morde sind an der Tagesordnung. Die politische, wirtschaftliche und militärische Elite, die das Land seit Jahrzehnen beherrscht, hat Guatemala in einen autoritär regierten Staat verwandelt, in dem Abgeordnete, Richter und Staatsanwälte gekauft werden. Zudem arbeiten viele der Oligarchen mit dem organisierten Verbrechen und der Drogen-Mafia zusammen. Tausende Bürgerinnen und Bürger Guatemalas verlassen jedes Jahr das Land, vor allem Richtung USA.
Die Hoffnung besteht nun, dass Arévalo einen Wandel herbeiführen kann.
Fehlkalkulation
Der guatemaltekische Oligarchie war es mit Hilfe der korrupten Justiz gelungen, alle aussichtsreichen Kandidaten und Kandidatinnen, die sich dem Kampf gegen die Korruption verschrieben hatten, von den Wahlen auszuschliessen. Arévalo «vergassen» sie, weil er in Umfragen weit abgeschlagen auf dem achten Platz lag und keine Gefahr zu bestehen schien, dass er die Wahlen gewinnt. Was für eine Fehlkalkulation! Jetzt reissen sich die bisherigen Machthaber die Haare aus.
Arévalo erhielt zur völligen Verblüffung der Machthaber das zweitbeste Ergebnis und zog damit in die gestrige Stichwahl ein. Seine Konkurrentin war Sandra Torres, eine ehemalige First Lady, die der korrupten Elite angehört. Ein guatemaltekisches Gesetz verbietet, dass die Frau eines ehemaligen Präsidenten kandidieren kann. Um dieses Verbot zu umgehen, liess sich Sandra Torres vor den Wahlen scheiden. Sie gilt als die «ewige Zweite». Schon zweimal hatte sie sich erfolglos um die Präsidentschaft beworben. In Guatemala wird das Bonmot herumgereicht: Wer gegen Sandra Torres antritt, hat schon gewonnen.
Nach dem guten Abschneiden von Arévalo im ersten Wahlgang hatten seine Gegner mit Hilfe der Staatsanwaltschaft versucht, seine Partei «Semilla» (Saat) aus formalen Gründen zu verbieten und seine Teilnahme an der gestrigen Stichwahl zu verhindern.
Die USA, die EU und die Organisation amerikanischer Staaten (OAS) wehrten sich energisch gegen dieses Manöver. Die Staatsanwaltschaft knickte schliesslich ein. Die Wahlkampfleiterin sagte: Wahlen werden an den Urnen und nicht von Juristen entschieden.
Neue Vizepräsidentin wird die 55-jährige Karin Larissa Herrera Aguilar, eine Biologin, Soziologin und Professorin.
Zehntausende Menschen versammelten sich in der Nacht zum Montag in Guatemala-Stadt und feierten den Sieg Arévalos. Dieser liess sich nur kurz blicken. Ein Heer von Bodyguards und Polizeibeamten versucht, ihn zu schützen. Die Erfahrung zeigt, dass gerade in Guatemala die Gefahr von Attentaten gross ist.
Arévalo und Herrera stehen jetzt vor einer riesigen Aufgabe. Die eigentlichen, korrupten Machthaber im Staat werden kaum geneigt sein, ihre Macht und ihre Privilegien abzugeben.