
Die Zahl der Hinrichtungen in Iran ist 2024 dramatisch gestiegen. Laut einem Bericht wurden mindestens 975 Menschen hingerichtet – die höchste Zahl seit zwei Jahrzehnten. Besonders betroffen sind Drogendelinquenten, politische Gefangene, Frauen und Minderheiten. Menschenrechtler warnen vor der Todesstrafe als Unterdrückungsinstrument.
Die Zahl der Hinrichtungen in Iran hat den höchsten Stand seit zwei Jahrzehnten erreicht. Ein jährlich veröffentlichter Bericht der in Norwegen ansässigen Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights (IHRNGO) und der Initiative «Together Against Death Penalty» (ECPM) zeigt, dass im Jahr 2024 mindestens 975 Menschen in Iran hingerichtet wurden – ein Anstieg von 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Mahmood Amiry-Moghaddam, Direktor der IHRNGO, warnte vor dieser Entwicklung und erklärte: «Die Islamische Republik hat im Jahr 2024 den Mangel an internationaler Aufsicht ausgenutzt und versucht, die Gesellschaft durch die tägliche Durchführung von fünf bis sechs Hinrichtungen in Angst und Schrecken zu versetzen.»
Besonders bemerkenswert ist laut dem Bericht die weitgehende Intransparenz bei der Vollstreckung der Todesurteile. Die Justiz hat lediglich 95 der Hinrichtungen – also weniger als 10 Prozent – offiziell bekannt gegeben. In den vergangenen Jahren lag dieser Anteil deutlich höher. So wurden im Jahr 2023 noch 15 Prozent der Hinrichtungen offiziell gemeldet. Dies verdeutlicht, dass das iranische Regime bewusst auf die Veröffentlichung von Informationen über Hinrichtungen verzichtet, um internationalen Druck zu vermeiden.
Drogenbezogene Hinrichtungen: «Ein Vorwand für systematische Tötungen»
Auch zeigt der Bericht einen drastischen Anstieg der Hinrichtungen wegen Drogendelikten. Demnach wurden im Jahr 2024 insgesamt 503 Personen aufgrund dieser Anschuldigung hingerichtet, was mehr als die Hälfte aller Hinrichtungen ausmacht. Im Vergleich dazu lag die Zahl im Jahr 2023 bei 471, 2022 bei 256 und im Jahr 2021 bei 126 Hinrichtungen.
Dieser Anstieg erfolgte, obwohl die Islamische Republik in den vergangenen Jahren gegenüber der internationalen Gemeinschaft Verpflichtungen zur Reduzierung drogenbezogener Hinrichtungen eingegangen war. Diese Zusage wurde offenbar in keiner Weise umgesetzt. Im Gegenteil: Im Jahr 2024 wurden so viele Menschen wegen Drogendelikten hingerichtet wie seit über einem Jahrzehnt nicht mehr.
Trotz dieser alarmierenden Entwicklung setzt das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) seine Zusammenarbeit mit den iranischen Behörden fort und schweigt zu den Hinrichtungen. Raphaël Chenuil-Hazan, Geschäftsführer der ECPM, kritisiert: «Das UNODC und die Länder, die diese Institution finanzieren, machen sich durch ihre fortgesetzte Zusammenarbeit mit der Islamischen Republik indirekt mitschuldig an den Hinrichtungen.»
«Qisas» und «Gerechtigkeit» nach unmenschlichen Massstäben
Neben den drogenbezogenen Hinrichtungen verzeichnet der Bericht auch einen deutlichen Anstieg der Hinrichtungen im Rahmen von «Qisas» (Vergeltung bei vorsätzlichem Mord). Im Jahr 2024 wurden mindestens 419 Personen wegen Mordes hingerichtet – die höchste Zahl von Qisas-Hinrichtungen in den letzten zwei Jahrzehnten.
Nach den iranischen Qisas-Gesetzen liegt die Entscheidung über die Vollstreckung der Todesstrafe bei den Familien der Opfer. Oftmals werden die Angeklagten hingerichtet, weil sie nicht in der Lage sind, das geforderte «Blutgeld» (Diyya) zu zahlen.
Ein Beispiel dafür ist Abbas Karimi, ein Vater von zwei Kindern, der im Oktober 2024 hingerichtet wurde, weil er die über eine Million Euro hohe Diyya nicht aufbringen konnte. In einem anderen Fall wurde Ahmad Alizadeh zunächst gehängt, dann auf Wunsch der Kläger vom Galgen abgenommen, jedoch einige Wochen später im November vergangenen Jahres endgültig hingerichtet.
Unterdrückung von Protesten durch die Todesstrafe
Die Todesstrafe wird in Iran weiterhin als Instrument zur Unterdrückung gesellschaftlicher Proteste eingesetzt. Laut dem Bericht wurden im Jahr 2024 mindestens zwei Demonstranten der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung unter dem Vorwurf des Mordes hingerichtet.
Mohammad Ghobadlou und Reza Rasaei waren auf der Grundlage unfairer Gerichtsverfahren und unter Folter erzwungener Geständnisse zum Tode verurteilt worden. Zudem wurden neun kurdische politische Gefangene sowie ein Doppelstaatsbürger, der aus einem Nachbarland entführt worden war – Jamshid Sharmahd –, unter dem Vorwurf der «Feindschaft gegen Gott» (Moharebeh) und «Verdorbenheit auf Erden» (Efsad-e-fel-Arz) hingerichtet.
Hinrichtungen von Frauen und Minderheiten: besorgniserregender Anstieg
Die Hinrichtung von Frauen in Iran hat ein beispielloses Ausmass erreicht. Im Jahr 2024 wurden mindestens 31 Frauen hingerichtet – die höchste registrierte Zahl seit 2007. Einige dieser Frauen waren Opfer häuslicher Gewalt, die im Rahmen der Selbstverteidigung ein Tötungsdelikt begangen hatten.
Darüber hinaus hat sich die Unterdrückung afghanischer Migranten in Iran verschärft. Im Jahr 2024 wurden mindestens 80 afghanische Migranten hingerichtet – dreimal so viele wie im Vorjahr.
«Dienstage gegen Hinrichtungen»
Als Reaktion auf den Anstieg der Hinrichtungen haben politische Gefangene in Iran die Kampagne «Dienstage gegen Hinrichtungen» ins Leben gerufen. Die Teilnehmenden dieser Bewegung protestieren seit mehr als einem Jahr wöchentlich gegen die Hinrichtungen in den iranischen Gefängnisse
Parallel zur Veröffentlichung dieses Berichts fordern die Organisation Iran Human Rights und ECPM die internationale Gemeinschaft auf, das Thema der Hinrichtungen zu einer Priorität in ihren Verhandlungen mit der Islamischen Republik zu machen.
Die beiden Organisationen betonen, dass eine Erhöhung der politischen Kosten von Hinrichtungen sowie kontinuierlicher internationaler Druck der Schlüssel zur Beendigung der staatlichen Tötungsmaschinerie der Islamischen Republik seien.
Seit 2010 wurden in Iran mehr als 8’800 Menschen hingerichtet.
Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal