Die selbst gesetzte Frist läuft am Montag aus. Bis dahin soll sichergestellt werden, dass die Islamische Republik Iran ihr ziviles Nuklearprogramm nicht für militärische Zwecke nutzt.
Im Auftrag der UNO verhandeln die fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrats (USA, Russland, China, Frankreich, Grossbritannien) und Deutschland. Diese Gruppe nennt sich „5+1“. Sie ist mit der beharrlichen Weigerung Irans konfrontiert, ihr angeblich rein ziviles Nuklearprogramm zu begrenzen. Die Verhandlungen dauern bereits elf Jahre, nachdem 2002 bekannt wurde, dass Iran insgeheim Zentrifugen zur Anreicherung von Uran baute. Iran war 1970 noch unter dem Schah dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten und hätte diese Tätigkeiten der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) melden müssen.
Berge ungelöster Einzelfragen
Das Auf und Ab der Verhandlungen, mit iranischen Zugeständnissen, die kurz darauf widerrufen wurden, hat etliche westliche Diplomaten an den Rand des Nervenzusammenbruchs getrieben. Jetzt schlägt die Stunde der Wahrheit. Man kann am Montag um Mitternacht im Palais Coburg die Uhren anhalten, um noch einige Stunden weiterverhandeln, wenn ein Abkommen in Griffweite liegt. Man könnte auch die Frist um einige Wochen oder Monate verlängern. US-Aussenminister John Kerry hat vorgeschlagen, ein „Rahmenabkommen“ zu unterzeichnen, dessen strittige Einzelheiten später geregelt werden. Doch der Teufel steckt bekanntlich in den Details. Es ist jetzt oder nie, dass die Würfel fallen.
Angesicht der Berge ungelöster Einzelfragen scheint es schier unmöglich, bis Montagabend einen umfassenden Vertrag fertig zu stellen. Derzeit gilt ein im November 2013 in Genf erzieltes befristetes Stillhalteabkommen. Die Iraner haben die Anreicherung von Uran gestoppt und ihre bereits auf 20 Prozent des spaltbaren Isotops U- 235 verdichteten Bestände in nicht waffenfähiges Material umgewandelt. Als Gegenleistung erhielten sie eine Lockerung der Wirtschaftssanktionen.
Geopolitische Dimension
Mit diesem Arrangement könnte man eine Zeitlang leben, aber nicht für immer. Der Atomstreit hat eine geopolitische Dimension: Welche Rolle wollen der Westen, Russland und China der regionalen Grossmacht Iran im Nahen und Mittleren Osten zugestehen? Die historische Feindschaft zwischen Sunniten und Schiiten, der Vormarsch radikal-islamistischer Kräfte und die ungelöste Palästinafrage erschüttern das gesamte Gebiet zwischen dem Mittelmeer und dem Indischen Ozean, wo sich die grössten Erdölreserven der Welt befinden.
Die Machthaber in Teheran mischen bereits in allen regionalen Konflikten mit. Sie unterstützen das Assad-Regime in Syrien, finanzieren die libanesischen Hezbollah und haben einen grossen Einfluss im Irak errungen. Ihre Hauptgegner heissen nicht USA oder Israel, sondern Saudi-Arabien und Katar, die die sunnitischen Kampfgruppen fördern.
Krampfhaftes Festhalten an Atomwaffenkapazität?
Davon wird in dem Papier von Wien, falls ein solches zustande kommt, natürlich nichts stehen. Bei den Atomverhandlungen geht es nur um die Festlegung erlaubter nuklearer Tätigkeiten und einen wirksamen Kontrollmechanismus. Sowohl die Gruppe der „5+1“ wie Iran stehen aber vor weiter reichenden Entscheidungen.
Die Regierung in Teheran muss entscheiden, ob das krampfhafte Festhalten an der Atomwaffenkapazität ihren enormen Preis wert ist. Die iranische Wirtschaft liegt am Boden. Die Lockerung der von der UNO verhängten Sanktionen hat dem Land etwas Sauerstoff zum Atmen beschert. Selbst die eingefleischten Gegner eines Abkommens mit den „5+1“ verhalten sich im Moment auf Anraten von Ober-Ayatollah Chamenei ruhig.
Warten auf ein Wunder
Auch der Westen hätte von einer Beilegung des Atomkonflikts mit Teheran einiges zu gewinnen. Iran wäre ein natürlicher Verbündeter im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ und andere Dschihadisten. Wenn da nicht die besonderen Interessen Israels und Saudi-Arabiens wären…
Ab 1. Januar werden in den beiden Kammern des US-Kongresses die Republikaner die Mehrheit stellen. Für Präsident Obama wird es dann schwierig sein, einen Vertrag mit Iran durchzubringen. Den Iranern müsste also daran gelegen sein, vorher handelseins zu werden. US-Aussenminister Kerry hat alle Verpflichtungen abgesagt, um in Wien übers Wochenende sein persönliches Gewicht in die Waagschale zu werfen. Derweil wartet die Meute der Journalisten in einem improvisierten Pressepavillon vor der „Spargelburg“ – wie die Wiener das Palais Coburg wegen seiner imposanten Säulenfassade nennen - auf ein Wunder.