Keine Frage, der Achtelfinal an der EM 2020 der Nati gegen die Fussball-Grossmacht Frankreich war ein begeisternder Match und ein Sportereignis der Extraklasse. Aber war er, wie man lesen konnte, «ein epochaler Moment für die Schweiz», ein «historisches Ereignis»?
Die Sportredaktionen der Schweizer Medien konnten gar nicht genug bekommen von solchen Prädikaten. Sie stimmten gewissermassen textlich ein ins fast schon südamerikanische Geschrei des Kommentators im Schweizer Fernsehen. Ist ja schön, wenn die Freude mal richtig über die Stränge schlägt und die Emotion nicht mehr zu bremsen ist. Aber warum immer gleich der Griff nach der Geschichte?
Sport und Weltgeschehen spielen nur ganz selten auf der gleichen Etage. Eine solche Ausnahme war vielleicht das 4:2 der Schweiz gegen Grossdeutschland an der Fussball-WM 1938 in Paris, zwei Monate nach Hitlers Einmarsch in Österreich. Das beherzte Spiel der Eidgenossen war ein nachwirkendes Symbol der Unerschrockenheit am Vorabend des dräuenden Zweiten Weltkriegs.
«Historisch» in diesem Sinn waren auch die zwei Eishockey-Siege der Tschechoslowaken gegen das favorisierte sowjetische Team im März 1969 an der WM in Schweden. Binnen einer Woche hiess es gegen den Serien-Weltmeister einmal 2:0 und einmal 4:3 für die ČSSR. Die Tschechoslowakei war seit dem 21. August 1968 von Truppen des Warschauer Pakts besetzt, nach dem hoffnungsvollen Prager Frühling herrschte Eiszeit. Die Siege im Sport wurden zum nationalen Symbol des Widerstands. Überall im besetzten Prag waren die emblematischen Resultate 2:0 und 4:3 riesig auf die Mauern gepinselt.
Selbst wenn die Schweiz bis zum Final in der EM 2020 geblieben wäre und gar den Titel geholt hätte, wäre das nicht «historisch» gewesen im Sinn eines die Welt bewegenden Ereignisses. Es wäre einfach toll gewesen für die Schweiz, so wie es für jedes Land grossartig ist, wenn seine Mannschaft sich an die Spitze eines solchen Turniers kämpft. Ein paar internationale Meisterschaften später ist es noch eine erfreuliche Erinnerung, mehr nicht. Historische Ereignisse oder gar epochale Umbrüche hingegen bleiben über Generationen hinweg wichtig. Sie sind fast gar nie sportlicher Art.
Bedenkt man es recht, ist dies das Schöne am Sport. Er bewegt die Gemüter, aber nicht den Lauf der Welt. Es wäre ganz gut, sich dieses Unterschieds auch in der Sprache bewusst zu sein.