„El Clan“ spielt in einem Vorort von Buenos Aires in den 80er Jahren; „El abrazo de la serpiente“ visualisiert ein halbes Jahrhundert im Amazonas-Dschungel. Der argentinische Regisseur Pablo Trapero vereinigt in seiner düsteren Story die Spannung eines Krimis mit der Schärfe einer Gesellschaftsanalyse. Der Kolumbianer Ciro Guerra entzaubert Mythen und bringt den Zuschauer ins Halluzinieren.
Argentinien ist ein Filmland, das „nuevo cine argentino“ seit den 90er Jahren den Filmfreunden ein Begriff – und Pablo Trapero gehört zu den führenden Köpfen dieses Kinos. Wie die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen beschäftigt er sich mit Vorliebe mit seinem Heimatland, am liebsten mit zwielichtigen Figuren, mit düsteren, mörderischen Geschichten, die sich in der Unterwelt der Stadt am Rio de la Plata abspielen. Im realistischen Konzept Traperos geht es darum, das, was ist, was er erzählen will, so zu arrangieren und zu intepretiern, dass es in höchstem Mass authentisch wirkt – was ihm im Fall von „El Clan“ bestens gelingt. Er filmt einer fürchterlichen wahren Geschichte entlang und mischt gelegentlich dokumentarische Kurzszenen unter seine Bilder.
Nachwirkungen des „proceso“
Das Thema ist eines, das nach wie vor schwer auf den argentinischen Filmern und Schriftstellern lastet: es geht um die Verarbeitung des sogenannten „proceso“, der Militärdiktatur (1976 – 1983) und der entsprechenden Folgen. In „El Clan“ begegnen wir einem ehemaligen Geheimdienstler, der nach dem Ende der Diktatur weiter macht auf eigene Rechnung. Er entführt mit ein paar Komplizen wohlhabende Bürger, hält sie in seinem Haus gefangen, erpresst Lösegeld und bringt die Entführten um. Den Mann und seine Gräueltaten hat es wirklich gegeben. Dass er jahrelang nicht aufgeflogen ist, muss mit seinen Verbindungen in die höchsten politischen Kreise auch nach Einführung der Demokratie zu tun haben. Trapero zeigt den Verbrecher als grosszügiges, frommes, gleichzeitig absolutistisches und unnachgiebiges Clan-Oberhaupt und er zeigt, wie die in Argentinien schon fast Heiligkeitswert beanspruchende Familienstruktrur pervertiert wird. Sex- und Folterszenen werden gegeneinander geschnitten. Während die Eltern und Kinder sich zum Nachtessen versammeln, beten und Muttis Fleischgericht loben, schreit im Keller ein verzweifeltes Entführungsopfer – von dem am Schluss, wenn alles auskommt, niemand etwas gewusst oder gehört haben will.
Charmeur und Mordgehilfe
Im Sohn der Familie, einem nationalen Rugby-Star, vereinigt Trapero auf stupende Art die Widersprüche von denen seine Geschichte lebt. Dieser Alejandro ist ein Charmeur, ein fröhlicher Sportler, ein herzlicher, hilfsbereiter Kumpel und Freund – aber eben auch ein Sohn, Sohn eines Kriminellen, dessen Untaten er billigen und schliesslich auch mitbegehen muss. Der Film spielt im Zwielicht der ersten Jahre nach der Diktatur, in denen die Demokratie zwar nominell etabliert aber noch nicht gefestigt war und sich die Verbrecher des „Proceso“ unantastbar wähnten. Die Leichen im Keller sind noch nicht entdeckt, die Mörder noch nicht enttarnt und zur Rechenschaft gezogen worden. Trapero gelingt es erschreckend gut, im Korrupten und Kriminellen eine Art von Banalität und Normalität aufscheinen zu lassen.
Der wirkliche Clan-Chef, so erfahren wir im Abspann des Films, ist nach Jahrzente langer Haft freigekommen und hat seine Taten auch als Hochbetagter stets bestritten.
Die Sicht der Erforschten
In „El abrazo de la serpiente“ tauchen wir in einen fahlen, unheimlichen, schwarz/weiss gefilmten Dschungel ein. Keine Exotik wird geboten und auch die raffinierte, von Naturtönen sich nährende schleppende Musik kitzelt zwar die Sinne, aber in Richtung Melancholie. Die Kulisse, die der Kolumbianer Ciro Guerra für seinen Film schafft, hat von Anfang an etwas Magisches. Das Magische und Mythische, das Sinnlich-Uebersinnliche verkörpert sich in den Figuren des Films. Im Vertreter der Hauptrolle, einem indianischen Schamanen, der als junger und als alter Mann zwei weisse Forscher durch den Wald führt oder in einer symbolischen Szene, dem Legendenschatz der Eingeborenen entstammend, in der sich eine Riesenschlange mit verzweifelten Umarmungen gegen einen Leoparden zu wehren versucht.
Guerra erzählt Geschichten, die von der Kolonisierung des Amazonas handeln und er erzählt sie nicht aus der Sicht der Forscher sondern aus derjenigen der Erforschten. Zweimal – zu Beginn und gegen Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts - legen weisse Wissenschafter (die es wirklich gegeben hat) in kleinen Booten an einem Ufer des Flusssystems an, beide Mal auf der Suche nach einer geheimnisvollen Urwaldpflanze, einer Droge, der sowohl heilende wie halluzinierende Kräfte nachgesagt werden.
Reisen und Bilder
Beide Male nimmt sie der Schamane mit auf Reisen durch den Dschungel, Reisen ins Herz der Finsternis, Reise zu den indigenen Völkern, die im Zuge der Kolonisation zu drangsalierten Opfern geworden sind. Die rücksichtslosen Raubzüge in den Urwald, die Suche nach Rohstoffen, Kautschuk in erster Linie, haben Spuren hinterlassen. Guerra denunziert und moralisiert nicht. Seine Instrumente sind hyperrealistsiche Bilder, die man liest und auf sich wirken lässt (und nicht so schnell vergessen wird); das Auftauchen eines einarmigen Indios zum Beispiel, der, nach allem, was ihm angetan wurde, nur noch um einen schnellen Tod bittet oder die Begegnung mit einem Verrückten, der sich in einer tief im Regenwald versteckten Missionsstation zum Messias erklärt hat und die Mitglieder seiner Sekte terrorisiert.
Als alter Mann hat der listige Schamane alles, was er war und wusste vergessen – behauptet er jedenfalls. Trotzdem führt er den amerikanischen weissen Forscher dorthin, wo die geheimnisvolle Heilpflanze wachsen soll. Und ermöglicht so, zum Abschluss der Geschichten, dem Weissen das Abheben in eine andere Welt, schenkt ihm einen gewaltigen Drogenrausch: es ist die einzige farbige Sequenz im Film.