Gerade vor Weihnachten und Neujahr wurden wichtige Veränderungen durchgeboxt. Das dürfte kein Zufall sein, denn in dieser Zeit wird in Polen nicht demonstriert, sondern gefeiert. Noch am vorletzten Samstag fanden in vielen Städten Polens Demonstrationen statt. In Warschau waren gegen 20’000, in Krakau rund 5’000 Personen auf der Strasse.
Die Demonstrationen richteten sich vor allem gegen die von der herrschenden PiS, der Partei Recht und Gerechtigkeit, durch die Blockierung und Entmachtung des Verfassungstribunals heraufbeschworene Verfassungskrise (vgl. Journal 21 vom 14. Dezember). Der Sejm verabschiedete trotzdem zwei Tage vor dem Weihnachtsabend weitgehende Änderungen, die auch der Senat guthiess.
Aushebelung des Verfassungsgerichts
Für wichtige Entscheidungen des Verfassungsgerichts wurden eine Zweidrittelsmehrheit und ein Quorum von mindestens 13 der 15 Richter festgelegt. Obwohl acht bis neun der Richter als eher PiS-kritisch eingestuft werden, kann nun jedes verfassungsrechtliche Urteil gegenüber neuen Gesetzen verhindert werden. Zudem wurden andere rechtsstaatlich bedenkliche Veränderungen vorgenommen, etwa disziplinarische Interventionsmöglichkeiten für den Justizminister und den Sejm. Der ganz auf Parteilinie agierende Präsident Duda unterschrieb anfangs dieser Woche das Gesetz und setzte damit einen allerdings nur vorläufigen Schlusspunkt.
Die Auseinandersetzung geht in die nächste Runde, weil die Gesetzesänderungen von der grössten Oppositionspartei PO, der Bürgerverständigung, und dem obersten Richter des Landes vor das Verfassungsgericht gebracht wurden. Das Problem ist allerdings, dass die Zusammensetzung des Gerichtes selbst umstritten ist. Vom alten Parlament wurden fünf Richter neu gewählt, zwei davon nach einem Urteil des Verfassungsgerichtes allerdings nicht in gültiger Wahl. Das neue Parlament annullierte die vorherigen Wahlen und wählte seinerseits fünf neue Richter. Der Präsident des Gerichtes hat bereits angekündigt, dass die Klage nur von den zehn unumstrittenen alten Richtern behandelt werde.
Die Situation ist total verfahren. Die Regierung und das Parlament werden eine negative Entscheidung sicherlich nicht akzeptieren, da das neu festgelegte Quorum nicht erreicht worden sei. Der eigentliche Chef, der PiS Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski, kann zufrieden sein. Er hat sein Hauptziel erreicht, das Verfassungsgericht wie auch immer zu blockieren und so weitgehend freie Hand zu haben.
Griff nach den Medien und der Verwaltung
Noch im alten Jahr sind nach heftigen Debatten im Eilzugstempo sehr umstrittene Gesetzesänderungen verabschiedet worden. Die Novellierung des Radio und Fernsehgesetzes sieht einschneidende Massnahmen vor, die der Regierung die Kontrolle der staatlichen Sender erlauben. So verlieren alle bisherigen Mitglieder der Vorstände und Aufsichtsgremien sowie die Präsidenten ihre Position. Die Neubesetzung erfolgt nicht mehr in einer öffentlichen Ausschreibung, sondern durch Ernennung durch den zuständigen Minister. Dieser kann auch die Mitglieder jederzeit wieder abberufen. Und Änderungen der Statuten können auch ohne Zustimmung des obersten Gremiums, des Landesrats für Radio und Fernsehen, erfolgen.
Die Mediengesetzgebung fand grosse nationale und internationale Beachtung und rief heftige Kritik hervor. Weniger im Zentrum der Aufmerksamkeit standen die Veränderungen bezüglich des Staatsdienstes. Auch hier werden die obersten Positionen, immerhin rund 1600 Stellen, nicht mehr durch öffentliche Ausschreibungen besetzt, sondern durch Ernennungen. So müssen alle bisherigen Amtsinhaber neu berufen werden und können entsprechend ihre Stellen verlieren. PiS-Parteigängern stehen alle Türen offen. Weitere umstrittene Gesetzesänderungen sind unterwegs, beispielsweise über die Polizei, die breit angelegte Internetüberwachungen ermöglichen könnten.
Politik im Hau-Ruck-Verfahren
Zudem wurden im alten Jahr noch zwei Wahlversprechen eingelöst. Das Alter für den Beginn der Schulpflicht ist wieder von sechs Jahren auf sieben Jahre heraufgesetzt worden. Das bringt Stellenverluste und organisatorische Umstellungen mit sich und ist deshalb von den Lehrergewerkschaften abgelehnt worden. Eine Bankensteuer wurde neu eingeführt. Sie soll die Mittel in die Staatskasse spülen, die für die teuren Wahlversprechen dringend gebraucht werden. Hier waren vor allem die konkreten Umsetzungsbestimmungen umstritten.
Alle Umfragen zeigen, dass der forcierte Konfrontationskurs, dieser Abbau des Rechtsstaates in Raten, von der Bevölkerung mehrheitlich abgelehnt wird und der PiS, der Regierung, und dem Präsidenten deutliche Vertrauensverluste beschert hat. Bei Neuwahlen würde sie mit weniger als dreissig Prozent sicher keine Mehrheit mehr erringen können. Es stellt sich die Frage, warum Kaczynksi diesen Kurs trotzdem so entschieden vorantreibt.
Dazu können verschiedene Erklärungsansätze herangezogen werden, die von psychologischen bis zu politisch-taktischen Erwägungen reichen. Ein Ansatz behauptet, dass sich Kaczynski von Revanchegefühlen leiten lässt. Dies wird vor allem von Vertretern der alten Machtelite behaupte. So hat unlängst auch in einem Interview mit der renommierten Zeitschrift Polityka Donald Tusk argumentiert, der ehemalige Regierungschef und heutige EU-Ratspräsident .
Diverse Äusserungen und mimische Gesten von Kaczynski stützen diese These. Im Parlament ist seine Schadenfreude über die ohnmächtigen Oppositionsbemühungen offensichtlich. Motto: So, jetzt sind wir dran, wir mussten lange genug unten durch.
Den Schwung des Wahlsiegs nutzen
Wichtiger erscheinen mir aber andere Aspekte. Kaczynski ist überzeugt, eine Mission erfüllen zu müssen. Und da sind ihm (fast) alle Mittel recht. Zudem ist Kaczynski ein versierter Taktiker.
Offenbar ist er zu Überzeugung gelangt, dass es besser sei, die angestrebte Kontrolle über den Staat und seine Institutionen möglichst schnell zu erlangen. Jetzt kann er nach dem grossen Sieg auf Mobilisierungseffekte zurückgreifen und darauf bauen, dass sich noch keine offene Opposition in seinem eigenen Lager bildet.
Denn auch innerhalb der eigenen Partei ist sein Kurs nicht unumstritten. Allerdings wird bisher nach aussen Einheit demonstriert. Absetzungsbewegungen von bisherigen Sympathisanten sind aber bereits aufgetreten. Aufsehen erregt hat die scharfe öffentliche Kritik der bekannten Soziologieprofessorin Jadwiga Staniszkis. Es sei ihr bekannt, so Staniszkis, dass unter den PiS-Parlamentariern einige sich für die Vorgehensweisen und Gesetze schämen würden, die auf die Demontage rechtsstaatlicher Standards hinausliefen.
Soziale Wohltaten in der Pipeline
Kaczynski fährt also eine relativ riskante Strategie. Er darf den Bogen nicht überspannen. Mit dem scharfen Kurs könnte er seine Parlamentsmehrheit gefährden und die öffentliche Meinung noch mehr gegen sich aufbringen. Er hofft wahrscheinlich auch auf die relativ populären sozialen Verbesserungen, die nun im neuen Jahr möglichst bald umgesetzt werden sollen.
Insbesondere der Wahlschlager – für jedes Kind 500 Zloty pro Monat Kindergeld – ist in der Pipeline. Denn eine Mehrheit der Familien ist trotz der wirtschaftlichen Erfolge Polens nicht auf Rosen gebettet. Für sie ist das Kindergeld viel wert. Zudem wird die Massnahme als Mittel gegen die sehr tiefe Geburtenrate angepriesen, sozusagen zur Stärkung der polnischen Nation.
Eines ist sicher. Konfrontation und Polarisierung werden zunehmen. Denn auch die Opposition wird weiter mobilisieren. Das neue Jahr wird spannend in Polen.