Die erwähnten Umstände erhärten alle den seit langem bestehenden Verdacht hinsichtlich einer geheimen Zusammenarbeit der pakistanischen Geheimdienste - oder einiger ihrer Sektionen - mit islamistischen Gruppen und Gewalttätern. Die indische Presse nützte die Gelegenheit, um laut gegen "Pakistan, das Asyl für Terroristen" vom Leder zu ziehen. Da in Pakistan wirkende und viele Jahre lang von den pakistanischen Geheimdiensten protegierte Terrorgruppen mehrmals in Indien, und noch öfter in Kaschmir, brutal zugeschlagen haben, ist die Haltung der indischen Presse leicht nachzuvollziehen.
In Pakistan wird Schadensbegrenzung betrieben. Präsident Zaradri persönlich hat einen Meinungsartikel in der Washington Post verfasst, in dem er erklärte, sein Land und seine Armee hätten mehr Opfer im Kampf gegen den Terrorismus erbracht als alle anderen Staaten. Pakistan hasse die Terroristen und bekämpfe sie energisch. Er stimme Präsident Obama zu, wenn dieser sage, die Auffindung Ben Ladens sei durch die Hilfe der pakistanischen Geheimdienste möglich geworden.
Ein mehrdeutiges Lob
In der Tat hatte der Präsident in seiner Ankündigung des Todes Bin Ladens ein Lob der pakistanischen Dienste eingeflochten. Es lautete: "Unsere Zusammenarbeit in Terrorabwehr mit Pakistan half mit, uns zu Bin Laden zu bringen und zu dem Komplex zu führen, wo er sich befand." Doch seine Sprecher machten klar, dass die pakistanischen Behörden über die bevorstehende Aktion nicht informiert worden waren. Der Grund konnte nur gewesen sein, dass die Amerikaner fürchteten, dies werde zur Vereitelung ihres Vorhabens führen.
Zardari betonte, die Pakistani bekämpften die Terroristen ebenso konsequent wie die Amerikaner. Er betitelte seinen Meinungsartikel: "Wir haben unseren Beitrag geleistet." Und er schloss ihn ab mit einem Zitat seiner durch einen Terroranschlag ermordeteten Gemahlin, Benazir Bhutto, das lautete: "Wahrheit, Gerechtigkeit und die Mächte der Geschichte stehen auf unserer Seite!"
Etwas später hat der pakistanische Geheimdienst erklärt, die Anwesenheit Ben Ladens in Abbottabad sei ihm entgangen. Das Compound sei 2003 inspiziert worden (damals befand es sich im Bau, es wurde 2005 fertig gestellt), doch seither sei es "unter dem Radar" der Geheimdienste gelegen. "Wir sind gut, aber nicht allwissend", fügte der Sprecher hinzu. Die Frage einer möglichen, ja angesichts der Umstände recht wahrscheinlichen Protektion des Komplexes durch die Geheimdienste, oder durch Teile derselben, blieb unerwähnt.
Aufklärungsbedürfnis in den USA
Doch muss Pakistan in der Zukunft Fragen von Seiten der Amerikaner gewärtigen. Auch die Parlamentarier werden mitreden, weil der Kongress die gewaltigen Geldsummen bewilligen muss, welche die pakistanische Armee jährlich von den Staaten erhält und ohne die sie schwerlich fortleben kann.
Solange der Krieg in Afghanistan fortdauert, kann Amerika aber nicht auf die Hilfe seines Verbündeten, Pakistan, verzichten. Der Nachschub nach Afghanistan verläuft in beständig rollenden Lastwagenkolonnen durch Pakistan. Die pakistanisch-afghanische Grenze, die mitten durch die paschtunischen Stammesgebiete zieht, ist so durchlässig, dass die Taleban und anderen Kämpfer in Afghanistan dort stets Unterschlupf finden, obwohl die pakistanische Armee die Grenze zu kontrollieren sucht. Stünde sie nicht dort, würden die Taleban das afghanischen Paschtunengebiet und das viel grössere, das in Pakistan liegt, schon längst zu einem einzigen Schauplatz ihres Guerilla Kampfes vereinigt haben.
Wieviel Selbstreinigung im Geheimdienst?
Die gegenseitigen Abhängigkeiten sind beiden Seiten bewusst. Deshalb kann man erwarten, dass auch die vermutliche Protektion, die Bin Laden erhielt, nicht zu einem öffentlichen Streit der beiden Verbündeten führen dürfte. Doch unter der Hand werden die Amerikaner darauf dringen, dass der pakistanische Geheimdienst endlich von den Pro-Taleban Elementen gereinigt werde, die es dort noch immer zu geben scheint. Man kann erwarten,dass die pakistanische Regierung solchem Begehren elastisch stattgeben wird.
Doch es wird sich um eine Selbstreinigung handeln, die von den Pakistanern vorgenommen wird - vermutlich vom Geheimdienst, der über mehr Macht als die Regierung verfügen dürfte, selbst. Ob dies zu einer endgültigen Absage an die politische Linie führen kann, an welcher bisher die pakistanischen Militärs zäh festgehalten haben, ist noch offen. Ihre Politik ging bisher darauf aus, islamistische Terrorgruppen als Hebel der pakistanischen Aussenpolitik in Indien und in Afghanistan einzusetzen und aus diesen Grunde die Verbindungen mit diesen Terrorgruppen nie ganz abzubrechen.