Die Spekulationen über Erfolg oder Misserfolg der Wiener Verhandlungen wegen iranischer Atomwaffen halten sich in etwa die Waage, gleichzeitig rückt nun aber ein Thema in den Vordergrund, das bisher – teilweise absichtlich – im Obskuren gehalten wurde: Die Frage, ob Israel selbst über Atomwaffen verfügt und, wenn Ja, in welchem Umfang.
Die zentrale Figur hierbei ist ein inzwischen 67-jähriger Mann marokkanischen Ursprungs, der 1954 als Mordechai Vanunu in Marrakesch als Sohn jüdischer Eltern geboren wurde und mit diesen nach Israel auswanderte. Als junger Techniker fand er einen Job im israelischen Atomforschungszentrum von Dimona, das er Jahre später verliess, um zunächst in Australien und dann in Grossbritannienen über das Forschungszentrum zu berichten. Es war vor allem eine Dokumentation der Londoner «Sunday Times», die - basierend auf Vanunus Angaben – Israel als geheime Atommacht enttarnte und unter anderem die Grundlage für die verbreitete Schätzung lieferte, Israel verfüge mindestens über 200 nukleare Sprengköpfe.
Dies war aber noch nicht alles in diesem «nahöstlichen James Bond»-Film: Vanunu verschwand plötzlich aus London und tauchte bald darauf in Israel auf. Wie sich herausstellte, war er von einer jungen Amerikanerin Ende September 1986 zu einem Ausflug nach Rom überredet worden. Wobei die Frau in Wirklichkeit eine Agentin des israelischen Geheimdienstes war und Rom nur eine Zwischenstation auf dem Weg nach Tel-Aviv. Er legte diesen Weg nicht im Flugzeug zurück, sondern – betäubt – in einer Kiste an Bord eines Schiffes.
Noch 1986 wird Vanunu zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt – zum Teil in Einzelhaft. Er muss die gesamte Zeit absitzen, unterliegt aber auch nach seiner Freilassung im April 2004 strikten Restriktionen: So darf er Israel nicht verlassen und wurde sogar schon wegen eines nicht genehmigten Umzugs innerhalb Israels zu einer Art Zwangsarbeit verurteilt. Ausserhalb Israels trägt er bereits seit geraumer Zeit einen anderen Namen und ist auch zum Christentum übergetreten.
Für nicht wenige Israelis wäre all dies Grund genug, ihn ziehen zu lassen. Nicht aber das offizielle Israel: Dieses beschränkt Vanunus Freiheit weiterhin wo es nur kann: So darf er nicht nur keine Reisen ins Ausland machen, er darf auch keine Kontakte zu Ausländern – darunter besonders Journalisten – aufnehmen.
Ganz besonders bizarr wird es jedoch im gegenwärtigen Fall, der einen Teil der israelischen Öffentlichkeit beschäftigt: Auf Empfehlung eines Richters soll die Sicherheitsabteilung des Verteidigungsministeriums ein Hintergrundgespräch mit Vanunu führen, um Klarheit darüber zu gewinnen, was den inzwischen vollends zum Pazifisten mutierten Ex-Spion wirklich antreibt. Der Anwalt Vanunus, ein seit vielen Jahren mit Spionagefällen vertrauter Jurist, hat die Idee eines solchen Treffens begrüsst, aber gefordert, er möge bei dem Treffen zugelassen werden. Das aber wurde abgelehnt, obwohl keiner auf die Idee käme, dem Juristen eine ideologische Nähe zu Vanunu zu unterstellen.
So bleibt eine Frage offen, die im Laufe der Jahre hin und wieder im Fall Vanunu aufgeworfen wurde: Ist dieser Fall nicht vielleicht von Anfang an ein Versuch der israelischen Führung, die Welt – besonders aber die nahöstliche Nachbarschaft bis hin zum Iran – irrezuführen in der Annahme, Israel verfüge bereits über Atomwaffen? Vielleicht hat der Fall Vanunu bei weitem nicht alle Geheimnisse in diesem Zusammenhang gelüftet.
Sicher sind das berechtigte Zweifel. Zumal es doch als äusserst unwahrscheinlich gilt, dass Vanunu sich Jahrzehnte nach seiner Arbeit im Atomzentrum von Dimona und den umfangreichen Interviews der «Sunday Times» nun plötzlich wichtiger Details erinnern könnte, die «aus Gründen der Staatssicherheit» unter allen Umständen geheimgehalten werden müssen. Der Verdacht liegt vielmehr nahe, dass die Aufwärmung des Falls Vanunu eher an die jahrzehntelange «Strategie der Zweideutigkeit» anschliessen soll, mit der Israel die Umwelt im Unklaren hielt über seine Atompolitik.