Der italienische Dichter Carlo Goldoni (1707–1793) war vermutlich jener Schriftsteller, der im 18. Jahrhundert die europäische Theater- und Opernszene am gründlichsten aufmischte. Während sein Schriftstellerkollege Pietro Metastasio (1698–1782) der wichtigste Librettist für die «Opera seria» des ganzen Jahrhunderts war und blieb, wertete der Komödiendichter Goldoni in ganz Europa die Tradition der Komödie, aber auch des «komischen Musiktheaters» neu auf. Das Publikum begann den heroischen Stoffen der höfischen und städtischen Opernhäuser davonzulaufen. Gefragt waren nun unterhaltsame vergnügliche Themen. Was man sehen und hören wollte, waren jetzt vor allem bürgerliche Komödien und im Musitheater die «opere buffe».
Baldassare Galuppi & Co.
Dieser schleichende Übergang vom tragisch-lyrischen Drama zum «Dramma giocoso» lässt sich bei vielen Komponisten verfolgen, beim Venezianer Baldassare Galuppi (1706–1785) ebenso wie beim grossen Mozart. Komponierte Galuppi bis zur Mitte des Jahrhunderts vor allem Opern über antike Helden – Alexander der Grosse, Penelope oder die verlassene Dido –, änderte sich jetzt die Mode und ganz andere Stoffe erblickten das Licht der Welt: «Das Arkadien an der Brenta», «Der Philosoph vom Lande» oder «Die Hochzeit der Dorina».
Letzteres Werk basiert auf einem Libretto von Goldoni, welches im Verlauf der Aufführungsgeschichte mit unterschiedlichen Titeln auf den Opernbühnen erschien. Zuerst hiess das Stück, als es 1755 mit der Musik von Galuppi auf die Bühne kam, nur «Le Nozze». Gewidmet war es den «Dame e Cavalieri di Bologna». In Rom nannten die Verantwortlichen 1760 das Stück «La conversazione», 1766 trug es bei einer Produktion in Lissabon den Namen «O casamente de Lesbina» – etwa: Die Hochzeit oder Trauung der Lesbina – wer immer diese kleine Lesbe gewesen sein mag. In Perugia und in Reggio Emilia lautete der Titel dann so, wie wir ihn heute kennen und nennen: «Le nozze di Dorina». Goldoni selbst benützte für den Druck des Librettos ein Pseudonym und nannte sich «Polisseno Fegeio», dessen versteckte Bedeutung etwa «Der gastfreundliche ‘Ich habe es gemacht’» sein dürfte.
Es war ein Stück über Liebeshändel zwischen Herrschaft und Dienerschaft, über versprochene und arrangierte Hochzeiten, über abgekühlte Liebesgefühle unter Ehepaaren, über echte Lusterfahrung und damit verbundene Betrügereien, alles freilich im Hinblick auf ein finales Arrangement, bei dem die Beteiligten etwas zu lachen oder mindestens zu erzählen hatten. Wer heute das Libretto liest, staunt darüber, wie viel hier bereits von dem vorgeformt ist, was uns an Mozarts und Lorenzo da Pontes «Le nozze di Figaro» (1786) so ungetrübt vollkommenen Genuss verschaffen sollte.
Eine Arie von Mozart
1775 ist kompositorisch insbesondere das Jahr von Mozarts zweiaktiger Serenade «Il re pastore», als Erzherzog Maximilian, ein Sohn der Kaiserin Maria Theresia, auf der Durchreise in Salzburg den fürstlichen Erzbischof Hieronymus Colloredo dort im April besuchte und Mozart in Eile eine pastorale Abendunterhaltung zu verfertigen hatte. Im Oktober desselben Jahres schrieb Mozart dann für die Sängerin Catarina Ristorini, eine bis etwa 1785 in ganz Europa bekannte Operndiva, eine «Ersatzarie» für die Aufführung von Galuppis «Le nozze di Dorina».
Mozart hat immer wieder während seines kurzen Lebens für besondere Sänger, zumal für Sängerinnen, sogenannte «massgeschneiderte Arien» komponiert, die man sowohl «Konzertarien» wie auch «Kofferarien» nannte, weil die Künstler mit diesen reisten und sie in mehr oder weniger passenden Momenten in die gerade von ihnen gesungenen Opern einbauten. Im Brief vom 3. Dezember 1778 an seinen Vater bittet Mozart diesen, die für Mademoiselle Weber komponierte Arie ja niemandem weiterzugeben. Dies wäre die «grösste Unbilligkeit», denn diese Arie sei «ganz für sie geschrieben» und passe ihr «wie ein Kleid auf den Leib».
Heute kennen wir die Arie unter dem Titel «Voi avete un cor fedele» (KV 217) – Ihr habt ein treues Herz. Sie ist zweiteilig gebaut, mit einem ruhigen, geradezu pastoral-lyrischen ersten und einem bewegten, virtuosen und mit Koloraturen garnierten Allegro-Teil. Dorina nimmt zugunsten ihres «sposo dichiarato», also ihres versprochenen Bräutigams, einmal an, er habe ein treues Herz, wie es sich für einen leidenschaftlichen Geliebten gehöre. Doch auch wenn er sich jetzt zu ihr bekenne, was habe er denn vor? Und was werde er wohl in Zukunft tun? Sich verändern? Er möge ihr doch bitte sagen, was dann passieren werde. «Manterrete fedeltà? – Werdet Ihr mir die Treue halten?» Diese Musik des ersten Arienteils kündigt zwar ihr Zutrauen an, endet aber immer mit Zweifeln und mit Fragen.
Als kluge und vorausahnende Frau wartet sie die Antwort des Geliebten gar nicht ab. Sie scheint den Lauf der Dinge in Sachen Liebe und Treue bereits zu kennen. Und nun folgt der stürmisch bewegte zweite Teil der Arie: Nein, an seine Treue glaube sie ihm nicht! Sie sehe bereits voraus: «mi potreste corbellar – Ihr könntet mich zum Narren halten». Das Wort «corbellare» hat offene und versteckte Bedeutungen. Man kann es übersetzen: «Ihr könntet mich wie einen Rundkorb kippen», aber der Ausdruck «corbello» ist bereits im 17. Jahrhundert auch in der euphemistischen Bedeutung von «coglione – Hoden», in der erweiterten Bedeutung: «Unhold und Trottel» bezeugt. Also könnte ihr Geliebter gerade aufgrund dieses Organs in andere Beziehungen «hineinkippen». Wir lassen gerne offen, was alles Gründe für das ungetreue «corbellare» sein könnten. Dafür wird es gewiss nicht nur einen einzigen Grund geben!
Für das volle Vertrauen in den werbenden Herzensanwärter ist es im Empfinden Dorinas noch zu früh. «Noch nicht! Jetzt jedenfalls noch nicht! Noch habe ich kein Vertrauen zu Ihnen!» So singt und gurgelt farbenreich die skeptische Dorina, die am Schluss der Oper dann unweigerlich in dem doch als gute Glücksaussicht erachteten Hafen der Ehe landet.
Eine zauberhafte junge Dorina
Die hier empfohlene Aufnahme dieser Arie wird gesungen von der Sopranistin Regula Mühlemann. Begleitet wird sie vom Kammerorchester Basel unter der Leitung von Umberto Benedetti Michelangeli. Es ist die Aufzeichnung eines Konzerts aus dem KKL Luzern vom Januar 2017.
Wenn man so jung ist und so schön singt, hat man ein Anrecht auf Anstand und Treue! Mozart hat die Arie – eigentlich eine dreifache Strophenarie mit zunehmend freien Abwandlungen – mit souveräner Brillanz ausgestaltet. Diese Arie der Dorina ist eine frühe Vorahnung der nicht zu bändigenden erotischen und gleichzeitig feministischen Weltorientierung seiner späteren Despina aus «Così fan tutte». Wunderbar, wie er auf Worte wie «dite, dite – sagt mir, sagt mir doch» musikalisch repetierend insistiert, oder wie er das Wort «dichiarato – Ihr habt mir doch einen Antrag gemacht!» betont.
Mozart wusste, worum es geht, wenn Liebe und Treue auf der Bühne verhandelt und gegeneinander abgewogen werden. Diese Arie des jungen Mozart – er war gerade neunzehn – ist darum so aussergewöhnlich, weil er früh gespürt haben muss, dass es wohl Frauenherzen voller bereiter Zuneigung auf der Welt zu finden gibt, dass diesen Frauen andererseits Männer gegenüberstehen, mit denen man höchst vorsichtig zu sein hat, wenn sie mit Worten überschwänglich ihre Liebe und Treue bekunden, obwohl sie in ihren Absichten und Handlungen vor allem «corbello-gesteuert» sind und bleiben.