Der Iran reichert sein Uran weiter an und scheint zu keinen Kompromissen bereit zu sein. Und Präsident Biden sind die Hände gebunden. Die am Montag in Wien beginnende neue Runde von Verhandlungen über die Zukunft des 2015 geschlossenen Wiener Atomabkommens steht unter einem schlechten Stern. Vertreter des Iran treffen sich mit Abgesandten der anderen Unterzeichnerstaaten: Grossbritannien, Frankreich, Deutschland, Russland und China.
Haupt-Verhandlungspartner sollten eigentlich die Vereinigten Staaten sein, denn sie hatten schon 2015 das Abkommen massgeblich mitbestimmt. Die US-Unterhändler sitzen in Wien aber nicht mit am Tisch, sondern in einem anderen Hotel. Obwohl auch diesmal das Ergebnis der Verhandlungen neben dem Iran vor allem von den USA bestimmt werden dürfte.
Wenn es denn überhaupt zu einem greifbaren und für alle praktikablen Ergebnis kommt. Von Optimismus ist jedenfalls in letzter Zeit immer weniger zu spüren. Vor einem Jahr klang das noch anders: Die damalige iranische Führung unter Präsident Rohani hatte selbst die Initiative ergriffen, das Atomabkommen wiederzubeleben, indem sie Washington aufforderte, den vom damaligen Präsidenten Trump 2018 vorgenommenen Rückzug aus dem Abkommen und – vor allem – die seitdem wieder gegen den Iran verhängten Sanktionen rückgängig zu machen. Im Gegenzug werde der Iran auch die Massnahmen zurücknehmen, mit denen er gegen den von Washington betriebenen Druck protestiere.
60 Prozent angereichertes Uran?
Ein Protest, der von den USA und Verbündeten immer häufiger als «Verletzung des Abkommens» durch den Iran verurteilt wurde und wird. Weil er in erster Linie das Vorgehen Teherans in der Atomfrage betrifft: Der Iran – noch unter Präsident Hassan Rohani, erst recht aber unter dessen im Juni gewählten Nachfolger Ebrahim Ra’isi – begann, die Uran-Anreicherung voranzutreiben und zu steigern: 2010 hatte der damalige Präsident Ahmadinejad mit einer Steigerung auf 20 % eine internationale Krise ausgelöst, die schliesslich in Verhandlungen und dem Atomabkommen von 2015 (unter Rohani) führte. Dieses Abkommen sieht vor, dass der Iran bis maximal 3,67% anreichern dürfe. Keine zwei Jahre nach Trumps Ausstieg erhöhte der Iran die Anreicherung erneut auf 20%, Monate später dann auf 60%. Von diesem Punkt ist es nicht mehr weit bis zu den 90%, die für die Herstellung einer Atombombe nötig sind. Abgesehen davon, dass auch noch andere Dinge nötig sind – wie zum Beispiel geeignete Trägerraketen.
Die ursprüngliche Zusicherung Teherans ist nicht aufgehoben und gilt deswegen weiterhin: Man werde bei einer Aufhebung der Sanktionen auch selbst zu den Regeln des Abkommens zurückkehren. Diese Tatsache hindert Politiker und Kommentatoren in den USA und zahlreichen Ländern nicht daran, Iran die Torpedierung des Abkommens anzulasten, obwohl dieser Vorwurf eigentlich gegenüber Trump erhoben werden dürfte. Zumal selbst die UN-Atomenergie-Behörde IAEA dem Iran bescheinigte, mindestens bis zum Trump-Beschluss das Atomabkommen völlig korrekt eingehalten zu haben.
Klimawandel zwischen Washington und Jerusalem
Ein Land tut sich hingegen bei der Ablehnung des Abkommens und auch der Wiener Verhandlungen besonders hervor: Israel. Der inzwischen abgewählte Regierungschef und heutige Oppositionsführer (sowie wegen Korruption angeklagte) Benjamin Netanjahu hatte wie kein anderer gegen Präsident Obama und das Atomabkommen opponiert. Selbst im US-Senat und in der Uno. Und er verstand sich als engster Verbündeter von Obama-Nachfolger Trump. Stolz verbreitete er zum Beispiel, er habe Trump zum Verlassen des Abkommens bewegt. Nachdem Trump aber das Weisse Haus verlassen musste und Netanjahu die Wahlen verlor, begann der «Klimawandel» zwischen Washington und Jerusalem:
Netanjahu-Nachfolger Naftali Bennett steht Netanjahu zwar in Bezug auf den Iran und das Atomabkommen (wie in Bezug auf die Palästinenser) in nichts nach, aber er weiss auch, dass er sich nicht offen gegen den erklärten Kurs von US-Präsident Joe Biden stellen sollte, wenn weiterhin wenigstens «gute» Beziehungen zu den USA bestehen sollen.
«Handlungsfreiheit bewahren»
So begnügte sich Bennett kurz vor dem Wiederbeginn der Wiener Verhandlungen mit dem lapidaren Kommentar, Israel werde im Fall einer Rückkehr zum Atomabkommen daran nicht gebunden sein. Bennett kritisiert, dass Israel zu lange «geschlafen» habe und «mit anderen Dingen beschäftigt» gewesen sei. Israel werde seinen Kurs ändern und seine «Handlungsfreiheit bewahren». Was er damit konkret meint, sagt er nicht. Der ehemalige Geheimdienstchef Cohen erinnerte kürzlich auf einer Tagung stolz an die Fälle, in denen Israel in der Vergangenheit «erfolgreiche» Aktionen durchgeführt habe – Sabotageakte an Atomanlagen, Anschläge auf Atomforscher bis hin zu Angriffen auf iranisches Militär in Syrien oder iranische Öltanker auf dem Weg dorthin.
In Washington sind solche und ähnliche Äusserungen mit Misstrauen und Ablehnung registriert worden. So wusste die «New York Times» zu berichten, dass US-Offizielle israelischen Politikern gegenüber vor Angriffen auf iranische Ziele gewarnt und solche bei allem Verständnis als «kontraproduktiv» bezeichnet haben. In Israel gibt es deswegen durchaus ein ungutes Gefühl, dass Wien Anlass werden könnte zu einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen zu den USA.
Kompromisse sind kaum möglich
Wieder andere versuchen, die Situation zu verharmlosen: So meinen mehrere «Experten», Wien werde keine Ergebnisse bringen. Schon gar nicht ein neues Atom-Abkommen oder eine Rückkehr zu dem von 2015. Und sie prognostizieren, dass die Konferenz in Wien wahrscheinlich schon nach ein, zwei Tagen ohne Beschlüsse zu Ende gehen werde. Die gegenseitigen Positionen würden zu weit auseinander liegen.
Das mag zutreffen: Es ist schwer vorstellbar, dass die Konferenz lösen und zurückschrauben kann, was sich seit den ersten Vorschlägen aus Teheran und den ersten Treffen in Wien entwickelt hat. Nicht nur im Iran selbst, wo man Anfang des Jahres wohl kaum gedacht hatte, mit der Uran-Anreicherung so weit zu kommen wie jetzt. Aber auch in den USA, wo Biden beim Thema Iran zusehends auf Kritik von Seiten der Republikaner und auch aus den eigenen Reihen stösst. Er verfügt vermutlich nicht über die Handlungsfreiheit, die für weitreichende Beschlüsse notwendige wäre. Wären Kompromisse möglich? Biden würde zu Hause kaum davon profitieren können. Und das iranische Regime ist auch nicht gerade bekannt für Kompromisse – gleich welcher Art. Und Israels Bedenken schliesslich werden in Wien vermutlich auch im Hintergrund bleiben.