Die Vizepräsidentin gab sich im Duell mit Donald Trump angriffsfreudig. Sie zog alle Register, um den ehemaligen Präsidenten aus der Defensive zu locken – mehrmals mit Erfolg. «Ihr aggressiver Auftritt erinnerte an ihre Karriere als Staatsanwältin» in Kalifornien, kommentiert die New York Times. Nach dem Duell erklärte die amerikanische Pop- und Country-Sängerin Taylor Swift, sie würde Kamala Harris unterstützen.
Über Trump würden die Staats- und Regierungschefs der Welt lachen, sagte Harris, und die Militärs würden ihn als «Schande» bezeichneten. Sie nannte Trump «schwach» und «falsch».
Nate Silver, der einflussreiche Analytiker, schrieb: «Es besteht ein starker Konsens darüber, dass Harris die Nacht gewonnen hat.» Auch eine erste CNN-Umfrage sieht Harris als Siegerin.
Harris war zu Beginn der Debatte auf Trump zugegangen und reichte ihm die Hand. «Lassen Sie uns eine gute Debatte führen», sagte sie. Trump antwortete: «Schön, Sie zu sehen.» Es war der erste Händedruck in einer Präsidentschaftsdebatte seit dem Aufeinandertreffen von Trump und Hillary Clinton im Jahr 2016.
Trump war bekannt dafür, dass er Hillary Clinton während ihrer Town-Hall-Debatte unangenehm nahe kam. Eine solche Nähe war diesmal nicht möglich. Harris stand während der Debatte sechs Meter von Trump entfernt. Der frühere Präsident blickte im Allgemeinen nach vorne, während Harris sprach. Harris kommunizierte auch durch ihre Mimik. «Bei einigen Kommentaren von Trump lachte sie, bei anderen schmunzelte sie, bei manchen schüttelte sie den Kopf und gab sich verwirrt», schreibt CNN.
Die bekannten Lügen
81 Millionen Wählerinnen und Wähler hätten Trump 2020 «entlassen», sagte Harris. Es sei «klar, dass ihm das schwer fällt zu verarbeiten». Trump geriet ab und zu ausser Kontrolle. Er wiederholte seine bekannten Lügen und Verschwörungstheorien. Chris Wallace, ein einflussreicher Kommentator von CNN, sagte, Trumps Auuftritt während der Debatte sei «verheerend» gewesen. Die BBC schreibt, Harris habe Trump «in die Defensive gedrängt».
«Ein finster dreinblickender Mr. Trump schluckte oft den Köder und antwortete auf die Kritik von Frau Harris mit einem Hagel von falschen Behauptungen, Fehlinformationen und persönlichen Angriffen», schreibt die New York Times.
«Wir haben eine Nation, die im Sterben liegt», sagte Trump. Er zeichnete ein düsteres Bild. Die USA erinnerten heute an das «amerikanische Gemetzel», vor dem er bei seinem Amtsantritt 2017 gewarnt habe.
Harris griff ihn wegen seiner strafrechtlichen Untersuchungen an, kritisierte ihn wegen seines Umgangs mit der Covid-Pandemie und spottete über seine Angaben zum Publikumsaufmarsch bei seinen Auftritten. «Es ist an der Zeit, das Blatt zu wenden», sagte Harris.
Das Thema Wahlkampfveranstaltungen brachte Trump sichtlich in Rage. «Lassen Sie mich zunächst etwas zu den Kundgebungen sagen», sagte Trump und machte sich über Harris' Besucherzahlen lustig, bevor er zu seinen eigenen zurückkehrte. «Die Leute verlassen meine Kundgebungen nicht, wir haben die grössten Kundgebungen, die unglaublichsten Kundgebungen in der Geschichte der Politik.»
Kamala Harris, «eine Marxistin»
Die Präsidentschaftswahlen finden am 5. November, also in acht Wochen statt. Das vom Fernsehsender ABC übertragene Fernsehduell in Philadelphia war im Vorfeld von vielen Experten als «entscheidend oder zumindest mitentscheidend» für die Wahlen bezeichnet worden.
«Harris ist eine Marxistin – jeder weiss, dass sie eine Marxistin ist», behauptete Trump. «Ihr Vater ist ein marxistischer Wirtschaftsprofessor, und er hat sie gut unterrichtet.» Trump war es diesmal gelungen, auf seine üblichen sexistischen und rassistischen Sticheleien und Angriffe zu verzichten.
Harris lachte laut auf, als er falsche und haarsträubende Behauptungen wiederholte, dass Einwanderer aus Haiti in Springfield, Ohio, die Katzen und Hunde ihrer Nachbarn «stehlen und fressen» würden.
Harris versuchte, Trump als Freund der Milliardäre und Grossunternehmen darzustellen, der die Mittelschicht auslaugen würde. «Donald Trump hat keinen Plan für Sie», sagte Harris und blickte in die Kamera, um die Wähler direkt anzusprechen. Der ehemalige Präsident sei «mehr daran interessiert, sich selbst zu verteidigen, als sich um Sie zu kümmern».
Trump bezeichnete Harris als politisches Leichtgewicht, das viel zu liberal sei, um die Nation zu führen.
Thema Abtreibung
Harris versuchte, das Thema Abtreibung als eine Frage der persönlichen Freiheit darzustellen. «Man muss nicht seinen Glauben oder seine tiefsten Überzeugungen aufgeben, um der Meinung zu sein, dass die Regierung – und ganz sicher Donald Trump – einer Frau nicht vorschreiben sollte, was sie mit ihrem Körper zu tun hat», sagte Harris.
Trump erklärte, die Demokraten würden Abtreibungen «nach der Geburt unterstützen». So würden Babies «hingerichtet». Das sei Mord und überall illegal. Das rief ABC-Moderatorin Linsey Davis auf den Plan. Sie griff Trump scharf an: «Es gibt keinen Bundesstaat in diesem Land, in dem es legal ist, ein Baby nach der Geburt zu töten», sagte Davis zu Trump, der dann schwieg.
Trump weigerte sich, die Frage zu beantworten, ob er ein nationales Abtreibungsverbot unterzeichnen würde. Auf die Frage, ob er das Affordable Care Act ersetzen würde, sagte er: «Ich habe Konzepte für einen Plan. Ich bin im Moment nicht Präsident.»
Thema Einwanderung
Trump versuchte immer wieder, das Thema Einwanderung aufzuwerfen und Regierung Biden-Harris für die Zustände an der US-Südgrenze verantwortlich zu machen. Harris wies darauf hin, dass die Republikaner im Kongress ein parteiübergreifendes Grenzgesetz verhindert hatten.
Thema Kriminalität
Trump behauptete, die Kriminalität in den Vereinigten Staaten sei im Gegensatz zum Rest der Welt gestiegen. ABC-Moderator David Muir wies ihn darauf hin, dass den FBI-Daten zufolge die Kriminalität in den letzten Jahren sogar zurückgegangen ist. Das FBI bezeichnete Trump als «zutiefst korrupt».
«Meine beste Debatte»
Trump erklärte nach dem Schlagabtausch vor Journalisten, es sei seine «beste Debatte» gewesen. Harris «hat heute Abend sehr schlecht verloren», sagte er. Er hoffe, sie sei zu einem zweiten Duell bereit.
Später erklärte er jedoch auf Fox TV: «Ich weiß nicht, ob ich noch eine (Debatte) machen will.» Auf die Frage, ob die Debatte manipuliert war, wies Trump darauf hin, dass «es drei gegen einen war» und griff die Moderatoren von ABC News an.
Parteistrategen und andere Experten sind sich uneinig, welche Auswirkungen das Duell auf die Wahlen haben wird. Für Harris war die Debatte am Dienstag eine Chance, sich in den Augen der Wähler und Wählerinnen weiter zu profilieren.
Sieg für Harris?
Nate Silver, der Gründer des einflussreichen Umfrageportals «FiveThirtyEight» schreibt in einer ersten Analyse, es gebe «eine 97-prozentige Chance, dass Harris in den Umfragen als Siegerin der Debatte gewertet wird». Die Bitcoin-Preise seien gesunken, was ebenfalls auf einen Verlust für Trump hindeute. «Sogar das Fox-News-Panel, das ich am Ende des Abends gesehen habe», schreibt Silver, «schien zuzugeben, dass es ein Sieg für Harris war.»
«Harris ist eine gute Taktikerin. Ich kann mir vorstellen, dass ihre Kampagne sehr erfreut darüber war, dass Trump jeden Köder, den sie ihm hinhielt, buchstäblich jedes Mal schluckte.»
Laut einer ersten CNN-Umfrage bei registrierten Wählerinnen und Wählern, die allerdings auf einem sehr kleinen Sample beruht, hat Kamala Harris die Debatte mit 63 zu 37 Prozent gewonnen.
Taylor Swift für Harris
Einen nicht zu unterschätzenden Schlag erlitt Trump nach der Debatte. Auf Instagram erklärt Taylor Swift, sie unterstütze bei den Wahlen Kamala Harris und ihren Vizepräsidentschaftskandidaten Tim Walz. Sie unterzeichnete ihre Message mit «Childless cat lady», (Kinderlose Katzenfrau), eine Anspielung auf Kommentare von Trumps Kandidat, Senator JD Vance aus Ohio, über Frauen ohne Kinder. Taylor Swift hat auf X 95 Millionen Follower. Auf Instagram folgen ihr 280 Millionen Menschen.