Man weiss jedoch, dass Beethoven an die Komposition eines „Macbeth“ dachte und dass er noch im Alter sich Gedanken über eine Vertonung von Goethes „Faust“ machte. Dass es in beiden Fällen nicht dazu kam, ist ein Stachel in der Vorstellungskraft, der Opernfreunde ewig plagen könnte. Man stelle sich einmal vor, die 9. Sinfonie oder die Missa solemnis in den Ohren, was da auf uns noch hätte zukommen können!
Eine Arie für Frau Duschek?
Vergessen sollten wir aber nicht, dass Beethoven bereits im Jahre 1796 eine hochdramatische Arie schrieb mit dem Titel „Ah perfido!“. Ob er sie für die Sängerin Josefa Duschek aus Prag komponierte, der bereits Mozart grandiose Konzertarien widmete, ist nicht gesichert. Er könnte sie auch für eine gewisse „Signora Comtessa di Clari“ geschrieben haben, wie ein Widmungsblatt belegt. Vermutlich wollte er damit aber seine Verehrung für beide Damen bekunden. Gesungen wurde diese Arie öffentlich jedenfalls von Frau Duschek im November 1796 in einem Konzert in Leipzig. Danach blieb sie ungedruckt bis 1805 und taucht dann in einem Wiener Akademie-Konzert von 1808 auf. Erst später erhält sie die Opuszahl 65, was sie zeitlich falsch einordnet. Doch diese Arie des jungen Beethoven, heute als „Ah! Perfido! Scena e aria, op. 65 (1796)“ bekannt, ist ein erstaunlich dramatischer Geniestreich eines ungestümen Komponisten.
Den Text des Rezitativs holte sich Beethoven aus Metastasios Libretto für die Oper „Achille in Sciro“. Wer für ihn den darauf folgenden Arientext verfasste, ist unbekannt. Er selbst war gerade einmal 26 Jahre alt, als er sich an diese Szene machte. Die Handlung dreht sich um einen Liebesverrat aus der Sicht einer betrogenen Frau. Ein Mann hat sich von seiner Geliebten losgesagt, hat diese vermutlich für eine andere sitzen lassen, hat mit ihr nicht mit offenen Karten gespielt und tief verletzt. Auf Youtube kann man hören, wie die große Maria Callas das Wort „Perfido – Du Wüstling“ voller Empörung. Verachtung und Hass dem treulosen Mann ins Gesicht schmettert, diesem eidbrüchigen, grausamen Verräter!
Zorn wühlt auf, erregt, macht ungerecht. Er erschöpft die Kräfte der um ihre Liebe bangenden Frau. So geht es in dieser Szene wie im Leben immer zwischen Rachelust und Selbstmitleid hin und her. Warum straft der Himmel diesen Wüstling nicht? Warum greifen die Götter nicht ein? Muss sie selbst alles tun, fragt sich die Betrogene? Soll sie den Verräter bis ans Lebensende wie einen Schatten verfolgen? Die Strafe des Himmels muss ihn doch bald einholen. Die Frau sieht den Bösewicht bereits von tödlichen Blitzen umflammt. Aber da fährt es ihr durch den Kopf: Will sie überhaupt, dass ihr Geliebter sterbe und gänzlich vernichtet werde?
Mitleid mit dem Schuldigen
„Fermate, vindici Dei! – Haltet ein, Ihr Götter der Rache!“ Jetzt bittet sie die Götter sogar: Verschont sein Herz, verwundet meines! Der ungetreue Liebende ist nicht mehr derjenige, der er einmal war, nur ich bin noch die Liebende von damals! Und wenn ich früher für diesen Mann lebte, so will ich jetzt für ihn sterben. Es ist die alte Geschichte: Nicht den Ungetreuen soll das Leid treffen, die Betrogene will es auf sich nehmen und an Stelle des Schuldigen leiden.
So wendet sich die Enttäuschte in der Arie nochmals an den verlorenen Geliebten: „Per pietà, non dirmi addio“: Hab Mitleid mit mir, sag mir nicht Lebewohl für alle Zeiten! Du weißt, dass ich vor Leid sterben werde, wenn du es tust! Doch du Grausamer willst es ja, dass ich sterbe! Warum belohnst du so barbarisch diejenige, die dich anbetet? Die Leidende erhält keine Antwort, und so wendet sie sich in den Schlusszeilen an die Zeugen ihres Kummers: „Dite voi, se in tanto affanno non son degna di pietà – Sagt mir, bin ich, die soviel Leid erduldet, nicht auch des Mitleids würdig?“
Beethoven hat für die Leiden dieser Frau eine umwerfende Musik geschrieben. Wenn Verletzungen Einsichten erlauben, dann werden sie in diesem hochdramatischen Aufbegehren der beleidigten Frau hörbar: eine Musik, die in geradezu hetzenden Begleitbässen die Aufwühlungen der Seele nachzeichnet, in weichen Klarinettenmelodien und Streicherlinien aber auch das flehentliche Bitten eines Wesens kundtun, das nur noch sterben will. Die Arie entfaltet musikalisch in magischer Weise, was eine in der Liebe beschädigte Realität ist. Innigkeit und Schmerz in Erwartung des Todes sind wie vergehende Schatten. Und immer noch braust im Wechsel der Zorn auf, – schnelle Passagen folgen, als sei die Grausamkeit eines Betrügers für eine Liebende die schrecklichste aller wiederkehrenden Furien. Wegen des Textes bräuchten wir diese Arie nicht in Erinnerung zu behalten. Doch was der junge Beethoven daraus macht, ist unvergleichlich.
Am Schluss hören wir eine beinah schon mit ihrem Schicksal sich abfindende Stimme, die zu fragen scheint: Macht uns vielleicht gerade das Leiden groß und stark in der Liebe? Viel Sanftmut kommt durch Beethovens Musik in die nie ganz auslotbare Traurigkeit dieser enttäuschten Geliebten. Aber auch das Peinigende ihrer Verzweiflung findet im jungen Beethoven den einfühlsamsten Interpreten. Kein Wunder, dass dieser Sturm ambivalenter Gefühle für grosse Sängerinnen eine bleibende Herausforderung ist. Die Callas wie die Schwarzkopf, Régine Crespin wie Birgit Nilsson brillierten mit dieser Arie, und auch die heutigen dramatischen Soprane haben sie in ihrem Repertoire und messen an dieser Arie ihre sängerische Fähigkeit, Zorn und Liebesleid zu vereinen. Ich empfehle für einmal die wunderschöne Gestaltung der Verzweiflung aus Liebe durch Gundula Janowitz - klicken Sie HIER