«Keine Zahl aus Trumps vier Amtsjahren wird auf lange Frist zerstörerischer sein als seine 25’000 falschen oder irreführenden Äusserungen», schreibt George Packer im «Atlantic» in seinem politischen Nachruf auf Amerikas 45. Präsidenten: «Super-verbreitet von sozialen Medien und Kabel-Nachrichten, haben seine Äusserungen das Denken von Dutzenden Millionen Menschen verunreinigt. Trumps Lügen werden noch Jahre lang nachwirken und wie radioaktiver Staub die Atmosphäre vergiften.» Noch am Weihnachtsabend twitterte der amerikanische Präsident: «WAHLBETRUG IST KEINE VERSCHWÖRUNGSTHEORIE».
Auch von den Medien wird es wesentlich abhängen, wie gefährlich Donald Trumps Erbe nachwirken wird. Gelingt es ihnen, sich der Droge Trump zu entziehen, die ihnen ohne grosse Eigenleistung steigende Leserzahlen, höhere Einschaltquoten und zahlreichere Klicks beschert hat? Ein einziger Tweet des Präsidenten genügte, um Zeitungen, Fernsehen und soziale Medien in helle Aufregung zu versetzen, was der Absender jeweils clever zu seinem Vorteil zu nutzen wusste. So etwa, um von missliebigen Nachrichten abzulenken oder den öffentlichen Diskurs in eine andere Richtung zu steuern.
Und fast jedes Mal tappten die Medien in die Falle – bis Anfang Dezember, als sich Donald Trump in einer wirren Videobotschaft an die Nation wandte, um erneut zu behaupten, er sei um den Wahlsieg betrogen worden. Das Fernsehen übertrug die Ansprache nicht mehr, obwohl der Präsident sie «die wichtigste Rede» nannte, die er je gehalten habe. Die Presse reagierte ebenfalls gelangweilt.
«Ihr tut so, als ob ihr ihn hassen würdet, aber in Wahrheit liebt ihr ihn», hatte die Komikerin Michelle Wolf 2018 den Medienschaffen noch vorgeworfen: «Ihr habt mitgeholfen, dieses Monster zu erschaffen und jetzt profitiert ihr von ihm.» Doch gegen Ende 2020 scheint diese Liebe erkaltet zu sein, nehmen doch Themen wie die Corona-Pandemie, die Wirtschaftsmisere oder der Klimawandel in den USA wieder mehr Platz in der Berichterstattung ein.
Noch nicht auf Trump-Entzug sind Amerikas Buchverlage. In den vergangenen vier Jahren sind mehr als 1’200 Bücher über den noch amtierenden Präsidenten erschienen, unter ihnen auch ein Band über alle bisherigen Trump-Bücher. Über Barack Obamas erste Amtszeit hatten die Verlage seinerzeit rund 500 Werke publiziert. Noch weiss keiner, wie viele Bücher über Donald Trump künftig erscheinen werden und wie lange das Interesse an den unterschiedlichsten Facetten seiner Person anhalten wird.
Unbekannt ist auch, ob Donald Trump selbst Memoiren verfassen wird und wer solche Erinnerungen allenfalls ohne aufwändiges Fact Checking oder das Risiko eines nachhaltigen Reputationsschadens würde verlegen wollen. Indes sind Barack Obamas Memoiren ein Riesenerfolg: Seit deren Erschienen sind innert einem Monat weltweit mehr als 3,3 Millionen Exemplare verkauft worden. Mit solchen Zahlen kann der neu gewählte Präsident noch nicht mithalten, auch wenn derzeit mehrere Bücher über Joe Biden in Vorbereitung sind, unter ihnen ein Kinderbuch über die beiden «First Dogs» Champ und Major.
Interessant wird zu beobachten sein, wie Amerikas 46. Präsident sein Verhältnis zu den Medien gestaltet und wie die Medien wiederum auf ihn reagieren. Joe Bidens Flitterwochen würden wahrscheinlich rund 100 Tage dauern, prophezeit Jack Shafer, der Medienkritiker der in Washington DC einflussreichen Zeitung «Politico». Zwar werde es dem neuen Präsidenten vorläufig nützen, nicht wie der alte zu sein, für den Medienschaffende «Abschaum», «Fake News» oder «Volksfeinde» waren. Doch die Probleme des Landes seien so drängend, dass Kritik am Weissen Haus wohl eher früher als später laut wird.
Regelmässige Pressekonferenzen und ein normalerer Zugang zum Präsidenten könnten laut einem früheren Reporter der «Los Angeles Times» helfen, das zerrüttete Vertrauen zwischen Amtsinhaber und Berichterstattern zu kitten. Und vor allem dies: «alternative Wirklichkeiten» zu wiederlegen und schlicht «die Wahrheit zu sagen».
Allerdings ist Joe Biden als Politiker bekannt dafür, gegenüber den Medien gelegentlich dünnhäutig oder impulsiv zu reagieren. Unvergessen ist auch, dass Präsident Barack Obama, dessen Vizepräsident er war, unter dem «Espionage Act» wiederholt gegen Whistleblower vorgegangen ist, was ihn zumindest unter engagierten Medienschaffenden nicht populärer machte.
Im Vergleich zu Donald Trump, der vor allem ihm treu ergebene rechte Fernsehsender wie Fox News, Newsmax oder One America News (OAN) schaute und zu jeder Tag- und Nachtzeit twitterte, ist Joe Biden ein klassischer Medienkonsument. Der 78-Jährige liest vor allem Zeitungen und die am liebsten auf Papier: nationale Blätter wie die «New York Times» und die «Washington Post» oder als «native son» des Staates das «News-Journal» in Delaware. Auch Magazine wie «The Economist» oder «The New Yorker» gehören zu seiner Mediendiät. Joe Biden ist ein Fan von Apple News und schaut höchstens gelegentlich fern, zum Beispiel «Morning Joe» auf MSNBC oder seltener Fox News und CNN. Als Twitterer ist Biden nicht aktiv, obwohl er sich informieren lässt, was in den sozialen Medien abgeht.
An Amerikas Medien wird es liegen, jene Kreise Lügen zu strafen, die ihnen vorwerfen, während der Amtszeit Donald Trumps parteiisch und unausgewogen berichtet zu haben. Das gilt für liberale wie für rechte Medien. Trump-treue Fernsehsender haben unlängst erst Androhungen happiger Entschädigungszahlungen dazu gebracht, nicht länger zu behaupten, die Wahlmaschinen seien beim Urnengang am 3. November zugunsten Joe Bidens manipuliert gewesen. Wobei noch offen ist, ob es gegen die fraglichen Sender zu Prozessen kommt, die deren Existenz gefährden könnten.
Gelingt es den Medien jeglicher Couleur, wider den Strom zu schwimmen und zu berichten, was Sache ist, könnte das mithelfen, jene Filterblasen platzen zu lassen, in die sich viele Amerikanerinnen und Amerikaner so wohlig zurückgezogen haben. Und neu über Parteigrenzen hinweg einen sachlichen Dialog zu entfachen, ohne den eine demokratische Gesellschaft nicht überleben kann.