„Unglaublicher Skandal“, protestieren keineswegs nur Mitglieder und Sympathisanten der mittlerweile zum dritten Mal umgetauften einstigen Monopolmacht der DDR (SED, SED-PDS, PDS, Die Linke). Auch weite Teile der veröffentlichten wie auch öffentlichen Meinung in der Bundesrepublik beschreiben diesen Tatbestand als „nicht hinnehmbar“. Das geht bis in die Reihen des Deutschen Bundestages und – siehe FDP – sogar der schwarz-gelben Regierungskoalition.
Praxis seit Jahren
Die Aufregung entbehrt nicht einer gewissen Merkwürdigkeit. Denn erstens ist der Vorgang als solcher alt bekannt; alle Jahre veröffentlichen sowohl das Bundesinnenministerium als auch die entsprechenden Ressorts der Bundesländer die Jahresberichte ihrer Verfassungsschutzämter. Darin aufgeführt ist jedes Mal auch die „Linke“. Genauer gesagt: Es sind die Gruppierungen, die ganz offen nach wie vor eine radikale (und durchaus nicht unbedingt von Gewalt freie) Umgestaltung der bestehenden Gesellschaft propagieren. Warum also jetzt der Proteststurm?
Als Erklärung dafür reicht sicher nicht aus, dass die Medien – wie fast immer – auch jetzt wieder einfach eine Meldung des „Spiegel“ ab- und nachgeschrieben haben, auch wenn es sich im Grunde um eine „Alte Kamelle“ handelte. Nein, es gibt schon einen ernst zu nehmendden Hintergrund.
Virtuos auf dem Klavier der Empörung
Seit der Entdeckung des Mördertrios aus dem thüringisch-sächsischen Neonazi-Sumpf sehen sich die geheimdienstlichen Inlandsaufklärer von Bund und Ländern nicht nur heftiger Kritik ausgesetzt, sondern stehen unter starkem Rechtfertigungsdruck. Ob, wie behauptet, die Ämter tatsächlich geschlafen, ja mit der rechtsradikalen Szene womöglich gar gemauschelt haben, müssen jetzt Parlamentarische Untersuchungsausschüsse in Berlin und Thüringens Hauptstadt Erfurt zu klären versuchen.
Allein der Verdacht freilich reicht aus, um die Linke gekonnt (und für nicht Wenige auch glaubhaft) auf der Klaviatur der Empörung spielen zu lassen. So wie es ihr Co-Vorsitzender Klaus Ernst mit dem Vorwurf tut, während die Beschatter mit rechten Mörderbanden paktierten, würden „linke Demokraten“ bespitzelt.
Aber ist das sinnvoll?
Nun wäre es möglicherweise nicht uninteressant, was der aus Bayern stammende Ernst zum Stichwort „Bespitzeln“ von seiner Mit-Parteichefin und langjährig höchst aktiven SED-Genossin Gesinde Lötzsch als Antwort bekäme. Immerhin ist deren Ehemann als ehemaliger „Informeller Mitarbeiter“ der DDR-Staatssicherheit (Stasi) enttarnt worden.
Nun mag man, gewiss zu Recht, die Frage diskutieren, welchen Sinn es wohl macht, etwa die öffentlichen Reden von Bundestagsabgeordneten der „Linken“ oder Zeitungsberichte über deren Auftritte auf staatsgefährdende Absichten hin zu untersuchen. Dies scheint offensichtlich auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) aufgegangen zu sein. Immerhin kündigte er eine „Überprüfung“ der Prüf-Liste an. Freilich kann man bei einer Auswertung frei zugänglicher Quellen kaum von „Bespitzelung“ reden.
Zweischneidiges Argument
Zumindest zweischneidig ist zudem ein Argument, das in der gegenwärtigen Auseinandersetzung um die „Affäre“ auch von einzelnen Sozial- und Freidemokraten vorgebracht wird: Frei gewählte Volksvertreter, so die These, dürften auf keinen Fall daraufhin überprüft werden, ob sie auf den Fundamenten der Verfassung stünden.
Wenn das wirklich stimmte, dann müsste, logischerweise, auch verboten werden, die extreme Rechte unter Beobachtung zu stellen. Immerhin ist deren unappetitliche politische Speerspitze, die dunkelbraune „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD), zwischenzeitlich und sogar zweistellig in bis zu sieben Landtagen vertreten, scheiterte einmal nur knapp am Einzug in den Bundestag und sitzt jetzt noch in den Landesparlamenten der ostdeutschen Länder Sachen und Mecklenburg-Vorpommern.
Schnelle Befreiung vom Makel der SED
Selbstverständlich ist es die Aufgabe der Verfassungsschützer, diese Kräfte zu beobachten! Mehr noch: Erheblich genauer hinzuschauen, als dies in der Vergangenheit der Fall war.
Und wie ist es um die demokratische Ausrichtung der „Linken“ im Sinne des deutschen Grundgesetzes bestellt? Es ist den alten Kräften der DDR (oft genug gestützt auf die historische und politische Unkenntnis in Westdeutschland) verblüffend schnell gelungen, die einstmals allmächtige Staatspartei SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) ihres negativen Makels zu befreien – ja, sie sogar teilweise vergessen zu lassen.
Wer stand über der Stasi?
Als Bösewicht und Menschenschinder ist im Prinzip allein die Stasi (die Staatssicherheit) geblieben. Einerseits zu Recht. Denn deren Strukturen und die Menschen verachtende Methoden unterschieden sich kaum von denen der einstigen Gestapo.
Was freilich häufig genug unerwähnt bleibt ist, dass die Stasi zwar mächtig und gefächert wie ein Spinnennetz, aber trotzdem der Partei nachgeordnet war. Was immer die Stasi tat – verantwortlich war die SED. Nicht umsonst stand im Wappen zu lesen: „Schild und Schwert der Partei“. Erich Mielke, Minister für Staatssicherheit, mochte den Menschen zwar unheimlich und Angst einflößend gewesen sein. Unterstehen aber tat er Erich Honecker.
Aufblitzen der alten Schule
Wo aber sind denn all die größeren oder kleineren Vollstrecker des Unterdrückungsapparates geblieben? Die Schikanierer an den Grenzen, bei der Polizei, bei der Armee und besonders der Stasi? Klar, nicht wenige der alt gewordenen, einstigen Größen sind dabei, wenn die heutige „Linke“-Parteiprominenz um Gregor Gysi, Oskar Lafontaine, Gesine Lötzsch und Klaus Ernst einmal im Jahr zu den Gräbern der nach dem Ersten Weltkrieg von Rechtsradikalen ermordeten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht pilgert.
Aber die Hunderttausenden von ehemaligen Mitläufern? Zumindest im Osten der deutschen Republik speist sich aus diesem Reservoir die Anhängerschaft der sich inzwischen zahm und demokratisch gebenden Partei. Doch immer wieder einmal blitzt – unfreiwillig? – die alte Schule auf. So, wenn Parteichefin Lötzsch in einem Glückwunschtelegramm an Fidel Castro das angeblich Beispiel gebende kubanische Regime bejubelt oder daheim in einem Zeitungsartikel den Genossen den Ratschlag erteilt, sie sollten die Wege zum Kommunismus ausprobieren.
Von der SED-PDS zur Die Linke
Auch 21 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR ist die einstige SED noch immer die Antwort schuldig geblieben, wo eigentlich das Milliarden schwere Vermögen der Partei geblieben ist. Damals, in den aufregenden und aufgeregten Wendemonaten zum Jahreswechsel 1989/90 hatte der heute von allen Talkshows umschwärmte Gregor Gysi die Auflösung der Partei verhindert – nicht zuletzt mit dem Hinweis auf die dann verloren gehenden Milliarden.
Stattdessen gab sie sich immer wieder neue Namen: Erst SED-PDS (Partei des Demokratischen Sozialismus), dann nur noch PDS und schließlich „Die Linke – nach der Vereinigung mit der westlichen, zumeist aus früheren Sozialdemokraten und Gewerkschaftern bestehenden Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) im Juni 2007.
Zweifel sind angebracht - in jeder Richtung
Inzwischen ist sie in nahezu sämtlichen Landesparlamenten vertreten. Dass prominente Abgeordnete, beispielsweise in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Hamburg, nachgewiesenermaßen für Untergrund- und Propaganda-Arbeit im Westen über viele Jahre von Ost-Berlin bezahlt worden waren, hat der neuen politischen Karriere keinen Abbruch getan.
Noch einmal: An Sinn und Nutzen der verfassungsamtlichen Beobachtung von linken Parteiprominenten kann füglich gezweifelt werden. Noch mehr Zweifel aber sind angebracht, wenn sich die Täter von einst oder deren Nachfolger und Geschwister im Geiste jetzt als beklagenswerte Opfer staatlicher Willkür gerieren.