Sagenhafte 2,5 Millionen digitalisierte Originaldokumente sollen sich auf Datenträgern befinden, die einer weltumspannenden Organisation für Investigativen Journalismus (ICIJ) zugespielt wurden. Sie sollen aus den wohlgeschützten Datenspeichern von zwei Firmen stammen, die von Singapur und den British Virgin Islands aus am weltweiten Geschäft mit dem Errichten von Tarnkonstrukten für steuer- und zugriffsfreie gelagerte Privatvermögen teilnehmen.
Ein Datenmeer
Informationen über 120'000 Briefkastenfirmen, dubiose Deals in rund 170 Ländern und die Namen von etwa 130'000 Personen, die nun finanziell mit runtergelassenen Hosen dastehen, sollen sich in diesem Datenmeer befinden. Es ist in monatelanger Geheimrecherche von ICIJ und 86 Journalisten aus 46 Ländern ausgewertet worden.
Darunter befindet sich in der Schweiz auch die «SonntagsZeitung» und «Le Matin Dimanche». Schon sind die ersten Informationssplitter an die Öffentlichkeit gebracht worden. Der verstorbene Playboy Gunter Sachs soll sich unter den Benützern von Offshore-Konstrukten befinden. Für ihn zuständig war die Anwaltskanzlei Lenz & Staehelin. Insgesamt seien in der Schweiz 300 Personen und 70 Gesellschaften von diesem Daten-Leak betroffen.
Immer dabei
Es wäre ja wirklich ein Wunder, wenn unsere beiden Grossbanken UBS und CS nicht betroffen wären. Alleine über die Singapurer Konstrukt-Schnitzerei Portcullis Trustnet sei die UBS in über 2900 Briefkasten-Gesellschaften verwickelt, die CS in über 700.
Wie immer geht es dabei nur um eines: Der «beneficial owner», also der Nutzniesser und Besitzer von Vermögen, soll hinter Tarnkonstruktionen unsichtbar werden. Wenn diese Daten echt sind, wird das nicht nur in der Schweiz für viele Banken und Anwaltskanzleien ziemlich heiter. Von den namentlich aufgeführten Personen ganz zu schweigen. Gut so, aber es stellen sich schon ein paar Fragen.
Wie war das möglich?
Alle Beteiligten an der Errichtung solcher Tarnkonstrukte wissen, dass die absolute Geschäftsgrundlage in Diskretion, Vertraulichkeit, absolutem Schutz aller Daten besteht. Dieser GAU ist nur vergleichbar damit, dass beispielsweise plötzlich sämtliche Kundenbeziehungen der UBS oder der CS im Internet einsehbar wären. Das ist zwar in Anbetracht der mangelhaften Investitionen in die IT-Struktur von Banken nicht ausgeschlossen. Und mit Bildschirmfotos oder mit Memory Sticks wurden schon Hunderttausende von Kundendaten gestohlen und interessierten Steuerbehörden gegen Bezahlung ausgeliefert. Aber gegen diese 260 Gigabite ist das ein Klacks. Frage: Wie war das möglich?
Jeder, der eine Ahnung von den durchaus vorhandenen Sicherheitsmassnahmen von Unternehmen hat, die mit Geldgeschäften zu tun haben, weiss, dass es für einen Datendiebstahl dieses Ausmasses nicht nur allenfalls Insider, sondern hochprofessionelle IT-Kenntnisse, gewaltige Rechenpower und überlegene Hackerkompetenzen braucht. Bei aller Ehrfurcht vor Gruppen wie Anonymous halte ich es nicht für denkbar, dass die zu einem solchen Schlag in der Lage wären. Also muss man in Richtung staatlicher Institutionen denken. Wer käme dafür in Frage?
Cui bono?
Um da sinnvoll zu spekulieren, hilft die Anschlussfrage: Wem nützt es, wer hat die Fähigkeiten dazu? Natürlich kommen zunächst die üblichen Verdächtigen in den Sinn, also China, Russland, ein paar ex-sowjetische Staaten, allenfalls sogar Nordkorea und natürlich die USA.
Ich schliesse Wetten darauf ab, dass mindestens eine der Internet-Organisationen dieser Staaten ihre Finger in diesem Spiel hat. Auf dünnem Eis bewegt man sich, aber es sei gewagt, wenn man aus dem Fehlen (bislang) der grössten Steueroasen der Welt, nämliche Delaware und Florida, die Vermutung in Richtung USA lenkt.
Folgewirkungen
Zunächst muss einmal dieser Riesendatensee, so er denn echt ist, kanalisiert und ausgewertet werden. Dann werden wohl auch die im Moment noch etwas überforderten staatlichen Organe in diversen Ländern der Welt aktiv werden. Gleichzeitig laufen momentan natürlich sämtliche Telefonlinien bei allen in solche Geschäfte verwickelten Firmen heiss, Tausende von besorgten Kunden möchten wissen, ob ihr Geld wirklich noch sicher versteckt ist oder nicht. Wie gesagt, das kann sehr heiter werden.