Ostern ist die Geschichte von Tod und Auferstehung. In der orthodoxen Kirche vernehmen wir, wie die Priester das Evangelium nicht nur vorlesen, sondern auch feierlich mimen. Die orthodoxe Karwoche hat begonnen und wir verfolgen das Geschehen. Normalerweise sind wir in Griechenland, im Grossraum Athen. Dieses Jahr ist es ganz anders. In Griechenland gilt eine strikte Ausgangssperre und hinzureisen ist zwar möglich – von Genf aus gibt es noch einen wöchentlichen Flug –, aber mit einer 14-tägigen Hausquarantäne verbunden. Wir sitzen also zu Hause in der Umgebung von Bern und nehmen an den Liturgien und Prozessionen der Karwoche per Livestream aus unserer Kirche in Griechenland teil. In den Kirchen werden also die Liturgien gefeiert, aber ohne Präsenz der Gläubigen.
Entschlossen und erfolgreich
Griechenland kämpft mit der Coronavirus-Pandemie. Und tut das extrem erfolgreich und entschlossen. Stand Sonntag, 19. April, gibt es lediglich 2235 laborbestätigte Fälle und nur 110 Todesfälle. Man habe „bewusst einen Teil unseres Wohlstandes geopfert, um die Gesundheit und den sozialen Zusammenhalt zu schützen“, sagte Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis.
Nicht nur haben die Griechen die Gefahr extrem früh gerochen und entsprechende Massnahmen ergriffen, als in der Schweiz noch in den Skibars die Post abging, an den Afterwork-Parties in Zürich gefeiert wurde und das Bundesamt für Gesundheit beruhigte. Offensichtlich haben die leidgeprüften Griechen aus der Finanzkrise gelernt.
Insbesondere für die orthodoxen Ostern müssen die Athener in der Stadt bleiben. Die Ferienhäuser – unseres inklusive – bleiben verwaist. Es gibt heuer kein Osterlamm, das mehrere Generationen zusammen grillieren und geniessen. Höchstens etwas aus dem Ofen auf Balkonien. So geniessen auch wir es heute im Garten in der Schweiz, etwas, was wir noch nie gemacht haben. Die griechischen Behörden lassen es nicht wie die Tessiner und Urner Polizei mit Ermahnungen bewenden. Wer trotzdem in die Provinz fahren will, dem drohen hohe Bussen und der Einzug der Autokontrollschilder.
Die Regierung fürchtet sich offensichtlich davor, dass Kirchen illegal geöffnet werden, sich Menschen illegal versammeln und die bisherigen Erfolge der Seuchenbekämpfung an Ostern aufs Spiel gesetzt werden. Die Karwoche sei „die kritischste“ begründete der Regierungschef die Massnahmen, die es so seit der Obristendiktatur nicht mehr gegeben hat. Er fügte hinzu: „Nur ein Faden trennt den Sieg von der Katastrophe.“ Er stellte aber auch in Aussicht, dass ab Mitte Mai Läden, Schulen und die Wirtschaft wieder vorsichtig hochgefahren werden können.
Das vorläufig erfolgreiche Krisenmanagement hat nicht nur damit zu tun, dass schnell ein Lockdown eingeführt und so die Weiterverbreitung des Virus rechtzeitig unterdrückt wurde. Die Griechen testen zwar im Verhältnis zur Bevölkerungszahl wenig, aber weil es auch wenige Fälle gibt, reichen die Kapazitäten. Zentral gesteuert aus Athen wird auch ein konsequentes Falltracing gemacht, bei dem die Kontakte einer infizierten Person über die letzten Tage abgefragt werden. So kommen auch immer wieder Fälle ans Licht. Neu wollen die Griechen auch besonders anfällige Gruppen komplett durchtesten. Zuerst wird das mit allen Altersheimen gemacht. Es kommen dann aber eventuell auch Romasiedlungen oder Flüchtlingsunterkünfte dran. Siedlungen und Dörfer, die vom Virus stark betroffen sind, werden auch regelmässig unter Quarantäne gestellt.
Was kommt danach?
Was aber immer mehr ins Blickfeld rückt, ist die Zeit „danach“. Die Regierung hat in Aussicht gestellt, Mitte Mai mit einer schrittweisen Öffnung zu beginnen. Aber es bleiben viele Fragezeichen. Der Tourismus hat einen Anteil an der Wertschöpfung des Landes (Bruttoinlandprodukt BIP) von über zwanzig Prozent. Das ist deutlich mehr als bei allen anderen klassischen Reisedestinationen in Europa. Und schon jetzt frisst die Coronakrise vielen privaten Haushalten und kleinen Betrieben die letzten, nach der Finanzkrise übriggebliebenen Reserven auf.
Die Regierung bestreitet gar nicht, dass die Auswirkungen der Coronakrise auf Wirtschaft und Tourismus sehr negativ sein werden. Was man im Moment zugunsten der Destinationen Griechenlands in die Waagschale werfen kann, ist das vorausschauende Handeln angesichts der Pandemie. Das schafft Vertrauen. Einige Tourismusexperten rechnen damit, dass erste Hotels im Juni wieder öffnen. Das dürfte aber nicht auf alle zutreffen und viele könnten ganz schliessen, da eine beispiellose Stornierungswelle im Gang ist.
Man darf aber auch nicht die Rechnung ohne den Wirt machen. Es ist noch völlig unklar, ab wann Reisen nach Griechenland wieder problemlos möglich sind. Im Moment gibt es gar keinen Flug von Deutschland und Österreich nach Griechenland und bloss einen wöchentlichen aus der Schweiz. Und hat der Gast die vierzehntägige Heimquarantäne abgesessen, dann sind die Ferien in der Regel vorbei. Wer mit dem Auto anreist, muss von Italien das Schiff nehmen. Die Schiffe fahren zwar, führen aber nur Lastwagen mit. Ob im Sommer wenigstens ein Transit an die Fährhäfen in Italien möglich ist?
Natürlich werden die Griechen alles dafür tun, dass Reisen wieder durchgeführt werden können, sobald Hotels offen sind und die gesundheitliche Situation es erlaubt. Vor Anfang Juni dürfte das aber nicht möglich sein. Und auch dann dürften strenge hygienische Massnahmen und Abstandsregeln zum Standard gehören, denn ein Corona-Ausbruch in einem Hotel wäre eine Katastrophe. Damit ist nicht nur das Ostergeschäft, sondern auch das zweite Quartal praktisch verloren. Und wie es mit dem Sommer steht, ist sehr unklar.
Wenn man sich die Coronavirus-Statistik der Plattform Worldometer anschaut, kommt Griechenland mit seinen wenigen Fällen unter „ferner liefen“. Das ist in diesem Fall ein Kompliment. Doch braucht es keine hellseherische Fähigkeit, um zu verstehen, dass das Land nach der Finanzkrise nun ein zweites Mal wirtschaftlich hart getroffen wird.
Gewisse Gegenden leben praktisch nur vom Tourismus und stehen nun vor einer ungewissen Zukunft, um nicht zu sagen: vor dem Nichts. Zu einem Zahlungsausfall dürfte es aber, wenn diese Krise nicht ewig dauert, nicht kommen, denn die Regierung zehrt von einem Finanzpolster, das die Vorgängerregierung angespart hat. Sie ist nicht unmittelbar auf die Finanzmärkte angewiesen. Das ist beruhigend, denn es ist nicht auszuschliessen, dass die Risikozuschläge und damit die Refinanzierungskosten steigen.