Ich habe mir die Sendung zweimal angesehen. Bei der Erstausstrahlung am späten Freitagabend, und bei der Wiederholung am Samstagnachmittag. Und ich habe meine Wahrnehmung via podcast überprüft. Weil ich sicher sein will, dass ich gehört und gesehen habe, was ich gehört und gesehen habe.
Diskussion auf Stammtisch-Niveau
Ich habe gesehen: Eine Simonetta Sommaruga, die den Text der Initiative „schludrig“ nennt, in sich widersprüchlich, schwer umsetzbar. Das ist hart, nicht leicht verdaulich, aber es geht zur Sache. Und ich habe einen Adrian Amstutz in der Verteidigung gesehen, der sehr schnell das grobe Geschütz auffährt, aggressiv gegen die Person.
Wenn Sommaruga die Initiative kritisiert, weil jede kleine Verfehlung wie ein Gewaltverbrechen automatisch zur Ausweisung führt, spricht Amstutz von „Unverfrorenheit“. Wenn Sommaruga erklärt, die Initiative sehe auch bei Kriegs- oder Foltergefahr keine Prüfung des Einzelfalls vor, verlangt Amstutz von der Vertreterin der Landesregierung, „keine Lügen zu erzählen“.
Und wenn Sommaruga Amstutz an seine Aussage erinnert, er mache „Politik mit dem Zweihänder“*, bestreitet er das Zitat (Sommaruga nimmt es sofort zurück), und zeigt sofort, wie er wirklich politisiert: “Dir verzellet eefach ee Seech am andere, Frou Bundesräti, I muess ech itz das eenisch säge...“ -
Die „Arena“ ist definitiv auf Stammtisch-Niveau** angekommen. In dieser Stammtisch-Logik erklärt sich der Täter, Adrian Amstutz, auch gleich noch zum Opfer. Er unterstellt der Bundesrätin, ihn als Person und die SVP als Partei diffamieren zu wollen.
Nun ist es Sache der SVP, ob sie eine Bundesrätin, deren Sachkompetenz und Popularität sie offenkundig fürchtet, von allem Anfang an mit persönlichen Attacken überziehen will. Denn die persönlichen Angriffe ziehen sich so konsequent durch die Voten von Adrian Amstutz, dass man nicht von einem „Spontanen Ausrutscher“ ausgehen kann.
Es ist auch Sache der SVP, ob sie den Abstimmungskampf und später den Wahlkampf nach amerikanischem Muster führen und sich selber zur Schweizer Tea-Party entwickeln will.
Unparteiisch bis zur Orientierungslosigkeit
Es hat diesen unsäglichen Ausbruch gebraucht, bis Moderator Reto Brennwald eingreift. Mit der Bemerkung: „Chömet mer wider e chli obenabe. ‚Ein Seich am andere’ isch au nit sehr charmant gsi“ (Amstutz darauf: „Es trifft halt eifach d’Wahrheit“) – und das war’s dann. Wäre ich Feminist – was ich per definitionem nicht sein kann -, würde ich fragen, was das Wort „charmant“ in diesem Zusammenhang soll. Denn es geht hier nicht um die Beziehung zwischen Mann und Frau. Es geht schlicht um den gebotenen Respekt vor einer Person, die eine demokratische Institution vertritt.
Nicht ohne politischen Grund hat der Fernsehmoderator Jon Stewart am Ende des jüngsten Wahlkampfs in den USA die „Rally to restore sanity“ organisiert, die „Versammlung für die Wiederherstellung des gesunden Menschenverstandes,“ und in seiner Abschlussrede schlicht „decency“ eingefordert, Anstand. Es geht dabei nicht um altväterische Moralvorstellungen, altbackene Anstandsregeln, sondern um Grundregeln der politischen Diskussion in einer Demokratie.
Wer auch nur einiges historische Bewusstsein hat, weiss, dass die Diffamierung des Gegners schon immer ein Mittel undemokratischer Bewegungen war und mit am Anfang politischer Katastrophen stand. Aus diesem Grund muss man von allem Anfang an gegen die Verluderung der Diskussionskultur Widerstand leisten.
Die freiheitliche Demokratie beruht auf der Anerkennung der Vielfalt, auf dem Respekt vor den verschiedenen Überzeugungen, auch und gerade von Minderheiten, und der Freiheit, sie in gegenseitiger Achtung offen zu debattieren. Daraus ergibt sich die Bedeutung von Respekt im Umgang miteinander für die Demokratie.
Im Schweizer Fernsehen, so scheint mir, fehlt dafür immer wieder das Bewusstsein. Im Bestreben, ausgewogen und unparteiisch zu sein, hat der gebührenfinanzierte Sender vergessen, dass es gegenüber Grundwerten keine Unparteilichkeit gibt. Wo die Achtung vor der Person verloren geht, wird auch die Achtung vor der demokratischen Institution, für die sie steht, bald Schaden nehmen – und die Achtung vor den freien Medien, die nicht nur Raum geben für die freie Meinungsäusserung sondern selber auf die Achtung dieser Freiheit existentiell angewiesen sind.
Die „Arena“ zur Ausschaffungsinitiative ist nicht der erste Fall. Schwerwiegender noch war die andere Geschichte, im „Club“ zur Minarett-Initiative, vor ziemlich genau einem Jahr (27.10.2009). Der Pseudo-Professor Heinz Gstrein durfte dort das Minarett als „Zeichen für die Unmenschlichkeit in der muslimischen Welt“ vergleichen mit dem „Hakenkreuz für die KZ und Hammer und Sichel für den Gulag“. Der Moderator Röbi Koller hat Gstrein kurz gerügt – und das war’s dann.
Das bedient die Logik der Provokation. Die Rüge verschafft noch ein Stück Aufmerksamkeit und belohnt so den Provokateur, anstatt ihn zu bestrafen. Und danach nimmt er weiter teil, ohne Entschuldigung, als Risikofaktor, verbaler Sprengsatz. Es fehlt den Moderator_innen des Schweizer Fernsehens offenkundig das abgesicherte Instrumentarium – im Sport-Jargon: die gelbe oder rote Karte, die Strafbank oder, im schweren Fall: der Ausschluss für die Dauer des Spiels. Im Fall des „Hakenkreuz“-Vergleichs ist das die notwendige Konsequenz, wenn man denn wirklich Grenzen setzen will. Weil man sie manchmal offenkundig setzen muss.
Denn solche Grenzen machen Sinn. Sie schützen die Menschen, die politische Aufgaben wahrnehmen. Sie schützen die Institutionen, die unsere Demokratie sichern. Sie schützen die Werte, die all dem zugrunde liegen. Sie schützen die öffentlichen Medien vor Missbrauch. Und sie schützen uns alle in unserem Recht auf Anstand und Respekt bei der Teilnahme am politischen Diskurs.
Spektakel statt Orientierung
Die „Arena“ verfolgte von Anfang an das Ziel, die politische Debatte für ein breiteres Publikum attraktiv und spannend zu machen. Das ist erwünscht, und das ist ihr gelungen.
Und die „Arena“ nutzte von Anfang an das Mittel, Aufmerksamkeit durch die Spannung zwischen den Gegensätzen zu erzeugen. Auch das ist ihr gelungen. Aber sie wird die Geister, die sie rief, nun nicht mehr los. Sie hat Spektakel gewollt und Spektakel erreicht. Und muss nun mit dem Vorwurf leben, dass sie damit zur Polarisierung der Politik in der Schweiz massgeblich beigetragen hat, und zum Erfolg der populistischen Politik der SVP.
Sie hat, und dafür ist die Ausschaffungs-„Arena“ ein Beleg, auf ihrem Weg ein wesentliches Ziel aus dem Auge verloren: dem Publikum Material zur wohl begründeten, eigenständigen Entscheidung an die Hand zu geben. Sie hat, mit akademischen Worten, die „Orientierungsfunktion“ des Mediums aufgegeben. Und das ist ein Substanzverlust.
Das kann sich nur ändern, wenn sie auch zur Sache einen Beitrag leistet. In aller Unparteilichkeit. Das verlangt allerdings den Mut, das, was entscheidbar ist, auch als entscheidbar darzustellen. Den Text der Initiative beispielsweise.
Denn nach der „Ausschaffungs-‚Arena’, wie sie lief, kann ich mich nur entscheiden für den diesmal nicht so charmanten Herrn Amstutz oder die kühl sachliche Frau Sommaruga – oder den wortreichen Herrn Leuenberger (Grüne), der zwischen beiden beinahe aufgerieben wurde. Zur Sache habe ich nichts erfahren – obwohl das Fernsehen über alle Mittel verfügt.
Auszüge aus der politischen Debatte, beispielsweise. Ich könnte dann, als Zuschauer und Staatsbürger, selber wahrnehmen, ob die SVP im Parlament und anderswo das Völkerrecht zu respektieren verspricht oder knallhart den „Tarif durchgeben“ will.
Kriminalitäts-Statistik beispielsweise. Ich könnte dann als Zuschauer und Staatsbürger selber beurteilen, ob mir die SVP-Initiative oder der Gegenvorschlag angemessen erscheint.
Und vor allem: die Texte von Initiative und Gegenvorschlag. Denn damit wird für mich als Zuschauer und Staatsbürger entscheidbar, ob der Gegenvorschlag wirklich nichts bringt oder die Initiative tatsächlich auch in jedem Bagatellfall zur Ausweisung führt.
Dafür braucht es keine grosse „Konvergenz“ sondern nur den Einsatz der bereits verfügbaren Mittel: Filmteile, Grafiken, Text-Einblender.
"Hart aber fair" macht's besser
Und wenn die Macher, die ich höre, mir entgegenhalten, das werde schwerfällig, kompliziert, langweilig, verweise ich nur auf das ARD-Programm „Hart aber fair“. Die Sendung setzt genau diese Mittel ein, läuft erfolgreich früher am Abend, und wurde unter anderem mit dem deutschen Fernsehpreis und dem Grimme-Preis ausgezeichnet.
Das würde ein Stück Substanz und ein Stück Rationalität zurück in die aufgeladene Debatte bringen. Die „Arena“ würde mir die Möglichkeit geben, selber zu prüfen, ob die Diskutanten die „Wahrheit sprechen“ oder „Lügen erzählen“ oder einfach „einen Seich“. Aber den soll der Herr Amstutz in Zukunft, bitte sehr, für sich behalten.
Belege: Politisieren “mit der Motorsäge“ wäre richtig. Adrian Amstutz hat diese Formulierung mehrfach gebraucht und in einem SVP-Dokument ausdrücklich bestätigt. Amstutz sagt selber: „Ich bin am Stammtisch aufgewachsen, das prägt meine Sprache."
Beide Zitate sind unter anderem belegt in einem Porträt der NZZ vom 28. Oktober 2010