Die AfD ist laut Umfragen nach der CDU die stärkste politische Partei in Deutschland. Entsprechend schwieriger wird ihre prinzipielle Ausgrenzung. Die CDU spricht von «Brandmauern». Wird dieses Bild dem Problem gerecht?
Bei Brandmauern denkt man an lokale Brandherde, die mit Brandmauern eingedämmt werden. Jenseits der Mauer brennt es, diesseits der Mauer nicht. Es gibt also klare Abgrenzungen. Passt dieses Bild auf die Funktionsweise der Politik und den Siegeszug der AfD?
Die Antriebskraft der Politik besteht in Wählerstimmen und Mehrheiten in den Parlamenten. Im Sinne einer Brandmauer ist es vielleicht möglich, Agitatoren und Amtsträger der AfD radikal auszugrenzen. Gilt das aber auch für die Wähler? Könnte man im Sinne der Brandmauer sagen: Wir wollen die Stimmen von denjenigen, die sich einmal für die AfD entschieden haben, nicht mehr?
Das ergäbe keinen Sinn. Wählerstimmen sind Wählerstimmen. Entsprechend wird gesagt, dass man diese Wähler zurückgewinnen möchte. Dazu könnte aber vorerst auch gehören, dass ihre Wahlentscheidung für Kandidaten der AfD hier und da in dem Sinne respektiert wird, dass von denen nicht grundsätzlich jeder Antrag von vornherein in den Orkus gejagt wird.
In etwas einfacheren Worten sagte dies der Vorsitzende der CDU, Friedrich Merz, im Sommerinterview des ZDF am vorletzten Sonntag im August. Man müsse im Zweifelsfall die Wahl eines Landrates respektieren und könne nicht alles, was dieser verwirklichen wolle, prinzipiell verwerfen. Er erntete damit einen Sturm der Entrüstung insbesondere innerhalb seiner Partei. Prompt bekannte er sich wieder zur «Brandmauer». Aber das Bild ist falsch. Denn die Lage ist viel übler:
Die AfD ist kein lokales Phänomen, das man mit einer «Brandmauer» eindämmen könnte. Die AfD ist ein Gift, das an vielen Orten wirkt, nicht nur in Hochburgen der AfD in gewissen östlich gelegenen deutschen Bundesländern. Sie ist ein Gift, das seine Komponenten aus der Nazi-Vergangenheit Deutschlands saugt und mit völkischen Ressentiments aus der Gegenwart auffrischt. Der AfD-Parteitag in Magdeburg vom vergangenen Wochenende war ein Triumph der tobenden Meute. Europa und damit Deutschland soll moralisch, ethnisch und geografisch zu einer Festung werden. Das Ganze vorgetragen von bizarren Personen, die man für einen Witz halten könnte, wenn sie mit ihren törichten Sprüche nicht so unabweisbar klar dokumentiert worden wären.
Um die Wirkungsweise dieses Giftes zu verstehen, ist es gut, sich klarzumachen, dass die parlamentarische Demokratie auf Respekt beruht. Die Verfahren der Wahlen und der parlamentarischen Auseinandersetzungen beruhen auf der Voraussetzung, dass es unterschiedlichste Meinungen geben kann, die aber prinzipiell zu respektieren sind. Sie alle sind den Regeln demokratischer Abstimmungen unterworfen. Aber auch der unterlegenen Position gebührt Respekt. Die AfD aber pfeift auf Respekt:
Der Nestor der AfD, Alexander Gauland, einst ein zu Recht hoch angesehener konservativer Politiker und Theoretiker, hat bereits im September 2017 vor dem Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag diesen demokratischen Konsens in Bezug auf die im Bundestag vertretenen Parteien mit den Worten aufgekündigt: «Wir werden sie jagen.» Das ist eine Kriegserklärung an den demokratischen Respekt. Sie beruht auf dem nationalsozialistischen Erbe dieser Partei. Und es versteht sich von selbst, dass sie sich damit ausserhalb des demokratisch Tolerierbaren stellt.
Diese dramatische Herausforderung trifft auf das Problem der erkennbaren Ratlosigkeit der politischen und administrativen Institutionen. Sie haben ein geschwächtes Immunsystem. Für das wichtigste Thema der Migration fehlen trotz jahrzehntelangen Ringens der europäischen Regierungen auch nur Ansätze für Lösungen. Vor Ort protestieren Anwohner gegen immer neue Containerdörfer für die Ankömmlinge. Die AfD nimmt diese Proteste gerne auf. Im Grunde ist die AfD nichts anderes als ein Symptom für nicht bewältigte Komplexität.
Das sollten die demokratischen Parteien begreifen. Es geht nicht darum, «Brandmauern» hochzuziehen und zu verteidigen, sondern Gifte zu bekämpfen, indem man Gegengifte produziert. In allererster Linie müssen diese Gegengifte in überzeugenden Konzepten für die drängendsten Lebensprobleme der Wähler bestehen. Aus Kompetenz entsteht Souveränität. Aus dieser Souveränität heraus mag dann auch einmal der unabweisbar sinnvolle Antrag eines von der AfD installierten Landrats Zustimmung erfahren, aber zugleich könnte gesagt werden: «Eigentlich sind Sie ein ganz vernünftiger Mensch, aber wieso hängen Sie völlig abstrusen Ideen an?» – Aber man soll sich nicht täuschen: Unsere politische Kultur steht mit den rechten Populisten europäisch und weltweit an einer Schwelle, die alles in den Abgrund reissen kann. Brandmauern und Abgrenzungen verweisen auch auf die Not der Vernünftigen und Wohlmeinenden. Man lese nur einmal Werke über die Geschichte des 20. Jahrhunderts.