Solche Gegenkräfte gehen auf die in der Theorie der internationalen Beziehungen altbekannten Faktoren Geographie, Geschichte und Ideologie zurück. Ein paar aktuelle Beispiele:
Kein asiatischer Dreiergipfel in Sotschi
Unmittelbar bevor in Sotschi die ersten Medaillen vergeben wurden, fand dort ein potentiell noch wichtigeres Ereignis statt als dies Olympiasiege darstellen. Im Rahmen eines politischen Reigens mit der asiatischen Welt traf Gastgeber Putin bilateral mit dem chinesischen Präsidenten sowie dem japanischen Premierminister zusammen, welche im Gegensatz zu den bewusst ferngebliebenen westlichen Spitzenpolitiker offiziell zur Ermunterung der Athleten ihres Landes anreisten.Wie das ja übrigens kurz vor dem Abstimmungswochenende auch der schweizerische Bundespräsident tat.
Der gegenwärtige Stand im Kräftedreieck China - Russland - Japan hat sich dabei insofern bestätigt, als Xi öffentlich und nachdrücklich ein Treffen mit Abe ausschloss. China und Russland rücken zusammen, um den USA, und deren militärisch und wirtschaftlich wichtigstem Verbündeten in der Region, Japan, besser entgegnen zu können. Gelingt es der neuen chinesischen Führung also, traditionelle Reibungsflächen mit dem grossen Nachbarn im Norden zugunsten von Gemeinsamkeiten vergessen zu machen?
Russisch-chinesische Grenze mit Bruchlinien
Auf den ersten Blick haben Putin und XI tatsächlich vieles gemeinsam. Beide sind redegewandt und fit im Gegensatz zur hölzernen Gerontokratie vor ihnen und als typische Vertreter von autoritären Einparteiensysteme bedacht, ihre beiden Länder an den von ihnen und und ihren Landsleuten als selbstverständlich angesehenen Spitzenplatz unter den Nationen zurückzuführen. China nach drei Jahrhunderte dauernder Erniederung durch den Westen, Russland nach drei Jahrzehnten des Niedergangs seit der Implosion der Sowjetunion.
Was sich indes zwischen China und Russland im Vergleich zur Vergangenheit nicht geändert hat, sind mehrere tausend Kilometer gemeinsamer Grenze von Wladiwostok am Pazifik bis zum Vierländereck mit Afghanistan und Pakistan. Dort stehen im Norden fünf Millionen Russen - sowie vier Millionen Mongolen in ihrer heute selbständigen Republik - rund 100 Millionen Chinesen im Süden gegenüber. Letzteren fehlen die in Sibirien im Überfluss vorhandenen Rohstoffe und Raum, welche sie sich in einer friedlichen Invasion von Arbeit und Kapital in Form von riesigen Landwirtschaftsbetrieben, langfristigen Lieferverträgen für Öl und Gas und auch direkter Beteiligung an Fördergesellschaften jenseits ihrer Nordgrenze holen. 1970 haben solche Ungleichgewichte letztmals zum offenen Krieg zwischen China und der UdSSR geführt. Eine Wiederholung ist im Moment wenig wahrscheinlich, Kontroversen und Spannungen sind aber vorprogrammiert, in dieser Region voll von Bruchlinien ethnischer und religiöser Natur, welche wir im Westen oft übersehen.
Fliehkräfte im Kaukasus und in Südostasien
In Sotschi, weiter im Süden hat es ja die olympische Spiele 2014 gebraucht, um an den 150. Jahrestag der zaristischen Unterwerfung des gesamten Kaukasus’ zu erinnern. Das grausame Ende des damaligen Aufstandes der Tscherkessen ausgerechnet am Ort, wo im Moment die alpinen Disziplinen durchgeführt werden, gehört mit ins historische Panaroma vor dem die gegenwärtige Terrorismusdrohung in der Region verstanden werden muss.
Südostasien generell und Myanmar speziell kann als aktuelles Beispiel dienen, wie seine Ideologie China in der asiatischen Expansion bremst. Während der Militärdiktatur war Beijing engster Verbündeter der burmesischen Generäle, um internationale Massnahmen, etwa im Sicherheitsrat der Uno, abzuschwächen und zu unterlaufen. Genau dies wird den Chinesen vom seit ein paar Jahren demokratisch gewordenen Myanmar heute vorgeworfen, das auch damit seine wirtschaftliche Abwendung vom Reich der Mitte begründet.
Das Problem des “Ugly Chinese”
Parallel mit wachsendem Auslandengagement wird weiter das Problem des ‘Ugly Chinese’ im nichtchinesischen Asien immer virulenter. Festlandchinesen sind sich in der Folge politischer Erfahrung im eigenen Land nicht gewohnt, Entscheide demokratisch vorzubereiten und im Konsens durchzuführen. Entsprechend unbeliebt machen sie sich mit abruptem Befehlston sobald sie in einem nichtautoritären Umfeld tätig sind. Es gibt heute kaum mehr ein Land in Asien-Pazifik, wo einheimische Gesprächspartner nicht informell einen scharfen Unterschied machen zwischen entsandten Festlandchinesen, mit welchen man so wenig wie möglich zu tun haben will, und auf der anderen Seite assimilierten chinesischen Einwanderer sowie Chinesen aus Hongkong und Taiwan, mit welchen man seit langer Zeit im Geschäft ist.
Interessant schliesslich, dass bislang Beijing der kürzlichen abrupten Entscheidung zur Erweiterung der Lufthohheit im ostchinesischen Meer keine entsprechende Erklärung für das südchinesische Meer hat folgen lassen. Der erste Entscheid richtete sich gegen Japan, welches geschichtlich und in der Folge nationalistischer Verhärtung unter Abe im Moment kontinentweit kaum Sympathien geniesst. Im südchinesischen Meer hingegen bestehen teritoriale Differenzen Chinas mit einigen ASEAN-Staaten, welche zwar weniger mächtig und wirtschaftlich stark sind als Japan, aber im südostasiatischen Herz Asiens stark verwurzelt sind und über entsprechenden Rückhalt verfügen.
Eine offene Konfrontation beispielweise mit den Philippinen kann und will sich Beijing im Moment offensichtlich nicht leisten. Eine recht scharfe Äusserung in Manila, wo der Präsident die schleichende Übernahme umstrittenen Territoriums im südchinesischen Meer durch Beijing mit der Annexion von Sudetendeutschland durch Hitler verglich, fand eine rein verbale Zurückweisung in der chinesischen Hauptstadt.
Beijings nordkoreanische Ausrede
Lithmustest, ob es Beijing mit der Beachtung grundlegender Werte sowie anderer politischer Tradition und Gesetzgebung wirklich Ernst meint, bildet in der Perspektive des nichtchinesischen Asiens aber weiterhin Nordkorea. Nach der eben erfolgten Publikation des verheerenden Berichtes des Sonderbeauftragten der Uno-Menschenrechtskommission, wo schwerste Verletzungen aller Menschenrechte belegt und der nordkoreanischen Führungsclique bis hinauf zur Spitze Anklageerhebung beim Internationalen Strafgerichtshof in Aussicht gestellt wird, fällt die Ausrede vom Nichtwissen weg. China könnte, wenn es wirklich wollte, mit Energiestopp und Subventionsentzug die verrückten Generäle, geführt von ihrem in Gümligen erzogenen Spitzbuben, morgen schon in die Knie zwingen.
Wenn einmal Beijing bereit ist, ein eher Seoul als dem Norden gleichendes vereinigtes Korea zuzulassen - durchaus so wie Gorbatschew damals keinen Widerstand gegen die Wiedervereinigung von Deutschland leistete - dann werden auch andere Nachbarn von China daran glauben, dass ein Nahverhältnis mit China nicht notwendigerweise wie in der Vergangenheit Vasallenstatus bedeuten muss.