Zwei Schweizer Filme, die vor rund vierzig Jahren die Geister zwar schieden, aber Kultstatus erlangten, erleben neu bearbeitet in den Kinos und auf DVD ihr Comeback: "Reisender Krieger" von Christian Schocher und "Stella da Falla" von Reto Andrea Savoldelli. Der Rückgriff in die Filmgeschichte offenbart unvergängliche Qualitäten,
Regelsprengender Wurf
Alles, was üblicherweise gegen einen Film spricht - die Geduld abnötigende Länge, eine Handlung mit offenem Anfang und Ende, Laiendarsteller, novemberliche Tristesse und deprimierende Drehorte -, verleiht dem "Reisenden Krieger" die irritierende Faszination. Der mit der Handkamera in Schwarzweiss realisierte und 1982 erstmals in den Kinos gezeigte Film gilt je nach Optik und Erwartung als einschläfernd, unterbelichtet und verwackelt, als einigermassen interessantes Dokument seiner Zeit oder schlicht und ergreifend als Meisterwerk.
Hier ist vom Meisterwerk die Rede. Was der Bündner Christian Schocher nach seinem weitherum hoch gelobten Erstling "Die Kinder von Furna" als dritte dokumentarische Arbeit bot, war ein kühner und regelsprengender Wurf.
Ein Reisender in Sachen Kosmetik, der Krieger heisst, fährt eines Morgens im Auto von zuhause los, wirbt quer durch die Schweiz von einem Coiffeursalon zum andern für seine Produkte, schlägt sich die Abende um die Ohren und kehrt am Ende der Woche an seinen Wohnort zurück. Es herrscht konsequent die ereignislose Banalität. äusserlich.
Magische Regie
Die zunächst nervenden, dann sich kunstvoll zur Spannung steigernden eintönigen Tagesläufe dienen als Rahmen für die schonungslos genaue Beobachtung der Bewegungen Kriegers und seiner Begegnungen mit Kunden und Zufallsbekanntschaften. Der Zuschauer wird in die Haut des Reisenden versetzt und zum unmittelbaren Zeugen, der mitfühlt und mitleidet. Das ist die Leistung einer magischen Regie.
Sie lenkt die Laien als authentische und grossartig spielende Darsteller und lässt sie in einer im Schweizer Film kaum je hörbaren Echtheit sprechen.
Gleichzeitigkeit zweier Schweizen
Die Reise Kriegers ist eine so packende wie traurig stimmende Reise durch unsere Städte und Landschaften ohne Sonnenstrahl und Schönheit, ohne Freude und Perspektiven. Mit keinem der Menschen, die Krieger über den Weg laufen, möchten wir tauschen. Die Subjekte und ihre Beziehungen zueinander sowie die Häuser, Strassen, Parkplätze und Lokale befinden sich im Übergang von miefig und beschädigt zu kaputt.
Wir sehen eine von Christian Schocher und seinem Kameramann Clemens Klopfenstein festgehaltene Schweiz als fiktionale Dokumentation einer apokalyptischen Realität. Für einen Teil der Bevölkerung ist es ihr Land und ihr Leben, für den anderen ein fremdes Land und unvertrautes Leben.
Die Gleichzeitigkeit zweier Schweizen, der verfilmten defekten vor der mitgedachten heilen, der trostlosen und der hoffnugnsvollen, ist ein inszenatorisches Meisterstück. Es fährt ein. Heute wie damals.
Versprechen mit abruptem Ende
Als der Solothurner Reto Andrea Savoldelli 1972 mit "Stella da Falla" Staunen und Bewunderung auslöste, war auch gleich die Neugier geweckt, mit welchen Überraschungen der nächste Spielfilm aufwarten würde.
Dazu kam es nicht. Nach dem eindrücklichen Filmgedicht "Lydia" und dem weiteren kinematographischen Versprechen "Stella da Falla" beendete Reto Andrea Savoldelli knapp 25jährig das Filmschaffen. Es bleibt ungeklärt, ob der Grund bei der Verweigerung lag, sein drittes Projekt zu fördern, oder bei der Anziehungskraft der Antroposophie, die den künftigen Berufsweg bestimmte.
Abenteuerliche Selbstfindung
Aber von seinen beiden Filmen löste sich der Regisseur nie. Er brachte sie jetzt auf einer DVD neu heraus; auch kinoseitig meldete sich Interesse. Die einst in die Zukunft gerichtete Frage, womit Reto Andrea Savoldelli den Schweizer Film noch bereichern würde, kehrt sich um zur Frage, worauf wir zu verzichten hatten.
"Stella da Falla" mit dem Kameramann Jacques Sandoz befreite sich von den gestalterischen und thematischen Konventionen, war sich egozentrisch, wenn nicht gar narzistisch Thema genug, schlug über sämtliche narrativen Stränge und setzte die Ordnung von Zeiten und Orten ausser Kraft.
Reto Andrea Savoldelli als sein eigener Darsteller des in der Elfensprache redenden Elimas abenteuert quer durch Europa und vom 14. Jahrhundert in die Gegenwart, sucht himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt die Welt und in dieser sich selber.
Schöne Spekulation
Jeder, der den Film sah, deutete ihn anders. Es wurde auf Sinn und Unsinn geschlossen, auf Übersinn und Wahnsinn und auf alles mit unterschiedlicher Gewichtung zugleich. Einigkeit bestand im Befund, hier demonstriere ein Regisseur sein Potenzial als unbekümmerter und unabhängiger Filmdichter, der nicht bloss ein Werk ablieferte, sondern den Beweis einer aussergewöhnlichen Begabung.
Ihre kontinuierliche Entfaltung hätte den Schweizer Film wohl kreativ beflügelt , ihn ums Poetische erweitert und zur künstlerischen Radikalität ermutigt. "Stella da Falla" erlaubt das schöne Spekulieren.