Gewiss, gewiss – es war nicht der geeignete Moment, am letzten Mittwoch diese paar kleinen Karikaturen auf der letzten Seite zu veröffentlichen - die kaum jemand gesehen hat, über die sich aber alle empören.
Schliesslich war die immer wieder bemühte, so genannte „muslimische Welt“ seit Tagen in Aufruhr - auch wenn es hier nur ein paar Hundert und dort nur ein paar Tausend waren, die sich wie eine Herde brav auf ein paar westliche Symbole stürzten, weil irgend ein radikal-islamistischer Zirkel einen schwachsinnigen Film über den Propheten der Muslime ausgegraben und ihn ins Internet gestellt hatte. Ein Film, der schon seit geraumer Zeit existierte, aber von niemandem wahrgenommen worden war, weil er nun mal so erbärmlich schlecht und dümmlich und keinem Publikum zuzumuten ist.
Angesichts der Wut demonstrierender Fundamentalisten war der Westen wieder einmal „tief besorgt“. Da las selbst Daniel Cohn-Bendit den Freunden von Charlie Hébdo die Leviten. „Wenn man auf einem Pulverfass sitzt, hat man immer noch ein paar Sekunden, um nachzudenken, ob man das Streichholz anzündet oder nicht“, deklarierte der grün-alternative Deutschfranzose. Und hatte damit sicher nicht ganz unrecht.
Zudem waren die Karikaturen, die allesamt nichts anderes sind als Kommentare zu dem unsäglich schlechten Film eines koptischen Ägypters aus den USA, dummerweise auch nicht sonderlich gelungen.
Nicht eine einzige provozierte diesen sonst so oft erlebten spontanen, befreienden Ausbruch eines Lachens. Die beste ist vielleicht noch die, die auf den Godard Film „Die Verachtung“ anspielt, in dem sich vor einem halben Jahrhundert Brigitte Bardot bäuchlings und entkleidet auf einem Bett räkelte und Michel Piccoli die Frage zuwarf: „Und meinen Hintern, findest du ihn schön?“ In der Karikatur kniet unter eben diesem Zitat Mohammed mit hochgerecktem Hinterteil vor einem erschreckt blickenden Jean-Luc Godard – mehr nicht.
Und deswegen also all dieser Lärm und zugleich diese Verzagtheit, ja Ängstlichkeit, nicht mal so sehr in Frankreich, mehr noch in deutschsprachigen Ländern. Selbst die Überschriften der Agenturmeldungen von dort transportieren in den letzten Tage im Unterton permanent den Vorwurf der Verantwortungslosigkeit gegenüber „Charlie Hébdo“ und unterschwelliges Verständnis für die organisierte Empörung in der so genannten islamischen Welt.
Der einsame Direktor
Charb, der Direktor von Charlie Hébdo, verdient Respekt. Wie er da steht, vor den Kollegen der nationalen und internationalen Presse, die ihn hysterisch aus dem Schlaf gerissen haben und mit bewundernswerter Gemütsruhe, höflich aber sehr bestimmt, Rede und Antwort steht. Den Kollegen im Morgengrauen zunächst mal in die Kameras sagt: „Wenn es um den Islam geht, ist es nie der richtige Moment, Karikaturen zu machen. Wenn es keinen aktuellen Anlass gibt, wirft man uns vor, das Thema anzuheizen oder wieder aufzuwärmen. Und wenn es eine Aktualität gibt, wie jetzt, heisst es, ihr giesst Öl ins Feuer.“
Und dann sagt er, in seinem gestreiften T-Shirt, mit dem freundlichen Blick hinter den Brillengläsern und dem Aussehen eines erfahrenen Landarztes, der sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt, noch den ganz wichtigen Satz: „Wenn man anfängt, ständig zu sagen, man hat Angst, dann kann man es gleich bleiben lassen, dann ist Schluss mit der Karikatur und mit der unabhängigen Presse und dann ist auch Schluss mit der Pressefreiheit.“
Ein Satz, den sich in der Hektik wohl keiner der aufgeregten Kollegen auf der anderen Seite der Kameraobjektive hat genügend durch den Kopf gehen lassen. Und wahrscheinlich hat sich auch keiner an das Motto der anderen, fast 100 Jahre alten französischen Satirezeitung, „Le Canard Enchaîné“ erinnert, das da lautet: „Die Pressefreiheit nützt sich nur ab, wenn man sich ihrer nicht bedient.“
Gotteslästerung – nicht strafbar
Charb tut gut. Weil er mitten im hysterischen Geschrei der Medien und gegen eine Vielzahl gewichtiger Stimmen in Frankreich sich seelenruhig hinstellt und fragt: „Freunde, überlegt doch mal, wo sind wir denn eigentlich?“
Und wissen will, wie es denn sein könne, dass er sich hier zu rechtfertigen habe, quasi als Schuldiger am Pranger steht, wo er mit seinen Zeichen – und Filzstiften doch niemanden umgebracht habe, während irgendwelche hirnlosen Fanatiker gewaltsamst demonstrieren und sogar morden, nur weil eine obskure, radikal-islamistische Einheit einen dümmlichen Film über Mohammed ausgegraben hat und die Empörung darüber inszeniert und organisiert.
Nebenbei bemerkt, und man schreibe sich das hinter die Ohren: Gotteslästerung ist in Frankreich kein Verbrechen, noch nicht mal ein Vergehen!
Charb, ein wenig erschrocken und enttäuscht über die geringe Unterstützung vonseiten der Kollegen, der Medien oder der Politik, erinnerte dann auch noch ganz beiläufig daran, dass ein gewisser François Hollande 2007 aus Solidarität mit Charlie Hébdo bei einem Prozess erschienen war, den damals französische Moslemorganisationen gegen die Satirezeitschrift angestrengt hatten, weil das Blatt – wie selbstverständlich – einige der berühmten Mohammed-Karikaturen der dänischen Kollegen nachgedruckt hatte. Vor fünf Jahren durfte sich „Charlie Hébdo“ noch breiter Zustimmung der gesamten französischen Gutmenschenschaft sicher sein. Dem ist heute offensichtlich nicht mehr so.
Eine alte Geschichte
Dabei ist „Charlie Hébdo“ nicht irgendein Käseblatt. Es hatte seine legendäre Geburtsstunde bereits im Jahr 1970. Die Macher und Mitarbeiter dieser Neugeburt hatten damals, noch wenige Wochen davor, für eine andere satirische Zeitung gearbeitet – „Hara Kiri“, die nach zehnjährigem Bestehen im November 1970 ihrem Erscheinen ein Ende machte, und zwar mit einem Titel, an den sich heute noch jeder Franzose über 50 erinnert. Als General De Gaulle in jenem Jahr 1970 starb, stand auf der ersten Seite von "Hara Kiri" in dicken Lettern: „Tragischer Ball in Colombey-les-Deux-Eglises - 1 Toter“ - in der Woche darauf war die Zeitung verboten, erschien aber de facto als „Charlie Hébdo“ schon bald erneut. Zum Verständnis der Titels muss man wissen, dass in der Woche vor De Gaulles Tod Frankreichs Zeitungen voll gewesen waren mit reisserischen Titeln über ein tragisches Ereignis in einem Tanzsaal im Departement Isère, wo bei einem Brand 146 Menschen ums Leben gekommen waren.
„Charlie Hébdo“, der würdige Nachfolger von „Hara Kiri“, war zwischenzeitlich wieder eingestellt worden, ist in seiner jetzigen Form aber bereits seit über 20 Jahren mit einer wöchentlichen Auflage von rund 50‘000 in den Zeitungsgeschäften – diesen Mittwoch erscheint die Nummer 1085.
Tristes Spektakel
Mit Sicherheit wird sich „Charlie Hébdo“ über das traurige Spektakel lustig machen, das die französische Regierung und die französischen Medien in dieser Woche abgegeben haben. Als stünde die Sintflut bevor, als wäre die Republik und unser aller Wohlsein in Gefahr, demonstrierte von politischer Seite der neue Sarkozy-Verschnitt, Innenminister Manuel Valls, Stärke und liess mit hochgerecktem Kinn jede Demonstration gegen das Erscheinen der Mohammed-Karikaturen schlicht verbieten.
Dies ist durchaus keine Kleinigkeit, sondern eine absolute Ausnahme – von jährlich über 6000 angemeldeten Demonstrationen wird im Schnitt bestenfalls eine verboten. Man darf sich schon fragen, was Frankreichs Muslime dabei empfinden, wenn sie die grossen Worte vom Recht auf freie Meinungsäusserung hören und dann durch eine absolute Ausnahmeregelung am Demonstrieren gehindert werden, ja schlimmer noch.
An dem Samstag, für den ursprünglich die Demonstrationen angekündigt waren, hatte die Regierung schwerstes Geschütz auffahren lassen, an den Orten, die in Sozialnetzwerken als Treffpunkt genannt worden waren: 30 Fahrzeuge der Bereitschaftspolizei allein am Pariser Trocadero, an dem sich, nebenbei gesagt, der „Platz der Menschenrechte“ befindet. Und da die über 200 wie für den Bürgerkrieg ausgerüsteten Einsatzkräfte den Nachmittag über wegen ausbleibender Demonstranten nichts zu tun hatten, kontrollierten sie alles und jeden, der irgendwie nach Nordafrikaner aussah – darunter auch Kopftuch tragende 60-jährige Mütter, die mit ihren Töchtern als Touristen gekommen waren, um vom Trocadero den berühmten Blick auf den Eifelturm zu werfen. Von Polizisten umringt wurden sie zur Personenkontrolle in eines der Einsatzfahrzeuge gebracht –unsensibler und peinlicher ging es kaum.
Den Vogel der Lächerlichkeit aber haben Polizei und Presse in Marseille abgeschossen. Dort erschien ein einziger Mann – derjenige, der zur Demonstration aufgerufen hatte – sagte ein paar Worte zu ein paar Passanten und klebte drei Aufkleber an Hauswände - begleitet von 60 Polizisten, einem kreisenden Hubschrauber und 30 Journalisten. Ihn hat man wenigstens in Ruhe wieder ziehen lassen, ohne seine Identität zu kontrollieren.
Frankreichs Medien haben im Vorfeld der Freitagsgebete in den Moscheen und der möglichen Demonstrationen am Samstag tagelang etwas betrieben, was ein Kollege den „präventiven Journalismus“ nannte - nämlich endlos über etwas berichtet, was vielleicht geschehen könnte und damit nichts anderes getan, als die allgemeine Hysterie kräftig am Köcheln zu halten.
„Wie war das noch schön vor 30 Jahren “, stöhnte dieser Tage ein Freund mit Nostalgie in der Stimme, „als uns all diese Religionen mit ihrem Getöse in Ruhe gelassen haben.“
Recht hat er. Die Luft war leichter, man atmete wesentlich besser und fühlte sich eindeutig …. freier – Religion war Privatsache und damit basta.
Glanz des Islam
Vielleicht hätte man die Journalistenschar, all die engstirnigen Islamisten und Frankreichs extreme Rechte, die sich dieser Tage natürlich auch wieder laut zu Wort gemeldet hat, einfach in den Pariser Louvre schicken sollen, in die neu eröffnete Abteilung „Kunst des Islam“. Die von Literaturnobelpreisträger Le Clézio als „Museum der Welt“ bezeichnete Einrichtung hat mit dieser neuen Abteilung unter einem Meisterwerk zeitgenössischer Architektur im Visconti-Innenhof eine seit Jahrzehnten unverzeihliche Lücke geschlossen. Eine der grössten und schönsten Sammlungen islamischer Kunst mit rund 18‘000 Objekten, die bislang fast ausschliesslich in den Depots lag, hat jetzt endlich den ihr gebührenden Platz gefunden.
All die von der Aktualität verwirrten und verängstigten Geister könnten sich dort vergegenwärtigen, was die Zivilisation des Islam von Spanien bis Indien auf drei Kontinenten und im Laufe von zwölf Jahrhunderten an Schönheit und wohlgemerkt profaner Kunst hervorgebracht hat. Die Verantwortlichen des Louvre schienen in aller Diskretion zurecht stolz darauf, der redundanten Aktualität eine Zivilisation – und nicht eine Religion - entgegenhalten zu können, die Jahrhunderte lang von Offenheit und Toleranz gekennzeichnet war, eine Zivilisation, zu der unterschiedlichste Volksgruppen ihren Teil beigetragen haben und in der, etwa im Syrien des 12. Jahrhunderts oder im Ägypten des 15. Jahrhunderts, die Bevölkerung noch mehrheitlich christlich war.
Als Frankreichs Staatspräsident die neue Abteilung des Louvre eröffnete, fand er sich beim Familienfoto vor einem riesigen syrischen Mosaik aus dem 8. Jahrhundert wieder, umgeben von einer Reihe von Würdenträgern aus dem Mittleren Osten, deren Staaten rund 40 der insgesamt 100 Millionen Euro Baukosten übernommen hatten. Der grösste Check kam von einer Stiftung des Königreichs Saudi-Arabien, Hort des Salafismus. Theologen dort sollen in letzter Zeit ihren Anhängern in Frankreich grünes Licht gegeben haben, sich besser zu organisieren und sich in der Öffentlichkeit stärker bemerkbar zu machen. Davon war bei der feierlichen Eröffnung der Louvre-Abteilung natürlich nicht die Rede.
Joseph Anton
Und wem nach diesem Louvre-Besuch noch Zeit bleibt, sollte sich so schnell wie möglich über Salman Rushdies dieser Tage erschienenen Autobiographie hermachen. „Joseph Anton“ hat der seit 23 Jahren Verfolgte sie genannt. Ein Namen, entliehen bei Joseph Conrad und Anton Tschechow, den sich Rushdie in den Jahren seines verborgenen Lebens gegeben hatte, er, der das schreckliche Privileg hat, das erste Opfer der Hysterie und des Wahnsinns geworden zu sein, mit dem radikale Islamisten heute die westliche Welt verschrecken.
Ein Buch, so schreibt der Kritiker von Le Monde, der Rushdie vor zwei Wochen in London getroffen hat, das unter anderem das Verdienst hat, den momentanen Aufruhr zwischen Karachi und Dakar in einen historischen Kontext zu stellen und zeigt, dass das heute Erlebte sich schon vor einem Vierteljahrhundert abzuzeichnen begann – und der sogenannte Westen ziemlich blauäugig und allzu friedlich, die Augen zugedrückt oder gar gründlich geschlafen hat.