Sie sind überall: an Mauern, Häusern, Zügen. Fast alle davon sind heimliche Sprayereien, entstanden als Markierungen städtisch-vorstädtischer Jugendszenen und Einzelkämpfer. Längst sind Graffitis sozial- und kulturwissenschaftlich erforscht, kunsttheoretisch verortet und in hochfliegenden Diskursen diverser Disziplinen als Signaturen lebendiger Urbanität nobilitiert. Etliche anonyme Stars der Szene geniessen in Sozialen Medien einen Heldenstatus. Fotos und Videos ihrer Hervorbringungen gehen viral. Die gesprühten Schriften und Bilder, die mit dicken Filzern hingeworfenen Tags haben einen subkulturellen Chic, der in entsprechenden Marktsegmenten rege genutzt wird. Wer sich angesichts der sozialen, intellektuellen und kommerziellen Normalisierung des Phänomens über Graffitis noch aufregt, liegt völlig neben dem Zeitgeist.
Zwei Einwände bleiben in dieser behaupteten Normalität stets ausgeblendet. Der erste ist banal: Graffitis sind praktisch ausnahmslos gesetzeswidrige Sachbeschädigungen. Die Kosten zu ihrer Behebung gehen in die Millionen. Nicht selten kapitulieren die Geschädigten vor dem Aufwand, oder sie treten nach diversen vergeblichen Reinigungsaktionen die Flucht nach vorn an und geben ein flächendeckendes professionelles Graffiti in Auftrag – in der Hoffnung, dieses werde dann von der Spray-Guerilla respektiert.
Betrifft der erste Einwand „nur“ die geschädigten Eigentümer, so geht der zweite alle an: Graffitis sind praktisch ausnahmslos hässlich. Hatten ihre Urahnen – Harald Naegelis Ende der 70er Jahre in Zürich gesprayte Strichzeichnungen – noch ironische und poetische Qualitäten, so sind selbst die handwerklich gekonnt ausgeführten Sprays (über die Masse der dilettantischen Schmierereien braucht man nicht zu diskutieren) nichts weiter als aufdringliche, grelle Mitteilungen des Inhalts: Ich war da, und man hat mich nicht erwischt. Graffitis kennen nur den Modus der vollen Lautstärke. Sie sind quasi mit dem Knüppel gemalt. Ihre Formen sind aggressiv und leer. Was sie ausdrücken, schwankt zwischen dem Kindischen und Pubertären.
Über Graffitis hinwegsehen kann man nicht. Alles, was ein Bild ist, fordert und findet Aufmerksamkeit. Darin liegt auch die Gratifikation, um die es den Sprayern geht. Sie erhalten diese zwar anonym, aber fast gratis. Deshalb werden wir die Seuche der Graffitis so bald nicht loswerden. Hoffen kann man allein auf die Vergänglichkeit aller Moden.