Es entbehrt nicht der Ironie, dass Jeff Bezos, Gründer von Amazon und Besitzer der «Washington Post», Ziel einer Schmierenkampagne des Boulevardblatts «National Enquirer» ist. Ironisch ist das deshalb, weil Bezos, mit einem geschätzten Vermögen von rund 130 Milliarden Dollar, einer jener reichen Mäzene ist, die den seriösen Journalismus in Amerika vor dem Untergang bewahren wollen. Und weil «The National Enquirer», der mit grellen Schlagzeilen an den Kassen von Supermärkten zum Verkauf aufliegt, der «New York Times» zufolge vielleicht das einflussreichste Presseprodukt des Landes ist.
So hat das Blatt bei der Präsidentenwahl 2016 nachweislich Donald Trump unterstützt, indem es für den Kandidaten unvorteilhafte Geschichten vom Markt kaufte und sie unveröffentlicht verfaulen liess: «Catch and kill». Über Trump wurde nur Gutes berichtet, d. h. nichts über seine dubiosen Affären, Praktiken und Konkurse. Über Konkurrentin Hillary Clinton, deren Tod die Zeitung prophezeite, dagegen nur Schlechtes: «Hillary: Korrupt! Rassistisch! Kriminell!». Dabei wäre der grossmäulige Bauunternehmer aus Queens eigentlich der Traum jedes auch nur halbwegs cleveren Blattmachers gewesen.
Jetzt aber ist das Boulevardblatt wohl zu weit gegangen. «Die zweitschlechteste Entscheidung der vergangenen zwölf Monate war es, dass der reichste Mann der Welt Bilder seiner Genitalien verschickt hat», zitiert «Times»-Kolumnistin Maureen Dowd den Autor eines Buches über Amazon: «Die dümmste Entscheidung traf A. M. I. (American Media, Inc., die Firma, der «The National Enquirer» gehört), als sie beschloss, zu versuchen, den reichsten Mann der Welt via E-Mail zu erpressen. Dumm und dümmer. A. M. I. gibt es als Unternehmen nicht mehr. Sie wissen es nur noch nicht.» Dass Donald Trump das Blatt, mit dessen Verleger er eng befreundet ist, für die Veröffentlichung des vertraulichen Materials über Jeff Bezos überschwänglich lobte, überrascht kaum.
Gleichzeitig entbehrt es nicht der Ironie, dass die Boulevardzeitung mit der Veröffentlichung persönlicher E-Mails und Handy-Bilder in die Privatsphäre jenes Mannes eindringt, dessen Unternehmen mit der US-Regierung kooperiert, um laut Enthüllungsplattform «The Intercept» einen «immer invasiveren, militarisierten und wuchernden Überwachungsstaat» aufzubauen. Unter anderem hilft die auf künstlicher Intelligenz beruhende «Rekognition»-Software von Amazon dem Pentagon und dem Geheimdienst NSA bei der Etablierung eines Gesichtserkennungsprogramms, mit dessen Hilfe Behörden und Polizeistellen einzelne Gesichter gegen Speicher von Datenbanken mit Millionen von Gesichtern abzugleichen vermögen. Und das gleichzeitig Autokraten und Diktatoren missbrauchen können, um aufmüpfige Bevölkerungen zu unterdrücken.
Ironisch ist auch, dass einzelne Stimmen nicht ausschliessen, dass es unter Umständen die NSA, das FBI oder eine andere staatliche Stelle war, die das belastende Material gegen Jeff Bezos beschafft hat – auf Geheiss von oben und aus politischen Gründen, um dem unliebsamen Besitzer der «Amazon Washington Post» (Donald Trump) eins auszuwischen. Auf jeden Fall benutzt die NSA ein Programm, das es dem Geheimdienst erlaubt, die sexuellen Aktivitäten radikaler oder vermeintlich radikaler Bürger online zu verfolgen, um im Bedarfsfall ihrem Ruf schaden zu können.
Auszuschliessen ist ferner nicht, dass ein ausländischer Geheimdienst Jeff Bezos ausspioniert hat. In Frage käme etwa der saudische Dienst, dessen Chef, Kronprinz Mohammed bin Salman, sowohl gute Beziehungen zum Weissen Haus als auch zum «National Enquirer» unterhält. Im vergangenen Jahr veröffentlichte das Blatt eine 97-seitige Beilage, welche die engen Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Donald Trump pries und das Königreich trotz dessen Missachtung von Menschenrechten unverhüllt als «Magic Kingdom» beschrieb.
Sonst als verschlossen verschrien, verdient Jeff Bezos heute Anerkennung, weil er sich nicht auf den Erpressungsversuch des «National Enquirer» eingelassen hat und seinerseits in die Offensive gegangen ist: «Ich ziehe es vor, aufrecht zu bleiben, diesen Holzstamm umzudrehen und zu schauen, was da hervorkriecht.» Er fühle sich, hat der Unternehmer verlauten lassen, stellvertretend für andere Opfer von Internet-Kriminalität dazu verpflichtet: «Wenn ich es mir in meiner Position nicht erlauben kann, mich gegen diese Art von Erpressung zu wehren, wer kann es dann?» Inzwischen haben sich auch Bundesstaatsanwälte des Falles angenommen, für den es, was A. M. I. betrifft, mindestens drei Präzedenzen gibt.
In einer Zeit, da der Präsident der Vereinigten Staaten legitime Nachrichtenorganisationen wiederholt als «Feinde des Volkes» angreift, weil sie ihren Job tun, gilt es laut «Washington Post» das Offensichtliche festzuhalten: «Es gibt in der Tat einen Unterschied zwischen realen Nachrichten und Fake News. Nun ist es einfach so, dass der Lieblingsherausgeber des Präsidenten auf der falschen Seite dieses tiefen Grabens steht.» Jeff Bezos selbst wollte auf Anfrage der «Post» hin den Fall nicht mehr kommentieren.