Die Solothurner Filmtage waren dem Schweizer Film einst das leidenschaftlich genutzte Forum, die politische Arena mit vulkanischen Funkenschlägen und die unverzichtbare Werkschau, die sowohl neue Filme präsentierte als auch im scharfen Wettbewerb der Ideen dazu beitrug, den neuen Schweizer Film zu entwickeln und ihm zur Bedeutung zu verhelfen. Die Filmgilde Solothurn förderte mit der 1966 erstmals durchgeführten Veranstaltung den Schweizer Film über weite Strecken nachhaltiger als die öffentliche Hand. Diese Wirkung büsste Solothurn ein.
Verglitzerung und Verharmlosung
Es hielt auf dem Weg des Schweizer Films nicht mit. Er emanzipierte sich von den Filmtagen, die darauf keine intelligente Antwort fanden. Freundlich gesagt: Sie stehen da als Opfer des eigenen Erfolgs. Aus Forum, Arena und Werkschau wurde ein eingebildetes Festival vom Land. Die in den vergangenen Jahren sorgfältig eingeleiteten Massnahmen zur Verglitzerung und Verharmlosung lassen immer schönere Früchte reifen.
Sie sind auch sprachlich greifbar. Das Programm wird nicht mehr vorgestellt oder bekannt gegeben, sondern "enthüllt". Es bietet "Schweizer Filme in Hülle und Fülle". Die Menge ist das Argument und verrät den Grössenwahn. Vorbei die Zeiten, als die Filme gezeigt wurden. Jetzt "steigen sie ins Rennen" und "treten vor die Publikumsjury": die Kinos werden vermeintlich spektakulär in Sportplätze, Gerichtssäle oder Laufstege verwandelt.
Trendig statt richtungweisend
Ältere und jüngere Filmer, die sich früher in Solothurn trafen, "treffen" jetzt "aufeinander", weil Konfrontation knisternder klingt als Begegnung. Einigermassen bekannte Regisseure avancieren zu "Kultregisseuren", leidlich akzeptable Filme erhalten "Kultstatus". Dazu passt der Vorverkauf über "Starticket".
Die Ausstattung der Festivalräume nicht bloss "mit neuem", sondern mit "massgefertigtem Mobiliar" gehört samt namentlicher Nennung der Lieferfirma zu den prominenten Meldungen als Leistungsbeweis, endlich das Sein mit dem Design überwunden zu haben. Wer bisher sponserte, "beschenkt" nun "das Publikum". Der Euphemismus soll die gute Partylaune sichern.
In der Sprache spiegelt sich das neue Selbstverständnis der Filmtage, nämlich keck zu sein und nicht mehr mutig, trendig und nicht mehr richtungweisend, wichtigtuerisch und nicht mehr wichtig.
Bünzli, Ratespiele und Erotik
Auch der lustigen Stimmung gilt die pflegliche Hingabe. Die Filmtage bauten zum Jubiläum die vernetzte und vorläufig halbwegs brauchbare Online-Datenbank www.ch-film.ch auf. Sie dient dem amüsierenden "Schmökern" und nicht etwa der mühsameren Recherche und wird angepriesen mit dem Hinweis auf die Möglichkeit, nach Filmen mit dem Thema "Bünzli" zu suchen. Dieser bislang schmerzlich vermisste Vertiefungsgrad bringt die filmgeschichtliche Arbeit heiter voran.
Oberflächenglanz musste für die Jubiläumsveranstaltungen ausnahmslos genügen. Es darf vorbei an Plakaten, Fotografien und Dekormaterial durch die Geschichte der Filmtage spaziert werden. Ratespiele fordern geistig heraus. Auf Mitteilungsbedürftige ohne Facebook oder Twitter wartet die "Wunschtheke".
"Sichtungsstationen" rufen die Berichterstattung über Solothurn in Erinnerung, erhellen die veränderte "Rolle der Frau in der Filmbranche" und beantworten die so knorzig wie anatomisch verrutscht formulierte Frage "Was hat der Schweizer Film mit Erotik am Hut?".
Triumph der Beliebigkeit
Kernstück des Jubiläumsprogramms ist eine Auswahl von Filmen, die in Solothurn "besonders und kontrovers diskutiert wurden". Mit diesem vagen Kriterium verpflichtet sich "L'expérience Soleur" zu gar nichts. Berücksichtigtes und Abgelehntes lässt sich wohlfeil begründen. Die Beliebigkeit feiert einen weiteren Triumph.
Wer gehofft hatte, die 50. Filmtage würden sich historisch kompetent mit dem letzten halben Jahrhundert des Schweizer Films aus überraschend interessanten Perspektiven befassen oder dem Wahrheitsgehalt von Mythen und Legenden nachspüren, schraubte seine Ansprüche weit über Solothurns ernsthaften Willen hinaus.
Beängstigender Tiefflug
Neben den Spezialanlässen kommen die Gastgeber in der Ambassadorenstadt dem Basisauftrag nach, das aktuelle Filmschaffen im Überblick auf die Leinwände zu projizieren und aktuelle Filmprobleme zu diskutieren.
Das ist zur Routine geworden. Eine inzwischen riesig gewordene Organisation wird sie erneut wie geölt bewältigen. Was es neben den Administratoren und Logistikern dringend braucht, sind kühne kreative Köpfe, die für die Filmtage eine wieder packende Einzigartigkeit erfinden.
Einst verhalf Solothurn den Filmschaffenden unseres Landes zum Höhenflug. Vielleicht revanchieren sie sich und tragen dazu bei, dass der beängstigende Tiefflug der Filmtage nicht als Sturzflug in der Provinz endet.