Seit Jahrhunderten ist Korruption hinter den Fassaden kaiserlicher Höfe, opulenter Regierungspaläste oder grauer, seriös wirkender Verwaltungsgebäude ein irritierendes Thema für die Bevölkerung. Dass Bestechung und Bestechlichkeit in den letzten 20 Jahren in den Medien weltweit vermehrt in die Schlagzeilen gerückt sind, verdanken wir neuen, transparenzfördernden Computersystemen und Enthüllungsplattformen, Transparency International und mutigen Whistleblowern, dem Öffentlichkeitsgesetz, ebenso wie einer veränderten Wahrnehmung durch die informierte Öffentlichkeit. Nicht erst seit Katar und der Vergabe der Fussballweltmeisterschaftsendrunde 2022.
Die Gesellschaft ist gefordert
Galt Bestechlichkeit in Politik und Wirtschaft einst als eine Art natürlichen Übels, das achselzuckend zur Kenntnis genommen wurde, hat sich das inzwischen in unseren Breitengraden gründlich geändert. Grossen Anteil daran hat Transparency International (TI) www.transparency.org, resp. www.transparency.ch und deren Gründer Peter Eigen, die unermüdlich für mehr Transparenz weltweit kämpfen. Inzwischen gibt es gar eine „Ökonomie der Korruption“, die den Gründen dieses weltweiten Übels nachgeht. In der globalen Korruptionsrangliste der TI, die 172 Länder umfasst, nimmt die „integre“ Schweiz den beachtlichen 7. Rang ein. Noch besser schneiden auf den Rängen 1 + 2 Dänemark und Neuseeland ab, das Schlusslicht trägt Libyen.
Auch Uno und Weltbank engagieren sich mit Konventionen und Deklarationen aktiv an der Korruptionsbekämpfung, dem „Öffentlichen Feind Nummer eins“. Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass sich Korruption vor allem mit beherzten Reformen, die vorbehaltlos durch Politik und Justiz vorangetrieben werden, mindern lässt. Dabei kommt der Einstellung der Gesellschaft entscheidende Bedeutung zu. So werden heute auch in reichen Ländern etwa Steuerbetrug und Geldwäsche von vielen nicht mehr als Kavaliersdelikt oder isoliertes, mafiöses Phänomen beurteilt.
Von der Fifa zur Bauwirtschaft
In den letzten Jahren sind mehrere Mitglieder des Fifa-Exekutivkommitees zum Rücktritt gezwungen worden. Ihnen wurde Bestechlichkeit vorgeworfen. Während Sepp Blatter, FIFA-Präsident noch 2011 noch nichts wissen wollte von Vertrauenskrise, ist inzwischen eine unabhängige Kommission damit beauftragt, Licht ins Dunkel der Fussballwelt zu bringen.
Einer europaweiten Umfrage zufolge beziffern Firmenmanager in den EU-Ländern den angerichteten Schaden durch Korruption im öffentlichen Beschaffungswesen auf jährlich 120 Milliarden Euro. Einer relevanten Rangliste in der NZZ (4.2.2014) ist zu entnehmen, dass Griechenland und Italien nicht unerwartet am schlechtesten abschneiden, während Dänemark, Finnland und Luxemburg eine vergleichsweise weisse Weste attestiert wird.
Grosse Koalition der Korrupten
Man mag über den Populisten Beppe Grillo denken, was man will. Recht behalten hat er zweifellos mit seiner Begriffsschöpfung „Grosse Koalition der Korrupten“. In Italien, das zu beurteilen uns vielleicht eher gelingt als Griechenland, ist diese südländische Variante der „Kooperation“ mitverantwortlich für den kontinuierlichen Niedergang eines schönen Landes. Matteo Renzi, der Hoffnungsträger, sieht sich, kaum im Amt als Regierungschef, mit happigen Korruptionsfällen in Mailand und Venedig konfrontiert.
Kenner der „Italianità“ schätzen, dass da jährlich 60 Milliarden Euro in Bestechungen investiert werden. Dass diese Art von Investitionen Italien in den Abgrund reisst, ist selbstredend. Das italienische Rezept – auch in anderen Ländern adaptiert - , das seit 2000 Jahren lautlos und wie selbstverständlich funktioniert, geht so: Politiker bedienen Unternehmen mit öffentlichen Aufträgen, deren Kosten um gigantische Summen überhöht sind, damit diese als Kick-backs diskret an jene Politiker zurückgeleitet werden können. Am liebsten auf Bankkonti ennet der Landesgrenzen. Die laxe Gesetzgebung gegen Korruption fördert diese alltägliche Art von Buchführung.
Helvetischer Korruptionssumpf
Über den guten siebten Platz im internationalen Korruptionsranking können wir uns freuen. Allerdings nicht allzu laut. Bekanntlich sind auch hierzulande in letzter Zeit Fälle bekannt geworden, die nicht so recht zum selbst attestierten Sauberimage passen.
Angeführt wird diese Aufzählung von Seco (Staatssekretariat für Wirtschaft) - Bestechungsfällen, die seit 20 Jahren brodeln, obschon die Finanzkontrolle wiederholt von einer „gewissen Grosszügigkeit“ in der IT-Abteilung bei der Vergabe von Projekten berichtete. Inzwischen gelten drei Personen als Verdächtige: Ein Bundesbeamter (Seco-Ressortleiter), der VR-Präsident eines Zuger IT-Unternehmens und der Direktor derselben Firma. Es ging um Aufträge in zweistelliger Millionenhöhe, die zwischen den beiden Parteien zustande kamen. Hardware wurde zu überteuerten Preisen eingekauft und nie erbrachte Dienstleistungen verrechnet. Dieser mutmasslich korrupte Ressortleiter soll an der Costa Brava mehrere Immobilien einer Feriensiedlung besitzen.
Auch im Bundesamt für Strassen (Astra) rumort es. Hier wie dort in Zusammenhang mit den Kosten von IT-Projekten und der problematischen Abhängigkeit von einer einzigen Firma. Doch dabei bleibt es ja nicht, immer wieder werden auch Preisabsprachen unter Strassenbauern beanstandet. Inzwischen wurden deswegen 12 Zürcher Baufirmen gebüsst.
Und noch ist der Fall INSIEME in bester Erinnerung, dem Informatikdesaster der eidgenössischen Steuerverwaltung. Dort wurden die Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Beschaffungswesen auf höchster Stelle bewusst ignoriert. Dieser Fall kostete den Steuerzahler bisher 102 Millionen Franken, zurückzuführen auf Pannen und Unregelmässigkeiten bei „Ausschreibungen“, die unter der Hand vergeben wurden.
Ebenfalls dieses Jahr wurde publik, dass bei der Zentrale Ausgleichsstelle in Genf (800 Mitarbeiter, jährliche Zahlungen von über 10 Milliarden Franken), systematisch gegen das Beschaffungsrecht verstossen wurde. Deren Chefin musste inzwischen gehen. Zwar existierten interne Kontrollmechanismen, doch wurden sie auch mal „übersehen“, ausser Kraft gesetzt.
Gefährdete Whistleblower
Gleichzeitig geraten subalterne Mitwissende in eine moralische Zwickmühle. Nur zu gut wissen wir aus der Praxis, dass auch heute noch die Überbringer schlechter Nachrichten „geköpft“ werden. Stellen sie Unregelmässigkeiten fest, werden sie nicht selten geschasst. Unrühmliches Beispiel: Gegen den Mitarbeiter, der den Fall ZAS (siehe oben) ins Rollen brachte, ermittelt nun die Justiz. Sollen so Kritiker zum Schweigen gebracht werden?
Vielleicht könnte hier eine unabhängige Ombudsstelle des Bundes die völlig unbefriedigende Situation solcher Whistleblower verbessern, im Interessen der Steuerzahler? Doch offensichtlich wehren sich Verantwortliche nicht nur gegen die neue Transparenz des Öffentlichkeitsgesetzes, sondern auch die Ressorts gegen Einblicke von aussen.
114 A4-Ordner voller Akten im BVK-Skandal
Der etwas in Vergessenheit geratene Bestechungsfall in der Beamtenversicherungskasse des Kantons Zürich hat seinerzeit grosse Wellen geworfen. Die involvierten Beteiligen sind inzwischen durch das Bezirksgericht verurteilt worden: Wegen mehrfachen Sich-Bestechen-Lassens, mehrfacher Geldwäscherei, Anstiftung zu ungetreuer Amtsführung und natürlich wegen Bestechung. Die Verurteilten müssen neben Bussen annähernd 5 Millionen Franken an den Staat „zurückgeben“. Die CS bezahlte dem Staat in diesem Zusammenhang 18,9 Millionen in einem aussergerichtlichen Verfahren. Dem Regierungsrat als Kontrollinstanz wird Versagen vorgeworfen. Die eingesetzte PUK rechnet mit einem Schaden für die Versicherten von „einigen Hundert Millionen bis 1,5 Milliarden Franken“.
Reiner Wein aus der Genferseegegend
Die Affaire Giroud: Der honorable Weinproduzent in den Landen des Fendant und des Lavaux ist nach Jahren dubioser Machenschaften in die Fänge der Justiz geraten. Die Eidgenössische Steuerverwaltung vermutet Steuerhinterziehung in Millionenhöhe. Die Justiz des Kantons Waadt ermittelt wegen Fälschung von Waren. Im Volksmund wird das als Weinpanschen deklariert. Ein Mitarbeiter des Nachrichtendienstes des Bundes soll involviert sein im Zusammenhang mit einem der besten Computer-Hacker seines Faches, der gegen ein moderates Entgelt von 100‘000 Franken für das Ausspionieren zweier Journalisten geködert worden war.
Schlussbilanz
Wir können also feststellen, dass Korruption auch zum helvetischen Alltag gehört. Während wir ausserhalb unserer Landesgrenzen wenig Einfluss auf dieses Grundübel haben, können wir immerhin in der kleinen Schweiz dazu beitragen, dass ein Umdenken stattfindet.
Denn „Korruption ist so alt und vielfältig wie die Menschheit“, sagt Professor Ulrich von Alemann (Uni Düsseldorf). Neu hingegen sind die Möglichkeiten des Bekämpfens. Und vor allem: ein geändertes Verständnis der Gesellschaft gegenüber Bestechung, Hinterziehung und Korruption ganz allgemein. Dies ist der Hoffnungsschimmer.