Diese "Söldner" haben Strassensperren errichtet und schiessen auf Demonstranten wie auch auf andere Ansammlungen von Bürgern, wenn sich solche hervorwagen. Sie werden "Söldner" genannt, weil das Gerücht umgeht, Ghadhafi habe sie in Afrika angeworben. Doch ob das stimmt, ist ungewiss.
Alte Vorurteile gegen Schwarze
Es gibt eine Afrikanische Legion, die Ghadhafi schon zur Zeit seiner Kriege in Tschad (zwischen 1980 und 1994) ausgehoben und eingestellt hatte, und die er seither möglicherweise durch andere afrikanische Kämpfer ergänzte. Er benützt diese Leute, die den nördlichen Libyern fremd sind, weil er von ihnen nicht fürchten muss, sie könnten zur Bevölkerung übergehen.
Söldner im klassischen Sinne von neu eingestellten fremden Gelegenheitskriegern, sind es wohl nicht. Die Zeit, solche zu engagieren, zu bewaffnen und einzusetzen wäre zu kurz. In Libyen gibt es ein starkes Vorurteil gegen "Schwarze", obwohl viele Afrikaner von jenseits der Sahara im Lande leben oder das Land als Wanderarbeiter und Auswanderungswillige durchqueren. Wenn sie nun Waffen tragen, dürften sie den Bürgern der libyschen Hauptstadt diese Vorurteile ihrerseits heimzahlen.
Die Volkskräfte sind nur rudimentär organisiert
Tripolitanische Städte, wie Misurata (120 Km östlich von Tripolis) oder Zawiya (30 Km westlich) sowie Zuwara an der tunesischen Grenze, waren am 23. Februar von den Oppositionskräften der Volkserhebung beherrrscht. Doch am 24. gab es Gegenangriffe der Kräfte Ghadhafis. Sie bemächtigten sich des kleinen Fluhafens von Misurata nach Kämpfen mit den Volkswiderstand, jedoch nicht der Stadt, welche die drittgrösste des Landes ist.
Auch in Zawiya hat es offenbar wieder Kämpfe gegeben. Eine der Reden, die Ghadhafi an jenem Tag hielt (er sprach über eine Telefonlinie mit der staatlichen Fernsehstation) war als ein Aufruf an die Bevölkerung von Zawyia konzipiert, der sie ermutigen sollte, gegen die Volksbewegung vorzugehen, welche nach Ghadhafi "von al-Kaida" angezettelt worden sei.
Offenbar hat Ghadhafi Gegenangriffe angeordnet, die darauf abzielen, ganz Tripolitanien, nicht nur die Stadt Tripolis in seine Gewalt zu bringen. Doch es handelt sich nicht um reguläre Armeebewegungen. Eher um überraschende Inkursionen von Bewaffneten, die versuchen, die über höchst improvisierte Bewaffnung und keinerlei militärische Schulung verfügenden Volkskräfte niederzuringen. Ghadhafi besitzt schwere Waffen, Tanks, Artillerie, Flugzeuge. Er hat diese Mittel jedoch bisher in Tripolitanien nicht eingesetzt.
Beschwörung des Kaida-Gespensts
Dies kann viele Gründe haben: Er könnte möglicherweise nicht sicher sein, dass diese Kräfte nicht auf die Seite des Volkes übergehen, wie es in der Cyrenaika geschah. Es ist aber auch denkbar, dass er die wenigen operationellen Kriegsmittel , über die er noch verfügt, für seine persönliche Verteidigung zurückhält. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass er davor zurückschreckt, allzu brutale Kriegshandlungen mit schweren Waffen gegen die Zivilbevölkerung von Tripolitanien auszulösen, weil dies die Amerikaner und Europäer doch noch zu schärferen Massnahmen gegen ihn veranlassen könnte.
Vielleicht spielen alle drei Überlegungen eine Rolle. Die Regimepropaganda, einschliesslich der Reden Ghadhafis und Saif ul-Islams, ist noch immer bemüht, zu behaupten, die Aufständischen seien bloss "eine irregeleitete Jugend", "berauscht und drogensüchtig", sowie "angestachelt von al-Kaida", nicht die ihnen feindliche Seite in einem beginnenden Bürgerkrieg, wie dies in Wirklichkeit der Fall sein dürfte.
Warten auf den Gegenangriff von der Cyrenaika
Die Gegenseite auf der Cyrenaika unternimmt die ersten Schritte, um sich zu organisieren. Politische Gruppen haben sich in dem einstigen Parlament aus der Zeit vor Ghadhafi in al-Beida versammelt. Sie versuchen, sich mit den übergelaufenen Militärs abzusprechen, um in die Lage zu kommen, ihren Landesteil gegen mögliche Inkursionen aus dem Westen zu verteidigen. Bis sie jedoch in der Lage sind, ihrerseits nach Tripolis zu marschieren, wie die Bewohner der Hauptstadt es hoffen, dürfte wohl noch einige Zeit vergehen, und die Frage ist, ob Ghadhafi diese Frist nutzen kann, um ganz Tripolitanien unter seine Herrschaft zu bringen.