«Es gibt drei Typen von Leuten, die in der Regierung Trump ihren Job verlieren», schreibt in der «Washington Post» Kolumnistin Jennifer Rubin: «Es sind die Erwachsenen, die peinlich schlechten Akteure und die unabhängigen Geister.» Folglich blieben nur die schlechten (aber nicht ungenügend schlechten) Leute übrig, jene ohne Rückgrat, die Präsident Trump nicht widersprechen würden.
Ausserdem gebe es noch jene, die eine Sache so arg vermasselten, dass sie für Trump zu einer politischen Belastung würden. In diese Kategorie gehört der zivile amtierende Navy Secretary Thomas Modly, der diese Woche wohl nicht ganz freiwillig seinen Rücktritt eingereicht hat. Modly, einst Absolvent der US-Marineakademie und später Wirtschaftsberater, hatte vergangene Woche den Kommandanten des nuklear betriebenen Flugzeugträgers USS Theodore Roosevelt, Kapitän Brett Crozier, gefeuert.
Ein nicht vertrauliches Mail
Captain Crozier, ein erfahrener Offizier und früherer Kampfpilot, hatte es gewagt, unter Umgehung des üblichen Dienstwegs in einem nicht als vertraulich deklarierten Mail seine Vorgesetzten im Pentagon darum zu bitten, seiner Crew rascher zu Hilfe zu kommen, unter der nach letzter Zählung mehr 580 Seeleute mit dem Coronavirus infiziert sind. Ein Seemann ist inzwischen gestorben. «Wir befinden uns nicht im Krieg», schrieb Crozier in seinem an mehrere Vorgesetzte adressierten Schreiben: «Seeleute müssen nicht sterben. Wenn wir jetzt nicht handeln, dann versäumen wir es, uns um unseren grössten Besitz zu kümmern – unsere Seeleute.»
Das vierseitige Mail des Kapitäns wurde in der Folge von einem unbekannten Absender an den «San Francisco Chronicle» weitergeleitet, der den Hilferuf des höheren Offiziers umgehend veröffentlichte. Was allerdings Thomas Modly erzürnte, hätte doch der Inhalt des Briefs den Eindruck entstehen lassen können, die Navy, das Pentagon und in letzter Instanz das Weisse Haus täten nicht genug, um amerikanische Armeeangehörige in der Krise zu schützen. Der Navy Secretary enthob Brett Crozier seines Kommandos mit der Begründung, er habe sich von der Krise «überwältigen» lassen und mit seinem unnötig emotionalen Mail den Dienstweg verletzt.
Ein unpopulärer Entscheid
Modlys Entscheid stiess, nicht zuletzt innerhalb der Navy, umgehend auf heftige Kritik. Es sei, hiess es, nicht Sache der Politik, sich in interne Angelegenheiten der Marine einzumischen. Eine Untersuchung hätte zuerst klären sollen, ob Captain Croziers Vorgehen in der Tat Dienstvorschriften verletzt habe. Nachdem zum Beispiel 2017 zwei US-Zerstörer in Kollisionen verwickelt gewesen waren, bei denen 17 Seeleute starben, untersuchte die Navy die beiden Vorfälle während Monaten. Brett Crozier dagegen, selbst mit Covid-19 infiziert, wurde innert drei Tagen gefeuert.
«Ich glaube, die Entlassung war wirklich ein unnötiger Schritt, denn sie untergräbt die Autorität von Militärkommandanten, die versuchen, sich um ihre Truppen zu kümmern, und sie mindert deutlich die Bereitschaft von Befehlshabern, Mächtigen gegenüber die Wahrheit zu sagen», bemerkte Admiral Mike Mullen, ein früherer Oberster Generalstabschef der US-Armee. «Ich meine, es ist beinahe kriminell, wie sie (die Navy) mit diesem Kerl (Crozier) umspringen», liess indes der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden am Fernsehen verlauten: «Ich denke, er hätte eher eine Auszeichnung als eine Entlassung verdient.»
Vor lauter Kritik fühlte sich der Navy Secretary bemüssigt, sich gegenüber der Crew der USS Theodore Roosevelt persönlich zu erklären. Anfang Woche flog er nach Guam, dem US-Territorium im Pazifik, wo der 332,8 Meter lange Flugzeugträger mit seiner Besatzung von gegen 5’000 Mann angedockt hat. Medienberichten zufolge kostet der Kurztrip des hohen Pentagon-Beamten den amerikanischen Steuerzahler 243’000 Dollar (rund 7’000 Dollar pro Minute in einem Jet der Marke Gulfstream 550), was ein Sprecher des Verteidigungsministeriums jedoch für angemessen hielt: «Man muss mit den Leuten im Pazifik direkt reden. Und etwas mit eigenen Augen zu sehen, ist immer das Beste, um herauszufinden, was vorgeht.»
Eine unüberlegte Ansprache
Auf dem Schiff wandte sich Thomas Modly während 15 Minuten über Lautsprecher an die versammelte Mannschaft. Insgesamt hielt er sich laut Seeleuten weniger als eine halbe Stunde auf dem Flugzeugträger auf und beantwortete auch keine Fragen der Crew, die vorgehend informiert worden war, sie könne welche stellen. Kapitän Crozier, sagte der Navy Secretary unter anderem in seiner kurzen Ansprache, sei «entweder zu naiv oder zu blöd, um Kommandant eines solchen Schiffes zu sein», falls er geglaubt habe, der Inhalt seines Mails würde nicht öffentlich: «Oder er hat das absichtlich gemacht.»
Im Weitern wehrte sich Modly gegen die Einschätzung Joe Bidens, das Vorgehen der Navy sei nahezu kriminell: «Ich versichere euch, das war es nicht. Denn ich kenne die Fakten und diese Fakten zeigen, dass euer Kommandant zu einem bestimmten Zeitpunkt sehr, sehr falsch gehandelt hat, indem wir von ihm erwarteten, er würde die Wogen glätten.» Und auch die Medien, vor denen der Navy Secretary die Seeleute ausdrücklich warnte, kriegten ihr Fett weg: «Es gibt nie eine Lage, in der du die Medien als Station des Dienstweges ansehen solltest.» Ironie des Schicksals: Eine Tonbandaufnahme der laut einem Crewmitglied «weinerlichen, verärgerten, gereizten, herablassenden» Ausführungen auf der USS Theodore Roosevelt wurde umgehend an die «New York Times» geleakt.
Ein rauschender Abschied
Den Navy Secretary störte auch Brett Croziers Feststellung im Mail, Amerika befinde sich nicht im Krieg: «Der einzige Grund, weswegen der ganze Fall uns heute beschäftigt, ist der Umstand, dass ein grosses autoritäres Regime namens China nicht darüber informierte, was mit dem Virus los war und sie haben die Welt in Gefahr gebracht, um sich selbst und ihren Ruf zu schützen.» Eine Einschätzung, die Donald Trump, dem Propagandisten des «chinesischen Virus», gefallen haben dürfte.
Inzwischen zirkulierten in den sozialen Medien auch Videos, die zeigten, wie enthusiastisch die Mannschaft des Flugzeugträgers ihren Kapitän verabschiedet hatte, als er in Guam allein sein Schiff über die Laufbrücke verliess und seine Leute ein letztes Mal grüsste. Zu hören waren laute Sprechchöre, «Captain Crozier!», wie in einem Stadion, die den gefeuerten Vorgesetzten hochleben liessen – nicht eben überzeugende PR für das Argument der US-Navy, Brett Crozier sei entlassen worden, um die Crew vor einem angeblich überforderten Kapitän zu schützen.
In einer ersten Reaktion stellte sich Donald Trump noch hinter seinen Navy Secretary und unterstützte dessen Entscheid: «Er (Crozier) sollte in einem Brief nicht so reden. Ich glaube, was er tat, war schrecklich.» Doch zwei Tage später, als er merkte, wie unpopulär die Entlassung Croziers war, ruderte der Präsident zurück: «Ich will niemanden zerstören, nur weil er einen schlechten Tag hatte.» Zwar hätte Brett Crozier, so der Präsident, den fraglichen Brief nicht schreiben sollen, aber inzwischen habe er Gutes über den Captain und seine Karriere gehört.
Eine späte Einsicht
Auf jeden Fall entschuldigte sich Thomas Modly noch gleichentags auf Geheiss von Verteidigungsminister Mark T. Esper. Doch die Reue kam zu spät. Nur einen Tag danach reichte der Navy Secretary zerknirscht seinen Rücktritt ein. Er habe, so Modly, die Navy durch seine unglückliche Wortwahl auf dem Schiff in ein schlechtes Licht gerückt und dafür gebe es keine Entschuldigung, aber vielleicht etwas Verständnis und hoffentlich Mitgefühl: «Die Crew hätte mehr Empathie und weniger Belehrung verdient.» Donald Trump liess verlauten, er habe mit dem Rücktritt, den er selbstlos finde, nichts zu tun.
Thomas Modly hatte schon zuvor verlauten lassen, der Präsident habe keinen Druck auf ihn ausgeübt, Brett Crozier zu feuern. Doch Quellen innerhalb der Navy berichten, Modly habe gegenüber einem Kollegen verraten, Donald Trump wolle, «Breaking News!», den Captain entlassen sehen. Für Paul Waldman von der «Washington Post» ist die Entlassung Brett Croziers lediglich die jüngste Illustration eines der wichtigsten Prinzipien der Regierung Trump: «Du kannst unfähig und du kannst korrupt sein, nur eines darfst du nicht tun, wenn du deinen Job behalten willst: Trump schlecht aussehen lassen.»
Kollegin Jennifer Rubin wird im selben Blatt noch deutlicher. Amerikas Amtsinhaber im Weissen Haus habe durch sein bisheriges Verhalten ein weiteres historisches Verdienst erlangt: «der korrupteste Präsident mit der mittelmässigsten, arschkriecherischsten Regierung, die es je gab.»