Wahlen in Iran werden von den Machthabern, die den Gottesstaat lenken, gesteuert. Sie sind deshalb nicht als Ausdruck der Volksmeinung zu verstehen, sondern dienen dazu, eine Bühne zu bereiten. Das Parlament in Teheran ist der Ort, wo das Schauspiel der öffentlich sichtbaren Politik abläuft. Schauspieler und Kulissen werden so ausgewählt, dass das aufgeführte Theaterstück so ablaufen kann, wie es die wirklichen Machthaber wünschen.
Wahlen als Hinweis auf die Pläne der Machthaber
Dabei sind Diskussionen zugelassen, die das Stück beleben und das politische Theater etwas anziehender machen. Doch die Abläufe sind in grossenb Zügen vorbestimmt, etwa so wie in konventionellen Filmen am Ende die Guten belohnt und die Bösen bestraft werden müssen, die Verliebten heiraten und alles ein Happy End findet.
Der Zweck iranischer Parlamentswahlen liegt daher nicht darin, dass durch sie etwas über den Volkswillen bekannt würde, oder dass die Vertreter neuer politischer Ausrichtungen eine Chance erhielten, ihre politischen Ziele zu fördern oder gar durchzusetzen. Man hat das "Wahlresultat" vielmehr als ein Anzeichen dafür zu lesen, welches die sonst geheim gehaltenen wahren Absichten der Machthaber sein könnten. Die Bühneneinrichtung zeigt, welche Art Stück gespielt werden soll - eine Operette der Volksbefriedigung oder ein Drama islamischer Opferkämpfe.
Die Opposition zum Schweigen gezwungen
Bei den jüngsten Wahlen sind die Opposition von vorneherein ausgeschaltet worden. Die Reformtendenz, die sich 2009 gegen die ihrer Ansicht nach gefälschten Präsidentenwahlen heftig zu Wort gemeldet hatte, war zum Schweigen verurteilt. Ihre beiden Hauptführer sitzen seit fast einem Jahr unter Hausarrest und ihre Aktivisten in den Gefängnissen, wenn sie nicht bereits hingerichtet oder zu Tode gefoltert worden sind.
Ein Drittel der Kandidaten im voraus eliminiert
Vorsichtshalber trat vor den jüngsten Wahlen eine neue "Cyberpolizei" in Aktion, die dafür sorgte, dass die Mobiltelephone nur gelegentlich funktionierten und das Internet verlangsamt und kontrolliert wurde. Am Wahltag war das Netz sogar stillgelegt.
Die Kandidaten wurden - wie vor allen iranischen Wahlen - von einer dazu bestimmten Kommission begutachtet, bevor sie zugelassen wurden. 36 Prozent der 5395 Kandidaten, die sich beworben hatten, wurden vom Gremium eliminiert. Unter sollen sich alle 24 offen auftretenden Parteigänger des Präsidenten in Teheran befunden haben. Diese Kommission, der so genannte Wächterrat, hat 384 Überwachungsbureaux im ganzen Lande, welche die Aktivitäten und Äusserungen der politischen Klasse permanent überwachen. Ihr operatives Budget soll 30 Millionen Dollar übersteigen.
Das Politikum der Wahlbeteiligung
Die niedergehaltene "grüne" Oppositionsbewegung hatte zum Boykott der Wahlen aufgerufen. Deshalb wurde die Frage der Stimmbeteiligung zum Politikum. Das Regime rief die Bürger zur Teilnahme auf, um die "Einigkeit Irans" gegenüber dem als aggressiv gesehenen Ausland unter Beweis zu stellen.
Das Regime erklärte denn auch folgerichtig, die Beteiligung habe jene der früheren Wahlen übertroffen; sie betrage 64 Prozent gegenüber 57 Prozent vor vier Jahren. Auch andere Zahlen wurden genannt, aber stets so, dass die jüngste die höchste war. Eine davon mag zutreffen, nachprüfen lässt sich keine.
"Fronten" für und gegen den Präsidenten
Die Wahl wurde durch mehrere "Fronten" bestritten, die Namen trugen wie "Front der Freunde der islamischen Regierung", "Front der jungen Berater des Präsidenten", "Einheits- und Gerechtigkeitsfront", "Front der Vereinigten Prinzipiengetreuen" oder "Standhaftigkeitsfront". Die Iraner wussten mehr oder weniger genau, dass die drei erstgenannten aus Anhängern von Präsident Ahmedinejad zusammengesetzt waren, die beiden zuletzt erwähnten aus Widersachern und Gegenspielern des Präsidenten.
Neben diesen wohl wichtigsten Zusammenschlüssen von Kandidaten gab es ein Unzahl von kleineren Koalitionen, alle mit vergleichbar schön klingenden Namen, was die Transparenz für die Wähler nicht eben erhöhte. Es gab auch unabhängige Kandidaten, und auch sie wurden von Eingeweihten als Anhänger oder Gegner des Präsidenten eingestuft.
Ahmedinejad gegen Khamenei
Seit April des vergangenen Jahres hat es in der iranischen Politik Spannungen zwischen dem herrschenden Gottesgelehrten und dem Präsidenten gegeben. Sie waren damals weit offener, als es sonst in Iran üblich ist, zu Tage getreten. Mahmoud Ahmadinejad hatte seinen Innenminister entlassen, doch Ali Khamenei hatte ihn wieder eingesetzt, was er Kraft seiner konstitutionellen Vollmachten konnte. Der Präsident hatte darauf hin elf Tage lang geschmollt, indem er sich nicht mehr an der Regierung beteiligte.
Ahmadinejad sah sich am Ende aber gezwungen, dem herrschenden Gottesgelehrten seine Aufwartung zu machen, um Verzeihung von ihm zu erlangen. Eine Versöhnung fand statt, mindestens an der Oberfläche. Die mächtigen Leiter der Revolutionswächter stellten sich hinter Khamenei. Zuvor war unklar gewesen, inwiefern sie mit dem Präsidenten zusammenarbeiteten.
Kritik im Parlament gegen die Regierung
Diese Ereignisse boten zahlreichen Abgeordneten im bisherigen Parlament Gelegenheit, sich kritisch über den Präsidenten und dessen Regierungsführung zu äussern. Ahmadinejad zeigte in der Tat viele Schwächen. Vor allem seine Wirtschaftspolitikk bot Anlass zu Beschwerden. Es gab grosse Wirtschaftsskandale mit angeblich Milliarden von unterschlagenen Geldern. Dem Präsidenten selbst wurden sie zwar nicht zur Last gelegt, doch der Vorwurf wurde laut, er unternehme nichts gegen sie und seine Anhänger und Mitläufer seien direkt verantwortlich.
Bargeld an die Armen statt Subventionen
Auch die Wirtschaftspolitik des Präsidenten gab Anlass zu kritischen Fragen. Er hatte die Staatssubventionen für Benzin und Brot sowie andere wichtige Lebensmittel abbauen lassen, dafür an die unteren Bevölkerungsschichten Bargeld verteilt, um die ärmeren Volkskreise für die steigenden Preise der Grundnahrungsmittel und des Benzins zu entschädigen. Dies förderte die Inflation, die ohnehin ein Übel der iranischen Wirtschaft war, und der Vorwurf wurde laut, mit den Bargeldverteilungen suche der Präsident sich bei den Massen des Volkes beliebt zu machen.
In der Tat sind diese Gelder wahrscheinlich hauptsächlich an erklärte Anhänger des Präsidenten gegangen, wenn man den Vorgang nicht umgekehrt schildern will: Wer solche Gelder erhalten wollte, musste seine Begeisterung für den Präsidenten möglichst laut kundtun. Mahmoud Ahmadinejad tritt seit jeher als der Befürworter der Armen auf. Sie gelten als sein eigentliche Wählerbasis.
Rütteln am Machtsystem der Geistlichen?
Doch die Kritik der Feinde des Präsidenten im Parlament ging weiter. Sie warfen ihm vor, das bestehende System des iranischen Gottesstaates aus den Angeln heben zu wollen, indem er den iranischen Nationalismus anfachte statt Begeisterung für den Islam, und sie argwöhnten, er täte dies, um die Rolle der Geistlichen in der Islamischen Republik zu schwächen, einschliesslich jener des herrschenden Gottesgelehrten, und sich selbst mehr Macht anzueignen.
Die Kreise, die den Präsidenten so angriffen, werden oft als Ultrakonservative bezeichnet. Es sind Politiker, oft selbst Geistliche, welche die die Rolle der Gottesgelehrten bei der Führung der Islamischen Republik für fundamental wichtig halten - dies ganz im Sinne Ayatollah Khomeinis, des Urhebers des Glaubenssatzes von der "Herrschaft durch den Gottesgelehrten".
Vor einer Befragung des Präsidenten
Im bisherigen Parlament besass Mahmoud Ahmadinejad durchaus auch seine Parteigänger und Verteidiger. Er hatte Regierungsämter zu vergeben, deren Inhaber dann freilich vom Parlament abgesegnet werden mussten und die der geistlcihe Führer Ali Khamenei, wenn er will, ablehnen oder auch rückgängig machen kann.
Ein Anzeichen für den sinkenden Stern des Präsidenten schon vor den Wahlen war der Umstand, dass in Teheran ein Parlamentsbeschluss zustande gekommen war, der den Präsident aufforderte, den Abgeordneten zu seiner Politik Red' und Antwort zu stehen. Es war das erste Mal in der Geschichte der Islamischen Republik, dass ein Parlament das von einem Präsidenten forderte. Die Anhörung des Präsidenten soll nun, nach den Wahlen, im Mai stattfinden.
Ahmedinejad verliert Einfluss
Die iranischen Analytiker, welche die persönlichen Verhältnisse und Verbindungen der Kandidaten und der Gewählten kennen, sind sich darin einig, dass die Anhänger des Präsidenten die Wahlen verloren hätten. Sie zitieren dafür den Umstand, dass die Schwester des Präsidenten, die im Heimatort der Ahmadinejads kandidierte, nicht gewählt wurde. Bekannte Kritiker Mahmoud Ahmadinejads, wie der bisherige Parlamentspräsident Ali Larinjani, wurden dafür wiedergewählt.
Die Wahl ist noch nicht vorbei. Jene Wahlkreise, in denen keiner der Kandidaten mehr als ein Viertel der Stimmen erhalten hat, werden einen zweiten Wahlgang durchführen. Doch die Beobachter sind sich einig: Die Seite Ahmadinejads hat Verluste erlitten, die seiner Kritiker kam weiter voran.
Mehr Ellbogenfreiheit für die wirklichen Machthaber
Man hat anzunehmen, dass dies das Resultat ist, welches die Führung, lies der herrschende Gottesgelehrte und seine Beschützer, die Revolutionswächter, angestrebt haben. Es bedeutet, dass die Manövrierfähigkeit der bestehenden Machthaber erhöht wird, weil die Stör- und Querschüsse von Seiten des Präsidenten (die schon im vergangenen April entscheidend abgewehrt worden waren) nun noch weniger als zuvor treffen können.
Dies kann man als Vorbereitung auf jene gefährlichen Zeiten deuten, die Ali Khamenei bereits in Aussicht gestellt hat und deren Beginn mit den Boykottmassnahmen der USA und der EU bereits spürbar geworden ist - vor allem durch die rasch ansteigende Inflation und den rapide sinkenden Kurs des Rials auf dem freien Geldmarkt.
Kein Nachgeben in der Atomfrage
Es gibt jedoch keinerlei Anzeichen dafür, dass diese gefährlichen Zeiten die iranische Führung dazu veranlassen könnten, die Urananreicherung einzustellen. Im Gegenteil, die Bühne der öffentlichen Politik wird auf die Möglichkeit von Konfrontationen hin vorbereitet. Iran gedenke, sie zu bestehen, komme was wolle, so lautet die trotzige Botschaft dieser Wahlen.